Kapitel 16
Eiskalt erwischt
„Es braucht dir nicht leid zu tun, Alister. Dann machen wir eben etwas anderes." Während sie einige Meter unter den schneebedeckten Ästen der Bäume entlang gingen, kam der jungen Frau auch schon ein Einfall. „Ich habe in meinem Leben auch noch nie einen Schneemann gebaut. Wieso machen wir nicht einfach das?" Erwartungsvoll schaute sie zu Alister. Dieser hob gleichgültig die Brauen.
„Wenn das dein Wunsch ist, dann machen wir das. Ich helfe dir gerne dabei." Und so machten die beiden sich daran einen Schneemann mitten im Park zu bauen. Angefangen bei einem kleinen Bällchen aus Schnee, rollte Celeste eine immer größer werdende Kugel vor sich her. Als diese irgendwann den Durchmesser eines Autoreifens erreichte, bat sie Alister zur Hilfe, um sie noch ein Stück größer werden zu lassen. Die zweite Kugel rollte der Android selbst, da sich die junge Frau ihre frierenden Hände in den Taschen ihrer Jacke wärmte.
„So, fehlt nur noch der Kopf.", teilte er lächelnd seiner Begleiterin mit. Die Nase in ihren dicken Strickschal gesteckt, stand diese fröstelnd auf dem verschneiten Rasen. Von der anfänglichen Begeisterung, einen Schneemann zu bauen, nicht mehr die geringste Spur.
„Gut, dann mach du den Kopf, ich suche schonmal nach Stöcken für seine Arme und ein paar Steinen für das Gesicht.", trottete sie davon.
Nachdem die junge Frau zwei geeignete Stöcke fand, erblickte sie einen Haufen umherrennende Kinder in der Ferne, welche sich mit weißen Kugeln bewarfen. Ihre hellen, aufgeregten Schreie verrieten ihr, dass sie deutlich mehr Spaß hatten, als sie und brachten sie somit auf eine Idee. Celeste ließ die gesammelten Äste vor sich fallen und ging mit spitzbübischer Miene zurück.
Als der Android sorgfältig über die kleinen Unebenheiten des Schneemanns strich, traf ihn aus dem Nichts ein Schneeball an der Schulter. Überrascht drehte er sich nach hinten um. Nichts und niemand war zu sehen. Seine LED blinkte hellgelb auf und er überprüfte weiter die Umgebung. Von einem Baum konnte nichts heruntergefallen sein, denn es befand sich kein Ast über ihm. Er ahnte nicht, dass die Gefahr in diesem Fall hinter einem Baum lauerte und sich dort auf die Lippen biss, um nicht ins Gelächter zu fallen. In dem Moment, als er sich wieder umwandte, wurde er erneut von einer frostigen Kugel getroffen, weshalb er sich diesmal schlagartig umdrehte. Wieder pulsierte der kleine Kreis an seiner Schläfe gelb. Beunruhigt blickte er sich in der Schneelandschaft des Parks um. Dann zog ein schadenfrohes Lachen seine Aufmerksamkeit auf sich. Mit zwei Schneebällen in der Hand trat Celeste hinter einem der Bäume am Wegesrand hervor. „Da hab' ich dich wohl eiskalt erwischt, was?", gluckste sie, während Alister sie mit Unverständnis anblickte.
„Heißt das, du hast mich gerade abgeworfen?"
„Ja."
„Wieso solltest du so etwas tun?"
„Das nennt man eine Schneeballschlacht. Es ist ein Spiel. Man bewirft sich gegenseitig mit kleinen Bällen aus Schnee.", rief sie zu ihm herüber. „Am besten solltest du jetzt rennen oder mich angreifen, denn sonst trifft dich gleich die nächste Kugel."
„Dich angreifen?" Neben seiner LED, wies auch sein Gesichtsausdruck darauf hin, dass er dieses Spiel nicht verstand. Celeste ließ die Arme hängen und begab sich schließlich zu ihm.
