4. Flucht & Veränderung

57 4 0
                                    

Solaria

Schwerfällig hieve ich mich aus meinem Bett, es muss wohl gerade mitten in der Nacht sein, ich habe das Zeitgefühl wieder völlig verloren. Ich schlurfe erschöpft und mit verkrampften Gliedern zum Fenster und hocke mich auf die Fensterbank. All diese Sterne, Stellas funkelnde Sterne. Sie geben mir Trost.

Ich weiß nicht ob es daran liegt, dass ich überhaupt etwas am Himmel entdecken kann, und die Sterne nicht wie der Mond verschwunden sind. Es könnte auch daran liegen, dass das All unendlich ist. In der Dunkelheit kann ich mich verlieren, all meine Sorgen beiseite schieben. Vielleicht ist es auch einfach nur die Schönheit, von der ich mich immer auf's neue verzaubern lassen kann. Dieses Funkeln, die vielen Lichter, die Ruhe, die sie ausstrahlen. Diese Ruhe, die herrscht. Als könnte ich nach den Sternen greifen, sie mir hier in mein dunkles Zimmer holen, und Licht in mein finsteres Herz bringen.

Alles, was meine Familie für mich tut, ist so liebenswürdig. Meine Eltern sind immer für mich da und versuchen, mir irgendwie zu helfen. Unter Herrschergöttern gab ich noch nie einen Fall wie mich, sagte einer der Gelehrten, von daher weiß keiner so genau, wie er mir helfen kann. Sie versuchen es, jedoch ist alles was sie tun umsonst, denn es bessert sich nicht. Es wird eher schlimmer, je älter ich werde.

All die Feste und Bälle, die mein Vater für mich veranstaltet hat, sie müssen so viel gekostet haben. Und ich habe niemanden gefunden. Ich fühle mich schuldig deswegen. Es muss einen anderen Weg geben, um das Problem zu lösen.

Ich ziehe die Beine an und schlinge meine Arme darum, sehe hinaus.

In diesem Palast gibt es keine Heilung für mein Herz. Vielleicht können mir andere Götter helfen. Vielleicht finde ich mein Glück in anderen Regionen als im Süden. Vielleicht können die anderen Herrschergötter etwas ausrichten. Es muss eine Möglichkeit geben. Es muss einfach.

Ich werde nicht einfach weiter hier herumsitzen und mir vergeblich helfen lassen. Ich muss mir selbst helfen können.

Plötzlich voller Tatendrang springe ich auf. Neue Energie schießt durch mich hindurch. Ich hole einen Beutel aus der Kommode und packe ein paar Sachen ein und ein wenig Geld. Ich schüpfe aus dem Kleid suche in meinem Kleiderschrank nach einer Hose und einem Hemd. Ich besitze fast nur Kleider, aber irgendwo müssten auch Hosen sein.

Als ich die passenden Kleider endlich gefunden habe ziehe ich sie an. Mit meinen Schuhen warte ich noch, die sind zu laut.

Leise öffne ich die Zimmertür und luge auf den Flur. Niemand ist zu sehen, also schleiche ich den Flur entlang, dann die Treppe hinunter. Ich hoffe, dass es jetzt mal etwas dunkel bleibt draußen, sonst wird es schwierig, unbemerkt zu verschwinden.

Sie müssen nicht wissen, wohin ich gehe. Ich muss das alleine schaffen. Ich habe ihnen schon genug Sorgen bereitet. Mein Verschwinden wird ihnen das Herz brechen, aber vielleicht werden sie ja verstehen, was ich vorhabe. Vielleicht verstehen sie ja, dass ich mich schuldig fühle und nicht länger eine Last sein will. Das geht schon mein ganzes Leben lang so. Für mich gibt es hier keine Zukunft, und es wird Zeit, es selbst in die Hand zu nehmen.

Unten an der Treppe angekommen flitze ich durch die dunklen Flure. Ein paar Kerzen brennen noch, ein paar Wachen stehen auf ihren Posten, aber ich kenne diesen Palast besser als jeder andere hier. Niemand sieht mich, und ich gelange unbemerkt hinaus in den Park.

Gierig sauge ich die kühle Luft ein und sehe noch einmal hinauf. Die Sterne werden mich begleiten, sonst niemand. Jetzt kann ich auch meine Schuhe anziehen.

Weiter hinten im Park gibt es ein kleines Loch in der Hecke. Es entstand durch einen Sturm, der Wind packte den Busch und riss ihn hinaus, als sei er komplett morsch. Die Gärtner haben schon einen neuen gepflanzt, aber er muss erst noch wachsen. Also kann ich mich einfach durch die Lücke zwängen. Dahinter ist noch ein Zaun, aber vor ein paar Jahren hat Stella ein altes Tor entdeckt, nur einige Meter weiter, und es mir gezeigt. Es gab wohl mal einen Ausgang, aber der wird nicht mehr genutzt.

Sonnenwind (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt