Dieses blöde graue Loch

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Erst jetzt fiel mir ein, dass ich für Yassi nichts unternommen hatte. Ich war so mit mir selber beschäftigt gewesen, dass ich sie komplett vergessen hatte.

Mit einem Scheißgefühl drängelte ich mich durch die Massen durch, bis ich meine Freundinnen gefunden hatte.

Die sahen mir natürlich sofort an, das etwas nicht stimmte.

"Kaya, was ist los?", erkudigten sich Cara und Charly gleichzeitig und zogen mich besorgt zur Seite.

Aufgewühlt schüttelte ich den Kopf.

"Ich hab gerade einen Typen geküsst, nur um Philipp eins reinzuwürgen. Er hat alles gesehen und mich gebeten es nicht zu tun, aber ich wollte es ihm einfach nur heimzahlen. Nach dem Kuss bin ich aber sofort abgehauen weil ich mich so unwohl dabei gefühlt habe und da ist mir eingefallen, dass ich mich nicht darum gekümmert habe, dass Yassi ihren ersten Kuss bekommt. Ich war egoistisch genug, dass ich meine beste Freundin, die sowieso schon Schwierigkeiten hat, vergessen habe. Ich hab sie einfach stehen gelassen."

Charly lächelte.

"Hast du nicht. Guck mal."

Sie zeigte auf zwei Leute, die eng umschlungen tanzten. Es dauerte eine Weile, bis ich die zweite Person erkannte. Ich konnte meinen Augen nicht trauen.

Yassi tanzte mit Lion. Meinem Bruder.

Ich hatte Lion viel von Yassi erzählt. Er wusste, dass die Kommunikation mit ihr nicht gerade einfach war und hatte sie trotzdem zum Tanzen aufgefordert. Ohne sie zu kennen.

Für einen Moment vergaß ich alle meine Probleme.

"Ne oder?! Alter Verwalter, wie süß ist das denn? Da wäre ich ja nie im Leben darauf gekommen."

Cara und Charly nickten.

"Er ist einfach zu uns gekommen und hat sich Yassi vorgestellt. Sie hat ihn auch sofort als deinen Bruder erkannt. Ich schätze mal, sie haben sich im Krankenhaus kennen gelernt?"

Ich nickte.

"Sie haben sich damals im Krankenhaus kurz gesehen, sich aber nie einander vorgestellt. Gott, sind die süß, die passen ja zusammen wie Arsch auf Eimer."

Und das meinte ich wirklich. Ich konnte mir kein anderes Mädchen vorstellen, das besser an Lions Seite passen würde. Und andersherum freute ich mir so sehr, dass Yassi eine gute Erfahrung mit einem Jungen machen würde. Denn ich wusste genau, Lion würde sie nie in irgendeiner unschönen Weise abservieren, sollte es jemals so weit kommen. 

Neben Yassi und Lion tanzte ein anderes Pärchen, und ich brauchte garnicht erst abwarten, bis ich ihre Gesichter sah. Ich wusste auch so, dass es Philipp mit einem Mädchen war. Vermutlich seiner Freundin.

Ich starrte sie einfach nur an. Ich konnte meinen Blick nichtmehr losreißen. Das Mädchen hatte ich mittlerweile erkannt. Sie ging in meine Parallelklasse, aber außer, dass sie äußerst hübsch war, wusste ich nicht viel über sie. 

Aber es war nicht sie, die ich anstarrte. Es war Philipp. 

Wie er seine Hände um ihren unteren Rücken gelegt hatte und sie betrachtete, als gäbe es nichts Schöneres auf dieser Welt. Wie er ihr eins seiner umwerfenden Lächeln schenkte. Wie er sich vorbeugte und ihr etwas ins Ohr flüsterte. Wie sie daraufhin lachend ihren Kopf in den Nacken legte.

Und wie sie sich langsam so drehten, dass er mich erblickte.

Ich konnte genau sehen, wie er sich ein Stück versteifte. Ich konnte auch sehen, wie er den Griff um seine Freundin daraufhin verstärkte und sie näher an sich heran zog. Und das alles, während er mich anguckte. So, als wartete er auf eine Reaktion meinerseits. Oder als wollte er es mir ins Gesicht reiben, dass er sein Glück bei einer Anderen gefunden hatte.

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