Kapitel 60

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LUCY

Krankenhäuser hatten für mich schon immer etwas Abstoßendes an sich.

Sie machten mir Angst, denn ein Besuch im Krankenhaus war selten ein guter.
Heute war es am schlimmsten für mich an diesen Ort des Grauens zu kommen.
Denn heute war kein gewöhnlicher Besuch und auch kein gewöhnlicher Anlass. Heute war einfach schrecklich.

Vor meinen Augen sah ich das Mädchen auf der Trage. Um sie herum tausende von Sanitätern.

Einzelne Strukturen waren zu erkennen, aber nur wenn man ganz genau hinsah, erkannte man das Mädchen, das sich meine Freundin nannte.

Da floss Blut aus offenen Wunden an ihrem Körper und klebte an ihrer Haut.
Überall.
Es tropfte an ihr hinab und hinterließ eine Lache aus Blut.
Dicke, rote Tropfen.
Eine so mächtige Substanz.

Scherben steckten in ihrem aufgeschnittenen Fleisch.
Dicke Scherben und ganz kleine Splitter.
Ihre Haare waren knotig. Wegen des verkrusteten Blutes war von den einzig seidigen Strähnen nichts mehr übrig.
Das Mädchen war blass.
Ihre Haut schien unter all der roten Flüssigkeit gelb und blau. Blaue Flecken, Blutergüsse und Narben brannten in meiner Erinnerung.
Ihre Füße lagen verdreht auf der Trage, schienen wie Gummi, das man verknotet hatte.
Sie sah anders aus.
Sie sah zerbrochen aus.
Sie sah tot aus.
Ärzte wimmelten um sie, versuchten ihre Wunden zu verbinden. Ihr Kopf bekam ihre meiste Aufmerksamkeit.

Das Gesicht blau und lila zerflossen, die Augen und Wangen angeschwollen, der Mund schief.
Ihre Stirn aufgeschlitzt und am Hinterkopf ein Loch aus dem wieder diese hässliche Flüssigkeit quoll.
Ihre blauen, sonst immer so wundervoll schönen, Augen standen offen. Aber ihr Blick ging durch mich hindurch.
Wie ausgeleert, vertrocknet.

Mir war noch nie so kalt gewesen.
Und ich hatte noch niemals so viel Schmerz gesehen, so viel vergossene Angst.

Man musste sie beatmen. Sie schaffte das nicht mehr alleine.
Ihre Lippen wurden von einer Maske überstülpt, ihre tiefen Wunden abgeklemmt, an ihrer Hand steckte eine Infusion.
Jeder sah hilflos auf sie nieder. Als sei es längst zu spät.

Kim und ich liefen wie mechanisch hinter ihr her.
Angsterfüllt, den Tränen nahe.
An der Notaufnahme dann, stoppte man uns. Hier endete der Schreckensweg und überlief in die Hölle. Einen Ort, den wir nicht betreten durften.
Eine Krankenschwester blieb bei uns. Sie sah aus, als würde sie voll Hoffnungslosigkeit selbst zu weinen beginnen.
Zaghaft stellte sie uns einige Fragen über Rosalie.

Ich konnte ihr kein Wort über ihre Patientin sagen.
Der Schreck versteinerte meine Glieder so sehr, dass ich meinen Mund nur für ein stummes Wimmern aufreißen konnte, das sich in Tränen vernetzte.
Kim blieb stark für mich. Monoton ratterte sie Rosies Lebensdaten hinunter, den Blick starr zu Boden gerichtet.

Es war schrecklich.

Die Schwester sagte uns schließlich, dass wir selbstverständlich warten könnten. Aber sie ließ uns ohne noch ein Wort zuletzt allein.
Allein ihr Blick aber, verhieß nichts gutes.

JAMES

Der Anblick, der sich mir bot, als ich am Krankenhaus ankam, drehte mir den Magen um.
Der Krankenwagen fuhr vor mir und ließ sie genau vor meinen Augen auf einer Trage  in die Notaufnahme überbringen.
Ärzte hetzten schon an der Tür auf sie zu. Jeder versorgte sie mit etwas Anderem.

Mich schockierte ihr Anblick.
Denn hätte ich sie nicht vorher schon mehrmals gesehen, hätte ich sie nun nicht erkannt.
Sie sah so anders aus.

Unser letztes Treffen war nicht einmal zwei Stunden her.
Sie hatte so wunderschön ausgesehen.
Eine betörend schöne Frau.
Und nun war sie kaum wieder zu erkennen.

ROSE - Warum weinst du? Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt