Kapitel 12 - ✔️

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Rosalie

Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist und wie mich der Mut überkommt vor ihm stehen zu bleiben und einfach seine Brille abzunehmen.
Ich muss verrückt sein, schließlich ist er ein Mann.

Ein junger Mann mit perfekt sitzenden, braunen Haaren, die gleichmäßig nach hinten gekämmt sind.
Ein massiv gebauter Mann mit einer kratzig schönen Stimme, die bei jedem Wort einen anderen interessanten Unterton schwingen lässt. Es ist nie dieselbe.

James

Sie steht auf Zehenspitzen.
Ihre kleinen Finger haben meine Brille in der Hand und drehen sie einen Moment. Meine Atmung hat sich gestaut und mein Herz scheint sich, auch als sie mich wieder ansieht, gegen den Herzschlag zu weigern. Verkrampft sehe ich sie an und schaffe es, nichts zu tun.

Ihre Blick wandert von meinem linken zu meinem rechten Auge und senkt sich schließlich wieder zu meiner Brille.
Sie scheint nicht erkannt zu haben, wer hier vor ihr steht und kurzweilig muss man mir meine Erleichterung offensichtlich ansehen.

Es ist ein ungewohnt beschwichtigendes Gefühl zu wissen, dass sie nicht mal eine Idee zu haben scheint, wer ich sein könnte. Ich bin ihr fremd und nichts besseres hätte mir passieren können.

Als ich ausatme starrt sie auf die Brille in ihrer Hand und streicht sich gleichzeitig eine weißblonde Strähne hinters Ohr.
Für den Bruchteil einer Sekunde kann ich eine weiße Einkerbung von ihrem Ohrläppchen bis zum Kinn erkennen – eine Narbe – aber sie dreht ihren Kopf und so schnell wie die Strähne hinter ihrem Ohr verschwindet, kaschiert sie ihren Kiefer wieder.

»Jetzt weiß ich, wie du aussiehst !«, flüstert sie durch die Stille und reißt mich aus meinen Gedanken.
»Jetzt vergisst du mich nicht mehr, was?«
»Korrekt!«, rollt sie nervös lachend und reicht mir meine Brille. Einen Moment lang sehe ich wieder auf ihre Hände, aber ich weiß, was ich machen möchte.
»Behalt sie.«
»Was? Nein, hier, bitte.« Irritiert hebt sie die Brille noch ein Stück und hält sie unmittelbar an mein Gesicht.
»Sie gehört dir, Kleines, ich habe tausende.«
Ich lüge damit nicht einmal.
Aber vielleicht war es dennoch dumm von mir, so etwas zu sagen.

»Aha«, bemerkt sie unschlüssig.
»Jetzt nimm sie schon an«, murre ich leicht hetzend und kann nicht glauben, dass es für sie so schwer ist, eine solche Kleinigkeit anzunehmen.
»Aber die war bestimmt teuer!«, beharrt sie wieder und schüttelt stur den Kopf.
»Ach was, sie gehört jetzt dir und ich möchte, dass du sie annimmst.«
Ich bin überzeugt von meinen Worten und entschlossen, dass sie sie zum Ende dieses Tages trägt.

Geld für eine Sonnenbrille spielt sowieso keine Rolle.
Ich könnte mir Schlösser mit Sonnenbrillen füllen lassen und hätte nicht mal die Hälfte meines Geldes ausgegeben.

Als sie noch immer keine Anstalten macht die Gläser aufzusetzen, nehme ich sie ihr ab und setze sie auf ihre Nase.
»So, geht doch«, brumme ich und grinse, als die Brille von ihrer Nase rutscht.
Sie sitzt locker und ist ihr zu groß, steht ihr aber trotzdem.

»Was? Sieht es so dumm aus?«, lacht sie schließlich und schiebt die Brille auf ihre Haare, dass ihre blauen Augen wieder zum Vorschein kommen.
Wie können Augen so faszinierend sein, dass sie Dinge an sich reißen? Ich bin verwirrt.

»Nein, du siehst süß aus!«
Ich lüge nicht. Und weil sie es zu bemerken scheint, verfärben sich ihre Wangen augenblicklich.

Rosalie

Es herrscht wieder eine luftige Stille zwischen uns, die alle vergehenden Minuten zu sammeln scheint.
Ich habe nicht damit gerechnet wie verdammt gut die Prinzessen in so hellem Licht aussieht. Das kantige Gesicht, die Schatten auf seinen Lidern, die seine Augen funkelnd hervorstechen lassen.
Seine schmalen Lippen, die in seinem sonst so blassen Gesicht Farbe hinterlassen.

ROSE - Warum weinst du? Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt