37.Kapitel

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„Muranoglas. Nichts neues hier in der Stadt", sagt er leise und mustert das Armband. Er nimmt es vorsichtig aus der Schachtel und wiegt es in der Hand. „Die Perlen sind ziemlich groß, die müssten einiges wert sein." Wieder kommt das Uhrmacherglas zum Einsatz und er sieht sich die Musterung der Perlen genauer an. Ab und zu brummt er dabei etwas vor sich hin und es hört sich so an, als würde er ein Gespräch mit sich selbst führen. Nervös stehe ich vor dem Tresen und sehe ihm dabei zu. Das bemerkt er und nickt zu einem Stuhl hin, auf den ich mich vorsichtig setze.

Nachdem er sich alles genau angesehen hat, legt er die Lupe beiseite und legt die Handflächen zusammen, mustert mich und sagt dann leise: „Ich kann dir für beides zusammen 500€ geben. Du scheinst ein ganz gutes Händchen für sowas zu haben, weißt du?"

„So? Meinen Sie?", frage ich und sehe ihn an. Er erinnert mich so sehr an Forster, dass ich am liebsten aufstehen und gehen würde. Ihn umgibt eine gewisse Unnahbarkeit.

Und irgendwie auch eine gewisse Gefahr.

Aber wir brauchen Geld und er ist nun mal eine gute Quelle für mich.

„Ja, das meine ich und ich möchte dich bitten, in Zukunft etwas mehr hiervon abzuliefern. Schmuck mit Muranoglas ist sehr beliebt bei den Touristen, aber viele sind nicht bereit dazu, den richtigen Preis zu bezahlen. Sie werden die Ketten und Ringe hier günstiger bekommen und wenn du schnell nachlieferst, dann kann ich dir regelmäßig Geld dafür geben." Er reicht mir einen Geldschein und hält mir die Hand hin. Wenn ich einschlage, sind wir im Geschäft.

Und das tue ich. Sein Händedruck ist fest, doch ich kann ihm standhalten und so kommt es an diesem Abend zur Zusammenarbeit zwischen uns beiden.

Ob mich das erleichtert, kann ich nicht wirklich sagen. Den ganzen Rückweg zum Hotel denke ich darüber nach, ob es wirklich eine gute Idee war, auf das Angebot einzugehen, denn ich weiß genau, dass ich mich ab jetzt selbst unter Druck setzen werde, weiter zu stehlen, um die Sachen zu verkaufen. Eine Spirale hat angefangen, sich in Bewegung zu setzen und sie macht mir Angst, denn die Bewegung kennt nur einen Weg.

Nach Unten.

Dabei habe ich mich doch gerade ein bisschen nach oben gearbeitet. Zumindest fühlte es sich so an.

In den letzten Tagen habe ich mich so oft ganz normal gefühlt, dass ich manchmal fast schon geglaubt habe, die Taschendiebstähle hinter mir lassen zu können. Allerdings habe ich ja auch auf Kosten von Louis' Onkel gelebt und auch dieses Budget ist irgendwann erschöpft. Wenn das der Fall sein wird, dann weiß ich genau, was mir wieder für eine Karriere blüht.

Nachdenklich schlendere ich am Kanal entlang und sehe einer Plastikfolie nach, die auf der Wasseroberfläche treibt.

Ich habe keinen Plan, was ich mit meinem Leben anfangen will. Ist das nicht beängstigend? Sollte man in meinem Alter nicht wissen, was man will und sich dafür einsetzen, dass es klappt? Sich ein eigenes Leben aufbauen, Sicherheiten haben?

Ja, das sollte man, allerdings scheine ich dafür kein Talent zu haben. Wobei ich auch zugeben muss, dass ich mich in dieser Hinsicht auch nie wirklich angestrengt habe. Der Weg des geringsten Widerstandes war schon immer der meinige. Louis hat es da leichter. Er weiß, was er später einmal machen wird – oder machen soll. Er hat Sicherheit, der Weg ist geebnet. Ein gemachtes Nest, in das er sich nur zu setzen braucht.

Ich bin schon zu früh aus dem Nest gefallen und flattere wie ein junger Vogel auf dem Boden herum. Ab und zu schaffe ich es abzuheben und stürze dann wieder hinab. Bei dem Vergleich muss ich lächeln, denn ich bin überrascht, dass mir sowas überhaupt eingefallen ist.

Aber es passt und zwar wie die Faust aufs Auge.

Apropos Faust – ob Forster immer noch auf der Suche nach mir ist? Oder hat auch er unsere Spur in Berlin verloren und wartet nun in England darauf, dass ich irgendwann zurückkomme?

9-2-9 • Buch I (Two Hearts Reihe)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt