25.Kapitel

1.6K 383 128
                                    

Surprise!
.-.-.-.

Der Zug, den wir um 17 Uhr nehmen ist nicht sonderlich voll und wir haben ein Abteil ganz für uns. Das ist super, denn Louis ist so müde, dass er sich gleich über drei Sitze ausstreckt und fast sofort einschläft. Ich setze mich ans Fenster und sehe eine ganze Weile die Landschaft an, die daran vorbei zieht.

Von den restlichen Schweizer Franken, die noch übrig waren haben wir zwei Tickets nach Venedig gekauft und ruckeln nun Richtung Süden. Ein Schlafwagenabteil bekommen wir auch, aber erst ab Milan, wo wir um 22:15 umsteigen müssen. In Bologna werden wir zwei Stunden Aufenthalt haben, bevor es dann um 3:18 weitergeht nach Venedig. Ankunft in der Lagunenstadt ist um 5:30 Uhr am Morgen.

Was für ein Reiseplan. Ich bin jetzt schon müde, wenn ich mir das ganze nur ausmale. Im Bordbistro hole ich mir einen Kaffee, um ein wenig wacher zu werden und genieße die Ruhe im Abteil, beobachte Louis beim Schlafen und male mir aus, wie Venedig wohl sein wird. Ich kenne diese Stadt nur von Bildern, doch schon dort ist sie beeindruckend, daher bin ich total gespannt, wie sie so wirkt. Louis dreht sich im Schlaf auf den Rücken und streckt sich ein wenig. Er sieht ganz friedlich aus und wirkt fast schon, wie ein kleiner Junge. Im Grunde ist er ja auch noch ganz jung. Eine Haarsträhne ist ihm in die Stirn gerutscht und ich streiche sie vorsichtig zurück. Bei meiner Berührung zuckt Louis zusammen und ich wiederhole sie rasch, dieses Mal allerdings vorsichtiger. Mein Finger streicht ihm über die Wange und Louis schmiegt sich kaum merklich gegen meine Hand. Mir wird bei der Berührung ganz warm und ich lasse die Hand dort, wo sie ist.

Zum Glück schläft Louis, denn ich bin sicher, er würde das im wachen Zustand niemals zulassen.

Es ist interessant, wie ein einzelner Gedanke das ganze Verhalten beeinflussen kann. Hätte ich gestern nicht diese Anspielung gemacht und ihn gegen die Wand gedrückt, wäre ich nie auf die Idee gekommen, dass ich ihn attraktiv finden könnte. Und doch ist es so.

Ich fand ihn zuerst nervig, dann niedlich, weil er so unbeholfen ist. Und dann hat sich dieses niedlich in ein attraktiv verwandelt. Louis' Unerfahrenheit macht ihn anziehend für mich und ich frage mich, ob das der einzige Grund ist.

Die Art und Weise, wie er anfangs den Sex zwischen zwei Männern abgewertet hat, könnte in mir natürlich auch so eine Art Jadginstinkt ausgelöst haben. Vielleicht will ich ihm zeigen, was Liebe zwischen Männer alles sein kann, weil ich einfach nicht auf mir sitzen lassen kann, dass Louis Vorurteile hat. Allerdings wäre es doch ziemlich gemein von mir, nur deswegen mit ihm zu flirten. Und sind wir mal ganz ehrlich, das ist nicht der eigentliche Grund für meine Gefühle, ganz egal, wie sehr ich gerade versuche, mir das alles schön zu reden.

Gefühle...wenn man das, was mich umtreibt, überhaupt schon Gefühle nennen kann. Momentan ist es eher ein Gedankenspiel – und das sollte ich auf keinen Fall allzu ernst nehmen, denn immerhin ist Louis der Erbe eines großen Unternehmens und ich nur ein abgerutschter Kleinkrimineller auf der Flucht.

Das allein ist schon keine sonderlich gute Grundlage.

Ich schließe kurz die Augen und muss über mich selbst lachen. Was erhoffe ich mir da eigentlich? Was versuche ich mir einzureden? Will ich hier die große Liebe finden, oder was?

Das wird nicht passieren! Zumindest nicht so, aber was ich tun kann, ist die Zeit mit Louis zu genießen, ohne allzu viel in Dinge hinein zu interpretieren.

Wie von selbst streichelt meine Hand Louis' Kopf auf dem Platz neben mir und ich spiele abwesend mit einzelnen Haarsträhnen.

„Harry?" Er ist aufgewacht und sieht mich verschlafen an. Sofort ziehe ich die Hand zurück, doch er stupst mich auffordernd mit dem Kopf an: „Das war schön, du kannst gerne weitermachen", sagt er leise. „Bist du sicher?"

9-2-9 • Buch I (Two Hearts Reihe)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt