9. Wälder & Jäger

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Solaria

Zur Abwechslung mal richtig fröhlich verlasse ich den Tempel wieder, drehe mich draußen noch einmal um, damit ich mir einprägen kann, wie er aussieht.

Ich weiß, dass ich weiter zu dem nächsten Tempel muss, aber zu Fuß schaffe ich das wohl doch nicht. Schon gar nicht so weit in den Osten, wo er sich befindet. Um ihn zu erreichen, muss ich zuerst den weiten Weg fast zurück bis nach Mutario, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, Soldaten meines Vaters in die Hände zu fallen. Dann muss ich den breiten, reißenden Fluss durchqueren, was auch noch schwierig werden dürfte. Und dann kommt nur noch Flachland, wo man Kilometerweit geradeaus sehen kann. Ich wäre ein leichtes Ziel.

Nein, meine nächste Anlaufstelle soll Altrumi sein. Vielleicht können Ariae und Terrka mir helfen. Die beiden Herrschergötter sollen noch ein sehr junges Paar sein, sie haben noch keine Kinder. Bestimmt geben sie mir ein warmes Bett und ein Pferd für die Weiterreise.

Bis nach Altrumi ist es auch lange nicht so weit wie zu dem nächsten Tempel.

Wenn ich weiter in den Norden gehe, muss ich den zerstörten Wald auch nicht wiedersehen. Ich will noch immer nicht glauben, dass dieser gewaltige Sturm nur umherfegte und alles zerstörte, weil ich Mutario verlassen habe. Aber anders kann ich mir einen Tornado im Götterreich sowieso nicht erklären. Ein weiterer Grund jedenfalls für mich, schnell weiter zu reisen.

Später als ich gen Norden wandere, plumpst einfach so die Sonne wieder hinter den Horizont, und innerhalb von wenigen Minuten ist es dunkel genug, um leicht über Äste und Wurzeln zu stolpern, sodass ich gezwungen bin, eine Pause einzulegen.

Obwohl es in dem Sturm wirklich eine Qual war, jetzt bin ich froh darüber, das kleine Zelt abgebaut zu haben. Jetzt kann ich es wieder aufbauen und darin dösen. Es ist eigentlich erst Nachmittag, vielleicht fünf Uhr oder so, aber bei dieser Dunkelheit könnte man auch meinen, es sei mitten in der Nacht.

Die Worte auf den Steintafeln im Tempel beschäftigen mich. Dort stand gschrieben, dass ein Herrschergötterpaar immer mehr oder weniger zur gleichen Zeit geboren wird. Ich wurde vor zwanzig Jahren geboren, und wenn es sich wirklich nur um ein paar Jahre abstand handelt, dann müsste es den Mondgott längst geben. Und er muss irgendwo im Land sein. Ich bin im Palast in Mutario geboren, also stammt der Mondgott aus dem Volk.

Mein Herz hüpft aufgrund dieser neuen Erkenntnisse. Doch so schnell wie das Lächeln auf meinem Gesicht sich ausbreitet, so verschwindet es auch gleich wieder.

Wie kann es trotzdem sein, dass er nicht existiert? Wie kann es sein, dass auf den Tafeln im Tempel von beständiger Wiedergeburt die Rede ist, aber der Mondgott nie geboren wurde? An der Wahrheit und Richtigkeit des Tempels zweifle ich nicht, also muss etwas anderes schief gelaufen sein.

In meinem Unterbewusstsein spukt immerzu der Gedanke an Mord, aber ich will ihn nicht weiter ausführen. Er muss leben. Er muss einfach!

Die Sonne geht gerade wieder auf, und ich habe einmal mehr keine Ahnung, wie spät es im Moment sein könnte oder wie lange ich hier gelegen habe.

Träge baue ich das Zelt ab und mache mich wieder auf den Weg. Immer gen Norden.

Schon so oft habe ich mir mit meiner Schwester den Kopf darüber zerbrochen, was dem Mondgott zugestoßen sein könnte.

Wir sind nie zu einem Ergebnis gekommen, und ich verdränge die Gedanken daran. Sie schmerzen bloß, und auf dieses Leid kann ich wirklich verzichten.

Im Wald wo ich wandere, ist keine Menschenseele unterwegs, also setze ich die Kapuze des Umhangs nicht auf. Eine Weile laufe ich geradeaus, komme in einen richtig guten Rythmus. Meine Füße haben sich bereits an die viele Lauferei gewöhnt, sie schmerzen nicht mehr so sehr wie in den ersten Tagen.

Sonnenwind (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt