Kapitel 9 - ✔️

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Rosalie

Erst spät Nachmittags komme ich nach Hause und falle voller Erschöpfung aufs Sofa.
Was für ein Horrortag.
Mein Kopf fühlt sich schwerer an, als mein gesamter Körper und jede Bewegung zieht sich schmerzvoll durch meine Glieder.

Auf dem Rückweg war ich kurz davor mich zu übergeben, denn das schlimmste an der stundenlangen Lauferei waren nicht die unermesslichen Schmerzen, sondern der bittere Geruch von Blut, der mich verfolgte. Es drehte sich in meinem Kopf schon, als ich meine Finger nur für wenige Sekunden von meiner Wunde nahm und die rote Flüssigkeit vor Augen sah.
Ich vertrage diesen Anblick nicht.
Mit jedem Tropfen, bürden sich mir neue Probleme auf, die ich nicht verhindern kann und das überfordert mich so sehr, dass Ohnmacht ein Ausweg wäre.

Auf dem Rückweg war ich einfach überfordert mit allem. Mein Kopf schien zu platzen unter allem, was passiert ist. Ich wäre beinahe gestorben, habe Mrs. Wave verpasst, wurde von einem fremden Typen gerettet, der mich die ganze Zeit komisch angesehen hat und kann mich jetzt auch noch mit meiner blutigen Wunde auseinandersetzten.
Mein Tag ist wirklich gelaufen und die Frage wie ich es überhaupt bis auf mein Sofa geschafft habe, schwirrt mir genauso im Kopf, wie tiefe braune Augen mit glänzenden Pupillen in denen sich mein Gesicht spiegelt. Einfach der pure Horror.
Aufgeschmissen und genervt nette ich meinen Kopf auf einem Berg von Kissen und versuche meine Erschöpfung erstmal auszuschlafen.
Angezogen und ohne meine Zähne zu putzen oder mal etwas zu essen, gebe ich mich meiner Müdigkeit hin und versuche mich mit den salutierenden Folgen vom heutigen Tag, erst morgen zu beschäftigen.
Wie soll ich unter diesen Schmerzen vor die Haustür treten und es bis zur Arbeit aushalten, ohne dabei zusammenzuklappen? Ich bin so unsicher auf den Beinen, wie ein Neugeborenes, dass noch nie gelaufen ist.
Wie wird Mrs. Wave auf mich zu sprechen sein und wie soll ich vernünftig meine Arbeit erledigen ?
Nach diesem Schockerlebnis bin ich nicht noch einmal auf der Arbeit aufgetaucht oder habe mit ihr telefoniert. Zugegeben in dieser Lage sehe ich mich auch nicht, denn bis ich ihre Nummer getippt hätte, wäre schon längst der nächste Morgen.
An diesen will ich garnicht denken, denn die Anstrengung mit der ich schon jetzt rechnen kann, würde mich die ganze Nacht wach halten und Lösungen für Probleme suchen, die ich nicht einfach so lösen kann.

James

Ziemlich schnell ist sie verschwunden und zu meinem Pech ertönt gerade als ich ihr nach laufen will, die Stimme von Arabella hinter mir.
»James !«, schreit sie über die Leute hinweg und rennt auf ihren Stöckelschuhen, so gut es damit eben geht, auf mich zu.
Diesmal rolle ich wirklich mit den Augen und in der nächsten Sekunde hängt sie an meinem Arm.
»Ich hab mir solche Sorgen gemacht, als du weggelaufen bist ....«

Seufzend wende ich meinen Blick von der Ecke, um die das fremde Mädchen verschwunden ist und sehe seufzend zu meiner eigentlichen Begleitung, die sich unangenehm mit ihren Fingernägeln in meinen Arm krallt.
Böse sieht sie nicht aus und für eine Entschuldigung sehe ich mich nicht schuldig. Meine Aufmerksamkeit ist von einer Sekunde auf die andere verschwunden und ich habe keine Lust mehr mich noch eine Sekunde weiter mit ihr herumzuschlagen.

»Hör mal Arabella, ich habe gerade keine Zeit mehr mit dir weiter Kaffee zu trinken«, versuche ich sie abzuwimmeln und kassiere dafür sofort einen Schmollmund.
»Wie schade, aber das verstehe ich natürlich, ein Mann wie du hat ja immer etwas zu tun. Das müssen wir unbedingt mal wiederholen, es war nämlich sehr schön«, schmeichelt sie unser »Date« und dabei waren wir höchstens zehn Minuten zusammen.

