Brother Brother

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Ein Mann mit solchen Problemen spielte Gitarre? Gina schüttelte den Kopf. Der Mann wurde immer merkwürdiger! Doch dann gab sie sich einen Ruck und klopfte an die Tür. Sofort verstummte das sanfte Klimpern und sie hielt unwillkürlich den Atem an. Dann hörte sie, wie sich langsam Schritte näherten und dann eine bekannte Stimme misstrauisch fragte:"Wer ist da?" Sie hörte Angst, aber auch Zorn in seiner Stimme und antwortete mit piepsiger Stimme:"Ich bin es. Ihre Nachbarin. " Stille. Keine Antwort kam von der anderen Seite der Tür. Minutenlang herrschte Schweigen, bis Gina ungeduldig wurde und rief:"Ich habe keine Ahnung wer Sie sind und was Sie machen, aber ich finde es eine Unverschämtheit, dass Sie mir mit ihrem Gebrabbel Angst machen und sich wie der letzte Arsch verhalten! " Zitternd endete sie und horchte angestrengt, ob sich etwas in der Wohnung rührte. Nichts. Kein Ton kam durch die Tür und enttäuscht wandte sie sich ab. "Vielleicht lassen Sie mich ja jetzt endlich in Ruhe ", murmelte sie noch, bevor sie eilig die Treppen hinab sprang. In ihrer Wohnung angekommen, warf Gina sich erst mal auf die Couch und starrte aus dem Fenster. So mutig war sie noch nie gewesen! Aber vielleicht hatte sie sich jetzt einen Feind gemacht. Vielleicht fing jetzt alles wieder von vorne an! "Bitte nicht! ", hauchte sie, als ihr die Tränen in die Augen schossen und schmiss sich schluchzend in die Kissen. Gina war hierher gezogen, weil sie einen Neustart wollte. Alles böse hinter sich lassen wollte. Sie dachte, in einer fremden Stadt würde sie die Leute vielleicht besser kennenlernen. War das jetzt alles ein Traum gewesen, aus dem sie nun langsam aufwachte und in die Realität kam?

Fast eine Stunde dachte Gina nach, bis sie dringend auf Toilette musste. Danach machte sie sich einen Tee und stellte Musik an. Als Bob Dylan zu singen begann, waren alle Sorgen auf einmal wie weg geblasen. Gina seufzte behaglich und holte sich ein Buch. Gerade saß sie in eine Decke gekuschelt in ihrem Sessel, als es an der Tür klingelte. "Was zum Teufel? " Sie stöhnte auf. Warum musste sie immer dann gestört werden, wenn sie sich gerade zu entspannen versuchte? Es klingelte erneut und entnervt warf sie die Decke zu Seite. "Ja doch! " Sie eilte zur Tür und blieb dann zur Salzsäule erstarrt stehen.
Vor ihr stand der morgendliche Besucher ihres Nachbarn und lächelte sie entschuldigend an. "Oh Hallo Frau..." Er stockte und Gina beeilte sich: "Kessler, Gina Kessler. " Der Mann nickte und reichte ihr die Hand. "Joey Kelly. Entschuldigen Sie die Störung, aber ich möchte mich für meinen Bruder entschuldigen, der Sie so mies behandelt. " Verwirrt runzelte Gina die Stirn, bevor sie fragte:"Wollen Sie nicht rein kommen? " Joey Kelly nickte und sie trat zu Seite, um ihn herein zu lassen. Beide nahmen auf dem Sofa Platz und Gina fragte etwas nüchtern:"Wieso entschuldigen Sie sich für ihren Bruder? Warum macht er es nicht selbst? So weit ich es mitbekommen habe, kann er sehr gut sprechen. " Sie klang barscher als beabsichtigt und biss sich schnell auf die Lippen, als sie seine überraschte Miene sah. Dann lachte er und sagte:"Gute Frage, aber Paddy ist kein Mann, der Fehler zu geben kann. Lieber ist er mit der Person bis an sein Lebensende sauer, als einen Fehler zu zugeben." Paddy. So hieß ihr Nachbar also. Ein seltsamer Name. Nachdenklich sah Gina in ihre Teetasse und fuhr dann erschrocken zusammen, als Joey Kelly sie am Arm berührte. "Sorry, aber Sie waren wie in Trance. " Gina lächelte und sagte dann bestimmt:"Können wir uns nicht duzen? Ich komme mir immer so alt vor, wenn ich mit "Sie" angesprochen werde." Er lachte und nickte. Dann wurde er wieder ernst und beugte sich etwas zu ihr vor. "Hat er dir irgendetwas getan? " Sofort bekam sie eine Gänsehaut und ihr wurde kalt. "Ge..getan? ", krächzte sie und starrte Joey erschrocken an. Dann schüttelte Gina wild den Kopf. "Nein! Er hat mich nur blöd angemacht und nachdem du weg warst und ich die Geschenke entdeckt habe, ist er irgendwie bedrohlich gewesen. Hat irgendwas von Anrufen und so erzählt. " Bei dem Gedanken schüttelte sie sich. Joey hatte genau zu gehört und atmete erleichtert auf. "Das hätte ich ihm auch nicht zu getraut. Paddy bauscht sich auf, brüllt rum, schlägt, wenn es sein muss auch Sachen kaputt, aber einer Frau würde er niemals wehtun! "

Über zwei Stunden redeten die beiden und verstanden sich prima. Über den Nachbar von Gina, bekam sie aber nicht viel heraus, denn da war sein Bruder sehr zurückhaltend. "Er muss dir alles selbst erzählen. Er bringt mich um, wenn ich was sage. " Irgendwie kam ihr das seltsam vor, aber sie schwieg.

"Es hat mich gefreut, dich kennenzulernen und mit dir zu plaudern ", sagte Joey, als er sich verabschiedete. Gina konnte das nur so zurückgeben und Joey schrieb ihr noch seine Nummer auf. "Falls mein Bruder wieder unverschämt wird. " Zum Abschied zwinkerte er ihr noch einmal zu und dann schloss sie hinter ihm die Tür. Sofort wurde sie wieder nachdenklich. Joey war das komplette Gegenteil seines Bruders. Er war lustig, aber auch ein bisschen geheimnisvoll. Nicht so wie Paddy, aber auch er gab nicht alles von sich Preis. Wovon Paddy wohl die Abkürzung war? Wahrscheinlich von Patrick. Und Patrick passte viel eher zu dem missmutigen Mann. Paddy passte zu einem Kind. Also beschloss Gina, ihn erst mal als Patrick einzuspeichern. Sie warf ihrer Decke und der mittlerweile leeren Tasse einen bösen Blick zu. Eigentlich könnte sie schon wieder ein Bad vertragen, aber dann löste sie sich wahrscheinlich ganz auf.
Also beschloss sie einen Spaziergang zu machen und packte sich warm ein. Es hatte den ganzen Tag geregnet und so war er ziemlich frisch geworden.

Als sie das Haus verließ, sah sie nach oben zu dem Fenster ihres Nachbarn und erschrak. Er stand am Fenster und schien auf sie hinab zu sehen. Schnell wandte sie sich ab und hastete Richtung Park davon. 

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