„Also, pass auf.", begann sie. „Du formst dir einen Schneeball, ja? Ungefähr so." Sie beugte sich herunter, nahm etwas Schnee und presste diesen zu einem runden Ball. „Hier.", sagte sie, als sie ihn Alister entgegenhielt. Ohne zu zögern nahm er den kalten, weißen Ball an.
„Und jetzt?", fragte er neugierig. Die junge Frau machte derweil einige Schritte nach hinten.
„Und jetzt wirfst du ihn auf mich.", erklärte sie.
„Ich... Soll dich wirklich mit dieser Kugel bewerfen?"
„Alister, es ist nur Schnee. Es ist ein Spiel und man macht es zum Spaß." Ihr entfuhr ein entnervtes Stöhnen, als sie in sein zögerliches Gesicht blickte. „Jetzt komm schon! Wirf mich ab! Na los!", feuerte sie ihn an. Der Android hob langsam den Arm und zielte, während Celeste nun feiernd auf der Stelle hampelte. „Ja! Ja, so ist gut! Und jetzt schieß!"
Und im nächsten Moment prallte eine eiskalte Kanonenkugel direkt in ihr Gesicht, so heftig, dass sie benommen auf dem Rücken landete. Alles, was sie sah war weiß und der pulverisierte Schnee auf ihren Lippen fühlte sich durch die Kälte an, wie kleine Nadelstiche. „Celeste!", rief eine entsetzte Männerstimme. Besorgt beugte sich der Android schließlich über sie. „Celeste, ist alles in Ordnung? Es tut mir so leid, ich..." Als die junge Frau ihn ansah und dabei vorwurfsvoll mit ihren Schneeverzierten Wimpern schlug, verstummte er. Der Android fand keine Worte, sich zu erklären. Plötzlich machte sein betroffenes Antlitz ebenfalls mit einer Ladung Schnee Bekanntschaft und Celeste rollte sich lauthals lachend auf ihn, bevor sie nur eine Sekunde später davonrannte, um in Deckung zu gehen. Auch Alister sprang wieder auf die Beine und so jagten sie sich gegenseitig für die nächste halbe Stunde im Schnee.
Als sie wieder auf dem Rückweg zum Auto waren, kam zwischen all den Schneewolken über Detroit für einige Augenblicke die Sonne hervor. Sie färbte den Himmel rosarot und ließ den Schnee auf den Ästen der Bäume und dem Boden glitzern. Celeste liebte dieses Bild. Die funkelnde, weiße Decke ließ alles so friedlich aussehen. Außerdem genoss sie die Stille, die sie umgab. Bis auf Streufahrzeuge oder Schneepflüge war auf den Straßen kaum ein Fahrzeug unterwegs. Die meisten Menschen hatten sich schon bevor es dämmerte wieder in ihr Zuhause begeben, sodass man lediglich noch auf einige Androiden traf, die auf den Straßen und in den Parks ihrer Arbeit nachgingen. Plötzlich wurde die Stille auf angenehme Weise unterbrochen. „Hat dir der Nachmittag gefallen?"
Seine Begleiterin stoppte auf der Stelle. Mit einem breiten Grinsen und Augen so leuchtend wie der Polarstern sah sie den Androiden in sein engelhaftes Gesicht. „Alister, ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so ein herzerwärmendes Weihnachtsfest hatte. Und das habe ich ehrlich gesagt vor allem dir zu verdanken. Ohne dich wäre es nicht mal halb so schön gewesen." Der Android schaute Celeste tief in ihre Augen und ihn überkam ein Lächeln der Freude, wie sie es noch nie zuvor bei ihm gesehen hatte.
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Binary
FanfictionAls Celeste Chandler 10 Jahre alt ist, erhält ihr Vater, ein renommierter Architekt aus Miami, von einem angesehenen Cyberlife-Mitarbeiter ein einzigartiges Androiden Modell als Geschenk für seine herausragende Arbeit. Der Butler-Android mit dem Nam...