Während mich Arabella umarmt
halte ich wieder Ausschau nach dem Mädchen, welches ich verloren habe, und bemerke somit kaum, wie sie nach wenigen Minuten ebenfalls davon geht.

Nun alleine beschließe ich nach wenigen Minuten mich auf den Weg nach Hause zu machen und laufe daher geradewegs auf mein Auto, auf der anderen Straßenseite, zu. 

Meine Fahrt führt mich quer durch die Innenstadt, die am frühen Nachmittag sichtlich unbefahrener ist, als nur wenige Stunden später.
Schneller als gewohnt komme ich an meiner Villa an und parke mein Auto neben den anderen in der Garage.
Ich habe gleich mehrere Autos.

Die matt graue S-Klasse, mit der ich eben gekommen bin und die mich meistens zur Arbeit begleitet, steht perfekt eingeparkt neben meinem zweiten Mercedes.
Die schwarze A- Klasse, die ich praktisch wegen ihrer Größe und dazu ziemlich elegant finde, steht direkt neben meinem weißen R8 und in einem fabelhaften Kontrast glänzen sie in der Sonne.
Unter einer Plane verdeckt, steht mein Maserati, den ich nur selten befahre, weil er ein Cabriolet ist und daher nur bei gutem Wetter einen Nutzen hat.

Ich liebe meine Autos, jedes habe ich in einem anderen Land und zu einem anderen Anlass gekauft und seine praktischen Gründe hat es auch, gleich mehrere Motoren bei sich stehen zu haben.

Mit einem Klick auf den Autoschlüssel, verschließt sich der Mercedes und ich begebe mich zur Haustür.

Meine Villa ist die letzte in einer langen Straße, voller teurer Anwesen. In einem großen Abstand zu den Nachbargärten, kann ich meine Privatsphäre beflissentlich genießen, was leichter gesagt als getan ist.
Es ist nicht immer einfach, wenn Reporter und Fotografen an der Mauer zur Auffahrt stehen und versuchen Einblicke in mein Leben zu erhaschen, aber man lernt damit umzugehen.

Den Rest des Tages arbeite von zuhause aus und lasse mir wichtige Dokumente zuschicken, um sie in Ruhe durchzuarbeiten.

Schon viel früher hätte ich mich heute an meinen Laptop setzten sollen, anstatt mit einer Nervensäge einen Kaffee zu trinken.
Andererseits habe ich heute ein Leben gerettet und dem Schicksal sei es geschuldet, dass die kleine Blondine den beinahen Unfall überlebt hat.
Ich bin froh, dass es so gekommen ist.
Alles wäre anders ohne diesen brenzlichen Zwischenfall und ich hätte nie in ihren tiefen blauen Augen gesehen, die etwas in mir verändert haben, wenn ich nicht zur rechten Zeit am rechten Ort gewesen wäre.

Ich frage mich, ob sie gut nach Hause gekommen ist und ob sie sich ihrer Sturheit nicht doch widersetzt und zum Arzt geht. Ich hoffe innerlich, dass sie mir nur strotzen wollte, aber der Gedanke, dass sie alles so meinte, wie sie es sagte, schwindet nicht.

Während ich versuche mich zu konzentrieren, verdrehen sich meine Rechnungen immer wieder und nach einer halben Stunde, in der ich rein gar nichts geschafft habe, schmeiße ich frustriert meinen Kugelschreiber an die Wand.
So ein Mist aber auch.
Wieso kümmert mich dieses Mädchen ?
Sie ist komisch und merkwürdig und ähnlich wie sie alle. Was bitte denkt sich mein Kopf, wenn er sie immer und immer wieder in meine Erinnerung ruft, als dürfte ich nicht vergessen.
Ich habe ihr das Leben gerettet, aber das wars dann auch !

Sie beflissentlich vergessend, arbeite ich mich endlich durch den Tag und sitze bis spät Abends am Telefon mit wichtigen Anrufen aus dem Ausland.

Draußen ist die Nacht eingetroffen und der Mond scheint hell vom
Himmel.
Kaum habe ich aufgelegt und mein Tablet ausgeschaltet kommen mir ihre Augen wieder in den Sinn.
Tiefblau und so groß, dass sie drohen einen in sich aufzusaugen und daran noch mehr zu wachsen.

Ich schüttle den Gedanken aus meinem Kopf. Das ist mir nun wirklich zu verrückt.
Es muss die Erschöpfung sein, die mir die Lächerlichkeit bis in den Schlaf vorspielt.

ROSE - Warum weinst du? Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt