Auf dem Flug sitze ich neben Colin und Dain. „Wie lange kennt ihr euch eigentlich schon?" frage ich die beiden. Colin schaut mich an. Ich habe Dain kurz nach dem Tod meines Bruders im Netz gefunden. Ich war in einem Forum für verwaiste Eltern unterwegs. Da war ich eigentlich falsch mit meinem Kummer, aber ich habe keines für verwaiste Geschwister gefunden. Dain hatte zeitgleich die selbe Idee. Wir haben in der Nacht lange gechattet und uns von unserem Leid erzählt. Mit Dain konnte ich einfach über alles reden. Er hat mich verstanden. Und ich ihn. Ich habe ihn auch später in vielem gefragt wo ich mich nicht entscheiden konnte oder Hilfe brauchte. Dain hat mit mir die Leidenschaft für Computer entdeckt und wir haben angefangen zusammen Blödsinn zu machen. Wir haben uns just for fun in Firmencomputer gehackt und son Zeugs. Doch meine ganze Wut und den Frust konnte ich nicht kanalisieren. Dain hat mir immer geschrieben dass er sich beim Kämpfen abreagieren kann. Mama hat mir aber kein Geld für Trainingsstunden gegeben. Ich hab immer öfters auch im realen Leben Ärger gemacht. Bis Dain mir eines Tages seine Guitarre geschickt hat. Er hat seine Übungsfiebel für mich übersetzt. Von da an konnte ich all meine Wut und Frust in der Musik verarbeiten. Dain hat mir praktisch das Leben gerettet." „du hast ihn damals schon geliebt Dain, oder?" Dain nickt und Colin schaut überrascht. „Wie kommst du darauf?" „Dain hat man nur in der Halle, am Computer oder hinter seiner Guitarre gesehen. Die Lieder die er gespielt hat haben seine Emotionen ausgedrückt. Die Wochen und Monate bevor Dains Guitarre verschwunden ist hat er zunehmend traurigere Lieder gespielt. Und dann war sie weg. Von jetzt auf gleich. Wir haben alles abgesucht. Dain war nicht mehr er selbst. Hätte er vorher die Möglichkeit sich mitzuteilen war er nun komplett verstummt. Ask hatte vermutet dass Dain seine Guitarre weggeworfen hat um sich noch mehr zurückzuziehen. Wir haben gedacht er packt es nicht. Er hat nichts gegessen. Nur trainiert und am Computer gesessen. Wir haben wirklich geglaubt er brächte sich um. Hast du eigentlich gewusst dass er sie dir schickt?" Dain schüttelt den Kopf und Colin sagt: „Nein. Das war eine Überraschung. Eine Nachbarsfamilie hat sie mir eines Tages gebracht. Mit vielen Grüßen von einem kleinen Shaolin Kämpfer aus Tibet. Ich war total überrascht und hab erst auch gar nicht gewusst was ich damit soll. Doch als ich Dains Brief dazu gelesen habe wusste ich es. Die Guitarre hilft dass die Menschen dein Innerstes hören. Du kannst ihre Seele berühren und in deine schauen lassen. Die Musik ist der bessere Weg der Kommunikation.
Ich habe ab dem Tag die Guitarre nie wieder aus der Hand gelegt." nach einer kleinen Denkpause fragt Colin: „Was ist aus Dain geworden?" „eines Abends saß er plötzlich wieder beim Essen und als ich ihm meine Guitarre gegeben habe hat er wieder gespielt." Antworte ich. „War das der Tag an dem ich dir geschrieben habe dass sie angekommen ist?" fragt Colin Dain. Sie lächelt und nickt. Er gibt ihr einen zarten Kuss. „Du hast mir damit wirklich das Leben gerettet, weißt du das?" sie nickt und schaut ihm in die Augen. Er umarmt sie und schaut mich wieder an. „Ich habe dann keinen Mist mehr gemacht. Ich bin nicht mit Matt und Daryl in die Gang gegangen. Auch wenn ich mit dem Chaos Brüdern weiter dick befreundet geblieben bin. Ich habe angefangen mit Adam und Doris Musik zu machen. Doris wollte immer was von mir. Das hat genervt. Sie hat immer behauptet dass die Musik uns verbinden würde. Ich hab aber gewusst dass mich die Musik mit dem Shaolin Kriger verbindet. Die Familie hat mir sein Foto geschenkt." Colin grinst verschämt. Er zieht ein uraltes, zerknicktes Foto aus dem Portmonee das er einlaminiert hat. Es zeigt Dain in seiner typischen Touristen Haltung mit kahl rasiertem Kopf und in der orangenen Kutte. Die Hände wie zum Kampf angewinkelt, die Fäuste geballt und ein Bein im Spagat über den Kopf gestreckt. Er hält sein Gesicht grimmig in die Kamera als wolle er gleich töten. Doch aus seinen Augen spricht noch die Trauer. Ich sehe wie sehr Dain damals gelitten hat. Mir kommen die Tränen. „Oh, scheisse Dain! Es spricht das Leid der ganzen Welt aus dem Gesicht!" sie beugt sich zu dem Foto und nickt. Sie streichelt Colin. Mir geht ein Licht auf: „warst du wegen Colin so traurig?" sie nickt. Er schaut sie verliebt an. „ Ich habe dieses Foto bewundert. Dieser Kämpfer der sich nicht von seiner Trauer besiegen lässt war mein Leuchtturm, mein Rettungsanker. Jede noch so blöde Frage hat er mit mir zusammen gelöst. Für jedes Problem hat er sich Zeit genommen und wir haben sie gemeinsam aus der Welt geschafft. Alle meine Gefühle und Gedanken konnte ich diesem Helden hier anvertrauen. Und der hat immer geantwortet. Colin schaut so verliebt und dankbar auf das Bild. „Er war wie mein Bruder." „Wusstest du dass Dain ein Mädchen ist?" „Theoretisch ja. Aber mit 10 ist das irrelevant. Und auf dem Bild wo er 14 ist, sah er aus wie ein Junge. Ich habe immer mit ihm gesprochen als sei er ein Junge und er hat sich auch so genannt. Erst als Dain in mein echtes Leben getreten ist wurde es komisch. Er sah immer noch aus wie ein Mann und hat gehandelt wie ein Mann. Der virtuelle Freund war 1:1 in mein Leben getreten. Es war vom ersten Sehen an klar dass das mein bester Freund ist mit dem ich meine Seele teile." „Das habe ich bemerkt." Colin und Dain Lächeln. „Ja, du bemerkst so was." sagt Colin. „Wieso seid ihr zusammen gekommen? Ich meine, so langjährige Freunde liebt man doch eigentlich nicht, oder?" Colin überlegt. „Weißt du noch der Abend auf dem Festival? Thorsten hat Dain bis ins Mark verletzt und er ist explodiert. Alle waren entsetzt oder geschockt von Dains Reaktion aber ich konnte ihn so gut verstehen. Gegen diese Wut haben wir beide Jahre gekämpft und Dain ist ihr an dem Abend erlegen. Ich bin ihm hinterher gerannt weil ich wichtig fand dass er weiß dass ich ihn verstehe und für ihn da bin. Dain war so verschlossen wie noch nie. Ich wusste nicht wie ich an ihn ran kommen soll und da habe ich ihm mein Tatoo vom Todestag unserer Brüder gezeigt. Er hat sich an mich gedrückt und geweint. Na und wenn du deine beste Freundin und Seelenverwandte tröstend im Arm hälst dann ergibt sich alles andere. Sie zu küssen war wie nach Hause kommen. Es hat sich richtig und gut angefühlt." Dain lächelt verträumt und nickt. „Ihr seht schon manchmal so aus als könntet ihr gegenseitig eure Seelen streicheln." sage ich sinnierend. Nun strahlen mich beide an. „Wenn du das sagst dann glauben wir das. Du hast die Gabe hinzuschauen und hinzuhören."