Kapitel 8 - ✔️

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Rosalie

Langsam beginnt es in meinem Kopf wieder zu rattern.
Ich spüre Berührungen auf meinen Wangen.
Hinweg über das Rauschen in meinen Ohren, höre ich eine Stimme reden.

Das Zusatzgewicht von eben ist verschwunden, aber die Schmerzen keineswegs.
In meinem Kopf pocht es unangenehm und ein Duft von Metall und frischem Blut liegt in der Luft, dass mir extrem schlecht wird.

Wie bei einem Radio, das man lauter dreht, höre ich die Stimme in meinem Ohr immer deutlicher, bis ihre Laute sogar einen Sinn ergeben.
Sie klingt männlich, tief und ein bisschen heiser. Ein Schauer jagt meinen Rücken hinab.
»Hallo ?«, ruft die Stimme und wirkt unbeholfen. Arzt scheint er nicht zu sein, Glück für ihn.
»Können Sie mich hören ?«, fragt er nach und Finger streichen über meine Wange, dass ich auch dort erschaudere.

Ich kann ihn hören. Sehr gut sogar, aber da liegt der Haken. Er ist unfassbar laut und seine Stimme dröhnt unangenehm in meinem Kopf.

Erneut sind Finger in meinem Gesicht zu spüren und leicht klopft man gegen meine Wangen.
Es tut nicht weh und es hat keine Übereinstimmung mit der Heftigkeit, die mein Vater immer hatte, aber es setzt meinen Kopf sofort mir Erinnerungen zu.

Fünfzehnter Mai.
Ich habe Geburtstag gehabt und gehofft, mein Vater würde einmal nicht ganz so betrunken nach Hause kommen. Ich hatte ihn den ganzen Tag nicht gesehen und war hoffnungsvoll.
Zu dem Zeitpunkt dachte ich noch er würde sich wieder ändern.
Aber das habe ich ja immer gedacht.
Er kam nach Hause, aber weder mit Geschenk noch mit einem »Happy Birthday«.
Das Einzige was er dabei hatte, war eine teuere Rotweinflasche und die hatte er schon bis zu Hälfte geleert.
Meine Hoffnungen wollten an diesem Tag nicht sterben und als er mich zu sich rief, war ich tatsächlich so naiv und ging ich ihm nach.
An der Treppe kam er mir entgegen und schrie mich an, warum seine Flasche denn leer sei. Was hätte ich darauf antworten sollen ?
Er tobte und wütete ärgerlich durchs Foyer unseres Hauses, als ich stumm blieb, und forderte mich schließlich auf ihm neuen Wein zu holen. Aber wir hatten nichts mehr. Der Vorratsschrank war bis auf die letzte Flasche leer geräumt und nirgendwo würde ich Alkohol für ihn auftreiben können. So lief das nicht.
Ich sagte ihm die Wahrheit, dass es nichts gab was ich ihm geben könnte, und die unbändige Wut mit der er mich kaum eine Sekunde später zu Boden schlug, ließ meinen Atem stocken.
Durch ein unangenehmes Pochen an meiner Schläfe und meine rauschenden Ohren, hörte ich kaum, wie er mich und meine Mutter beleidigte und uns als unnütze Weiber bezeichnete. Aber ich spürte seine Tritte gegen meinen Kopf, bis Punkte um mich tanzten und eine rote Flüssigkeit meine Stirn hinab rann.
Ich konnte nicht mehr aufstehen und kämpfte schwer damit, die Punkte nicht größer werden zu lassen.
Sein gehässiges: »Herzlichen Glückwunsch«, ließ mich den Kampf schließlich aufgeben.

Aus Reflex und weil Angstzustände bei mir nicht untypisch sind, ziehe ich schützend meine Arme übers Gesicht und meine Beine so an, dass ich ganz zusammengerollt auf dem Boden liege. Das Zittern und Wimmern kommt von ganz allein, ohne das ich es kontrollieren könnte.

Es dauert einen Moment aber als hätten sie sich verbrannt, verschwinden die kalten Finger. Ein schockierter Laut ist zu hören und ich kann mir nur vorstellen, was sich die Person vor mir gerade denkt. Ich kann es nicht ändern. Was mein Körper zu seinem Selbstschutz tut, wird niemals zu erklären sein.
Es braucht Minuten, in denen ich meine zittrigen Hände weiter vor mein Gesicht halte und hoffe, dass die Finger nicht noch einmal zurückkommen. Das tun sie nicht.
Alles was bleibt, sind die lauten Atemzüge von meinem Gegenüber und mir.

Weitere Sekunden vergehen und mein Unterbewusstsein entspannt sich langsam.
Mit einem flauem Magen, der das Blut riecht, schiebe ich meine Hände schließlich zurück und versuche meine Augen zu öffnen.
Meine Lider sind schwer und zittern, wie mein gesamter Körper, aber zuletzt schaffe ich es sie zu heben.

ROSE - Warum weinst du? Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt