Kapitel 11

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Ich habe sie nicht geliebt.

Die Worte hallten in Harrys Ohren wider. Immer und immer wieder. „Aber -" Er brach ab. Was sollte er sagen? Wie reagieren? Dracos Erzählung über seine Frau war so voller Liebe gewesen. Voller Wärme und Bewunderung. Wie konnte er sie nicht geliebt haben? Wieso -

„Sie war meine beste Freundin", durchbrach Draco das Gedankenkarussell in Harrys Kopf, während er gleichzeitig ihre Umarmung löste und wieder auf Abstand ging. „Irgendwie habe ich sie geliebt." Er atmete tief durch. „Aber nicht wie ein Mann seine Frau lieben sollte, sondern -" Er hielt inne und zuckte mit den Schultern, als habe er damit alles gesagt.

Harry atmete tief durch und strich sich die Haare aus der Stirn. „Das musst du mir erklären", bat er schließlich und fügte hinzu, ehe Draco etwas erwidern konnte: „Hattest du nicht was von Wein gesagt? Ich glaube, den können wir jetzt gut gebrauchen."

Einen Moment schien es, als würde Draco protestieren wollen, dann jedoch nickte er einfach und erhob sich vom Sofa, nur um sich kurz darauf mit Gläsern und einer Flasche Wein wieder zu Harry zu setzen. „Also", griff dieser ihr Gespräch wieder auf, „Astoria war mehr", er zögerte kurz, „deine beste Freundin als deine Geliebte?"

Draco nickte stumm, während er Flasche öffnete und ihnen beiden einschenkte. „Ich hab dir ja erzählt, dass wir uns in England kennengelernt haben." Harry nickte stumm, während er sein Glas von Draco entgegennahm. „Viele der alt eingesessenen Familien hatten nach dem Krieg Probleme und haben das Land verlassen."

Wieder nickte Harry wortlos, ehe er einen vorsichtigen Schluck nahm. Er war damals selbst so eingebunden gewesen, dass er nur am Rande mitbekommen hatte, was mit all den Menschen geschehen war, die auf Voldemorts Seite gestanden hatten.

„Astorias Familie hat darauf gesetzt, dass Voldemorts Seite gewinnt und ihre Eltern mussten, genau wie meine, ein Großteil ihres Vermögens für Ausgleichszahlungen abgeben. Hier in England waren sie nichts mehr." Draco machte eine Pause, in welcher er ebenfalls an seinem Wein nippte. „Es war verrückt." Er schnaubte leise. „Ihre ganze verehrte Reinblüterkultur hat sie an den Abgrund gebracht und trotzdem wollten sie nichts mehr, als wieder dazuzugehören. Ihre Eltern und meine." Kopfschüttelnd nahm Draco einen weiteren Schluck, ehe er das Weinglas in den Händen hin und her drehte. „Sie hatten gehofft, wenn sie es schaffen, ihre Kinder in Familien zu verheiraten, die den Krieg unbeschadet überstanden haben, dann könnten sie ihr altes Ansehen zurückgewinnen. Sie haben wirklich gedacht, dann würde alles wieder werden, wie es vorher war. Als wäre nie etwas gewesen." Draco lachte freudlos auf, woraufhin Harry sich fest auf die Unterlippe biss. Wie war es nur möglich, dass er nie darüber nachgedacht hatte, was aus all diesen Menschen geworden war? Sicher, direkt nachdem Voldemort besiegt und die Todesser fürs Erste zerschlagen gewesen waren, hatte er an unzähligen Verhandlungen des Zaubergamots teilgenommen. Er hatte für Draco und Narzissa ausgesagt, aber nachdem die Verhandlungen weniger und weniger geworden waren und er seine Aurorenausbildung begonnen hatte, hatte er aufgehört, die Ereignisse zu verfolgen. Er hatte nur Ruhe gewollt und dabei nie daran gedacht, was aus seinen Mitschülern geworden war, deren Familien alles verloren hatten.

Glücklicherweise fuhr Draco mit seiner Erzählung fort, ehe Harry in dem altbekannten Strudel aus ungelösten Fragen und sich auftürmenden Schuldgefühlen versinken konnte: „Astoria und ich wollten da raus. Wir beide wollten die Fehler unserer Eltern hinter uns lassen. Eine eigene Familie gründen und einen Neuanfang machen. Aber wer hätte uns schon noch genommen? Wir waren nichts. Für die Einen waren wir in Ungnade gefallen und nicht nur ohne Vermögen, sondern auch noch ohne soziales oder politisches Kapital. Für die Anderen waren wir nichts weiter als Todesser. Die Bösen."

Draco schluckte sichtbar, und Harry musste sich daran erinnern, dass all das vor beinahe zwanzig Jahren geschehen war. Es gab nichts, was er jetzt noch tun oder sagen konnte, um es ungeschehen zu machen oder Draco zu helfen. Diese Chance hatte er vertan.

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