Kapitel 20 der Abschlussball

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Kapitel 20

Der Abschlussball

Detroit, Michigan

14. Mai 2038

17:27 Uhr

Grüne Augen unter rostbraun schimmernden Lidern blickten Celeste aus dem Spiegel entgegen. Vor ihr stand eine junge Dame in einem Cocktailkleid, farblich verlaufend wie ein Tequila Sunrise. Die vielen Glitzersteinchen, die sich von den langen Ärmeln bis hin zur Hüfte verteilten, funkelten wie tausend Sterne. Als die junge Frau sich ihre dunkle Nylonstrumpfhose zurechtzupfte, wäre sie um ein Haar umgeknickt. Schuhe mit Absätzen waren einfach nicht ihr Ding. Mit sieben Zentimetern standen die Chancen für sie gut, sich an diesem Abend noch den Hals zu brechen.

Das Klacken ihrer Schuhe, kündigte ihre anschließende Ankunft im Wohnzimmer der Chandlers an. Beim Anblick ihrer Tochter sog Celestes Mutter durch den offenen Mund die Luft ein. „Wunderschön", flüsterte sie hinter vorgehaltener Hand und griff mit der anderen nach der ihres Mannes, der direkt neben ihr auf der Couch saß. Kaum merklich nickte er und verzog die Lippen zu einem schmalen Lächeln. Schüchtern schaute die junge Frau auf die Spitzen ihrer golden schimmernden Pumps. Erst als sie wieder aufsah, fiel ihr auf, dass ihre Eltern ebenfalls eine besonders edle Garderobe trugen. „Wollt ihr etwa auch zum Abschlussball oder warum seid ihr so schick?"

„Wir gehen zum Abendessen aus und wollten danach noch ins Casino", erklärte ihr Vater. Ihrer Mutter hatte es sichtlich die Sprache verschlagen. „Für sechs Uhr ist der Tisch reserviert. Ich fahr schon mal den Wagen vor und dann können wir los", verkündete er im Aufstehen. Er ging auf seine Tochter zu und fasste sie an der Schulter. Stolz lag in seinen Augen, aber auch ein Funken Wehmut. „Viel Spaß heute Abend und lass dich ja nicht auf irgendwas wie ..."

„Colin!", mahnte Miranda von der Couch und schickte einen vernichtenden Blick in seine Richtung.

„Schon gut." Sich ergebend hob er die Hände und drehte im nächsten Moment seinen Kopf zu Alister, der sich am Fenster aufhielt. In den letzten Tagen hatte er die Angewohnheit entwickelt, gedankenversunken nach draußen zu schauen, wenn er gerade nichts zu tun hatte. „Alister, solange wir weg sind, wirst du wie üblich das Haus bewachen und niemand fremdes, außer Celestes Begleitung für den Abschlussball, hereinlassen."

„Verstanden", antwortete er auf die Anweisung des Vaters. Wie mechanisch drehte der Android sein Gesicht zurück zur Fensterscheibe, um es kaum eine Sekunde später mit beinah dreifacher Geschwindigkeit Celeste entgegenzurichten.

Nachdem ihr Vater das Zimmer verlassen hatte, erhob sich auch ihre Mutter und trat näher an sie heran. Das Glänzen in ihren Augen machte den Brillanten ihrer langen Ohrringe Konkurrenz.

„Es kommt mir vor wie gestern, als du noch mit geflochtenen Zöpfen und Buntstiften am Esstisch saßt. Wie schnell doch die Zeit vergeht." Mirandas Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Mit den Fingern wedelte sie vor ihrem Gesicht und blinzelte zur Decke. „Jedenfalls... Ich bin so stolz auf dich, mein Kind. Genieß deinen Abend", sagte sie und nahm ihre Tochter daraufhin in den Arm.

Ein Teil von Celestes Herz schmolz wie Eiswürfel in der Sonne und jetzt war sie es, die aufpassen musste, dass sie ihr Make-Up nicht durch Tränen ruinierte. Die letzte Umarmung ihrer Mutter war bereits so lange her, dass sie sich nicht mehr daran erinnern konnte.

Ein zweifaches Hupen ertönte. „Euch auch viel Spaß heute Abend!", wünschte Celeste und winkte ihrer Mutter anschließend, bevor diese aus dem Wohnzimmer verschwand.

Die Haustür fiel ins Schloss und das Geräusch eines aufheulenden Motors erklang wenige Sekunden später. Schüchtern schaute Celeste nun zu Alister, der immer noch am Fenster stand und sie wie eine Raubkatze mit seinen Augen fixierte. Ihre Blicke verhakten sich, was Celeste beinah unangenehm gewesen wäre. Sie fühlte ihr Herz plötzlich unter einem kalten Stein liegen. In ein paar Minuten würde sie das Haus zusammen mit einem anderen jungen Mann verlassen. Unfähig auch nur eine Silbe über die Lippen zu bringen, drehte sie sich schwermütig weg und machte sich zum Aufbruch bereit.

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