♦ 16. Kapitel

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Kurz war es still. Na ja, nicht wirklich. Um uns herum redeten und tratschten die Schüler. Motoren heulten auf und andere schrien umher. Doch zwischen mir und ihm war es eine kurze Zeit lang ganz still. Rivers Kehlkopf hüpfte auf und ab, als er meine Worte realisierte. Nervös kratzte er sich am Nacken und räusperte sich. »Okay. Lass uns aber erst von hier verschwinden, Rainbow.«
Mein Spitzname löste eine unerwartete Welle an Glücksgefühlen in mir aus. Es war, als würde mein Körper nur auf seine Stimme reagieren. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, mir das Ausmaß seiner Wirkung auf mich bewusst wurde. Tief holte ich Luft und versuchte nicht mehr daran zu denken. Doch das war schwerer, als es jemand für möglich gehalten hätte.
»Okay, was schlägst du also vor?«, fragte ich schnell noch, bevor River sich auf seine Maschine setzten und den Helm aufziehen konnte. Für einen Moment funkelte der Schalk in seinen Augen, dann lächelte er verschmitzt. Sein Lächeln erinnerte mich an das eines kleinen Jungen, der ein großes Geheimnis hütete. »Das behalte ich für mich. Lass dich einfach überraschen.« Innerlich verdrehte ich die Augen, konnte aber das kleine Lächeln auf meinen Lippen nicht leugnen. Und unterdrücken konnte ich es auch nicht. »Wenn es nicht so weit weg ist, ist es okay für mich. Ich bin am verhungern.« Genau zum passenden Zeitpunkt knurrte mein Magen, was River schmunzeln ließ und mir die Röte in die Wangen trieb.

Was allerdings eher an seinem Schmunzeln lag.
»Es ist nicht so weit, Rainbow«, versicherte er mir lächelnd. Und mal wieder löste mein Spitzname aus meinem Mund ein angenehmes Kribbeln in meinem Bauch aus. Mir wurde bewusst, dass vermutlich nur er mich so nennen konnte. Und es nur so eine Wirkung auf mich hatte, wenn er es zu mir sagte. Aus dem Mund von Mace würde es sicherlich nicht die gleiche Wirkung auf mich zeigen, was mich etwas aus der Bahn warf. Denn darin war ich mir sicher. Zu sicher. »Okay, ich vertraue dir einfach mal«, murmelte ich vor mich hin, da ich noch immer meinen Gedanken nachging. Obwohl ich nicht sicher war, ob ich ihm wirklich vertrauen konnte. Es nagten noch immer Zweifel an mir. Große Zweifel, die ich nicht so einfach aus dem Weg räumen konnte. Besonders, wegen dem Kuss gestern und seinem Verhalten heute. Es wirkte fast so, als hatte er mir aus dem Weg gehen wollen. Oder etwa nicht? Vielleicht gab es einfach etwas, was ich übersah.

Das konnte aber alles sein. Ich konnte alles übersehen. Oder ich übersah nichts. So viele Dinge, die ich nicht wusste und vielleicht auch nie wissen würde. Wer weiß das schon. Und wer wusste schon, wem ich trauen konnte. Richtig. Niemand. Und plötzlich riss mich River aus meiner Starre: »Mallory? Kommst du oder willst du auf dem Parkplatz Wurzeln schlagen?« Verwundert blinzelte ich und sah zu ihm. Auffordernd hielt River mir seinen Zweithelm hin. Wo er den plötzlich her hatte, wusste ich nicht. Aber irgendwie kam mir der Helm bekannt vor. Nur konnte ich nicht sagen, woher. Etwas an der Form und der Farbe kam mir auf jeden Fall bekannt vor. Auch, wenn ich mir nicht sicher war. Oder doch? Innerlich seufzte ich. Dann nahm ich den Helm einfach entgegen und zog ihn mir über. Kurz drauf saß ich hinter ihm und verharrte auf der Stelle. Seine Haltung wirkte so, als würde er auf etwas warten. Lange geschah nichts. Niemand rührte sich und River startete auch nicht den Motor.

In meinen Ohren hörte ich meinen rasenden Puls. Quälenden Minuten der Stille schienen zu vergehen. Ich wusste nicht genau, was River wollte oder erwartete. Doch dann bewegte er sich und kurz darauf nahm er meine Hände und legte sie um seinen Bauch. Seine Berührung hinterließ ein Kribbeln auf meiner Haut. Fast, als würde Feuer darüber tänzeln. Und als ich mich dicht an ihn pressen musste, da meine Arme nicht sonderlich lang waren, spürte ich, wie er stockend einatmete und für einen Moment all seine Muskeln anspannte. Dann entspannte er sich und schien ruhiger zu sein, als davon. Und kurz darauf fuhren wir vom Hof. Liesen die Schüler und die Schule zurück. Trotz der Zweifel die ich hatte, war ich auf der anderen Seite total entspannt und konnte nicht leugnen, dass mir seine Nähe gefiel. Vermutlich gefiel sie mir sogar etwas zu sehr. Gut, nicht nur vermutlich. Sie gefiel mir eindeutig zu sehr, aber irgendwie störte es mich nicht. Auch, wenn es das vielleicht sollte. Aber das konnte ich nach der Wahrheit immer noch entscheiden.

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