Kapitel 3
Kummerfutter
Schniefend hastete Celeste zum Ausgang, wo das Auto stand. „Hallo Celeste.", grüßte Alister freundlich, als sie auf ihn zukam und öffnete ihr die Beifahrertür des Wagens. Als diese jedoch an der Tür vorbeiging, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen, sah er ihr verwundert nach und fragte sie, wo sie hinwolle.
„Hau ab, ich laufe heim.", war ihre Antwort. Der Android kam ihr hinterher und versuchte sie zu überzeugen: „Celeste, dein Vater möchte, dass ich sicherstelle, dass du heil nachhause kommst. Bitte komm zurück und steig in den Wagen."
Das Mädchen ignorierte ihn und begann schneller zu laufen. Alister tat es ihr gleich und holte sie rasch ein. Vorsichtig packte er sie an der Schulter, doch sofort riss sich der Teenager los und fuhr ruckartig zu ihm herum. „Verpiss dich!", schrie sie ihn an und wischte sich ihre Tränen aus dem Gesicht.
„Celeste, bitte.", sagte der Android eindringlich, doch mit einer solch weichen Stimme, dass es Celeste eigentlich hätte leidtun müssen, dafür dass sie so laut und ausfallend wurde. Aber von Reue war da keine Spur. Sie hasste ihn gerade einfach, weil sie seinetwegen das letzte Bisschen an Achtung unter ihren Mitschülern verloren hatte und ihr Selbstwertgefühl vor ihr zerschmettert am Boden lag. Als er versuchte sich ihr zu nähern, schubste sie ihn so doll, dass er einen Schritt nach hinten taumelte und seine kreisrunde LED gelb flackerte.
„Ich hab' gesagt, verpiss dich! Was ist so schwer daran zu verstehen? Sonst tust du doch auch, was man dir sagt, also lass mich gefälligst!", kreischte sie und ihre Stimme drohte bei jedem zweiten Wort abzubrechen, da sie immer noch am Weinen war. Danach wandte sie sich von dem Androiden ab und lief weg.
Als Celeste am späten Nachmittag nachhause kam, begegnete ihr Alister auf der Treppe zum ersten Stock und sprach sie an: „Ich werde mich gleich um das Abendessen kümmern. Hast du einen bestimmten Wunsch?"
„Nein, ich will nichts.", antwortete sie niedergeschlagen und ging mit gesenktem Kopf an ihm vorbei. Das junge Mädchen verkroch sich daraufhin in ihrem Zimmer. Für fast zwei Stunden lag sie dort einfach auf ihrem Bett und hatte mit ausdruckslosem Gesicht an die Decke gestarrt. Dabei fragte sie sich, wie es jetzt wohl in der Schule mit ihr weitergehen würde. Wie konnte sie sich nach dieser Blamage überhaupt wieder unter die Leute dort trauen? Plötzlich klopfte es an ihrer Tür. „Was ist?", rief Celeste aufgebracht.
„Tut mir leid, wenn ich störe, aber darf ich reinkommen?" Es war Alister, der vor der Tür stand und sie verdrehte die Augen. „Wenn's sein muss." Sie lehnte sich auf an das Rückenteil ihres Bettes und sah wie der Android mit einem Tablett in der Hand den Raum betrat.
„Du hast vorhin sehr traurig gewirkt, also habe ich dir etwas gemacht, dass dich vermutlich wieder aufmuntern wird.", sagte er, als er es zu ihr brachte. Überrascht schaute Celeste zu der Schüssel Chips und dem Glas Kakao auf ihrem Nachttisch und dann zu dem Android, der sich derweil wieder auf den Weg nach draußen gemacht hatte.
„Warte, wohin gehst du?", brachte sie mit verschnupfter Stimme hervor und blickte ihn dabei flehend an. Ihre Augen waren immer noch gerötet von all dem Weinen und sie war auch jetzt wieder kurz davor Tränen zu vergießen.
„Ich gehe nach unten.", erwiderte der junge Mann in Butler Uniform und wollte gerade durch die Tür.
„Nein, nicht! Bitte bleib hier!", bat sie ihn und er ging wieder zurück. Bereit seine nächsten Befehle zu erhalten, stand er vor dem Fußende ihres Bettes und schaute geradeaus.
„Alister...", begann Celeste und schluckte dabei schwer, um ihre Tränen zu unterdrücken. „Entschuldigung, dass ich dich so angeschrien habe an der Schule." Ihre Lippen bebten beim Aussprechen der Wörter, worauf der Android beunruhigt zu ihr herabsah, da er merkte, dass etwas mit ihr nicht ganz zu stimmen schien.
„Schon in Ordnung, Celeste. Ich bin sicher, du hattest gewisse Gründe für deine Aufregung.", wollte er sie beschwichtigen, doch die junge Schülerin bereute es zutiefst, wie sie mit ihm umgesprungen ist. Schließlich hatte er ja gar nichts falsch gemacht. Im Gegenteil, er hat ihr Verhalten einfach über sich ergehen lassen und war ihr nicht einmal böse dafür. Wie sollte er auch? Er ist letztlich ja nur eine empfindungslose Maschine. Andererseits brachte er ihr etwas, wovon er überzeugt war, dass es ihr in ihrem Zustand guttun würde auf das Zimmer. Für das Mädchen ein klares Anzeichen von Fürsorge und gleichzeitig ein Beweis, der gegen eine gefühllose Maschine sprach. Celeste war von seiner Geste schlichtweg gerührt. Die Tatsache, dass sie denjenigen angriff, der ihr nie etwas Böses wollte und nun versuchte, ihre Traurigkeit zu bekämpfen, bereitete ihr inzwischen sogar mehr Schmerz und Unwohlsein, als die Demütigung vor der halben Schule. Sie hatte erkannt, dass sie falsch gehandelt hatte und wünschte sich, die Zeit zurück drehen zu können. Nachdenklich nippte sie an dem Kakao und wand sich danach neugierig an Alister: „Woher weißt du eigentlich von meinem Kummerfutter?"
Der Android blinzelte verwirrt. „Dein... Kummerfutter? Meinst du damit etwa das Essen hier?" Man sah ihm an, dass er in seinem Kopf versuchte das Wort und dessen Bedeutung zu finden, doch er hatte es noch nie zuvor gehört und war daher verunsichert. Das junge Mädchen auf dem Bett lachte. „Na was denn sonst? Ich nenne es so, weil ich es nur esse, wenn ich mich sehr unglücklich fühle. Aber woher weißt du davon? Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieses ausgefallene Menü in deinem Programm steht."
Alister verzog seine Lippen zu einem schmalen Lächeln, als er sah, wie sich Celeste freute. „Naja, ich habe dich bereits öfters dabei beobachtet, wie du dir diese Sachen nimmst und damit in deinem Zimmer verschwindest. Zum Beispiel, als du dich neulich mit deinen Eltern gestritten hast." Offenbar hatte er alles richtig gemacht und ein Ausdruck der Zufriedenheit legte sich über sein Gesicht.
„Setz dich doch.", sagte Celeste anschließend, während sie im selben Moment mit der Hand auf das Bett klopfte und er saß sich zu ihr auf die Bettkante, die Hände dabei im Schoß gefaltet. Sie stopfte sich eine Handvoll Chips in den Mund und fragte kauend: „Weischt du eigendlisch, wann Mum wiederkommt?"
Der Android schüttelte seinen Kopf. „Nein, ich kann es dir leider nicht sagen. Soll ich sie für dich anrufen?"
„Vergiss es, ich hab' schon den ganzen Nachmittag versucht sie zu erreichen, aber sie geht nicht ran.", sagte sie und steckte sich eine weitere Fuhre Chips in den Rachen. Gedankenverloren schaute sie auf die gegenüberliegende Wand, wo ihre Bilder hingen. Ihr Zimmer war bei Weitem nicht mehr so farbenfroh wie einst vor ein paar Jahren. „Manchmal glaube ich, ich meinen Eltern ist ihre Arbeit wichtiger als ich. Dad ist immer nur in seinem Büro oder ständig auf irgendwelchen Baustellen und Mum hat nichts anderes mehr im Kopf als ihre Arbeit..." Celeste seufzte deprimiert, bevor sie mit gesenkter Stimme weitersprach. „Und in der Schule will auch keiner was mit mir zu tun haben. Jeden Tag machen sie mich fertig..." Sie kniff die Augen zusammen und nahm hastig einen großen Schluck von ihrem Kakao. Alister machte inzwischen ein besorgtes Gesicht.
Nachdem sich das junge Mädchen wieder einigermaßen zusammengenommen hatte, fuhr sie schließlich fort: „Entweder stimmt etwas mit meinem Aussehen nicht oder sie finden irgendetwas anderes, mit dem sie auf mich losgehen können. Gestern haben sie ein Gerücht über mich in die Welt gesetzt und heute haben sie dann..." Sie hielt inne für einen kurzen Moment. „Ist ja auch egal, was sie gemacht haben, jedenfalls... Menschen können so furchtbar sein, Alister. Ich verstehe nur nicht, wieso. Was habe ich denen denn bloß nur getan? Es ist einfach... Weißt du, manchmal..." Celeste stockten die Worte und sie kämpfte mit den Tränen. Verzweifelt sah sie den jungen Mann neben sich an, welcher ihr die ganze Zeit über aufmerksam zuhörte. Sie holte tief Luft und mit aller Kraft sagte sie dann letztendlich, was ihr schon seit einer halben Minute auf der Zunge lag. „Ich fühle mich die letzte Zeit einfach so allein gelassen!" Und damit brach der Damm, der all ihre Emotionen zurückhielt. Es kullerten dicke Tränen und schluchzend fiel sie schließlich ihrem Androiden um den Hals. Zurückhaltend legte ihr dieser seine Hände auf den Rücken.
„Du bist der einzige, der für mich da ist.", wimmerte sie als sie ihn fest an sich drückte und sich mit ihren Händen in seinen schwarzen Frack krallte. „Und ich bin froh, dass ich dich habe! Nie wieder werde ich dich so ungerecht behandeln, das verspreche ich dir! All diese Idioten aus der Schule sind mir egal! Irgendwann werden die schon ihre Strafe bekommen, dafür, dass die so scheiße zu mir sind." Celeste weinte noch einige Minuten in Alister's Armen und er versuchte sie zu trösten indem er sagte: „Du solltest dich nicht davon unterkriegen lassen. Alles wird gut werden. Da bin ich mir sicher."
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Binary
FanfictionAls Celeste Chandler 10 Jahre alt ist, erhält ihr Vater, ein renommierter Architekt aus Miami, von einem angesehenen Cyberlife-Mitarbeiter ein einzigartiges Androiden Modell als Geschenk für seine herausragende Arbeit. Der Butler-Android mit dem Nam...