Kapitel 23 Enttäuschungen

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Kapitel 23

Enttäuschungen

Celeste trat in das Wohnzimmer. „Ihr dürft das nicht tun!"

Als hätte sie Chinesisch gesprochen, schauten ihre Eltern sie von der Couch aus an.

„Ich habe gehört, wie ihr darüber gesprochen habt, Alister abzugeben. Bitte tut das nicht", sagte sie mit brüchiger Stimme.

Ihre Mutter faltete die Hände vor der Brust. „Wir haben keine Wahl, Celeste." Sie schien zu verstehen, dass es hart sein musste, sich von dem Androiden zu trennen. Immerhin war er seit ihrem zehnten Lebensjahr an ihrer Seite.

„Nein!", krächzte sie. Es wäre einfacher gewesen einen Bullen zu reiten, als ihre Stimme unter Kontrolle zu bringen. „Mum, Dad ..." Sie nahm einen tiefen Atemzug. „Ich liebe Alister. Er ist zum Abweichler geworden, ohne dass ihr es bemerkt habt und er liebt mich auch."

Mit weit aufgerissenen Augen starrten sie ihre Eltern an. Ihre Mutter hielt sich die zitternde Hand vor den Mund.

„Du willst uns also sagen, dass du dich in eine leblose Maschine verliebt hast?", grollte ihr Vater.

„Alister ist keine leblose Maschine! Genauso wenig wie die anderen Androiden! Erkennt ihr das denn nicht?"

„Das einzige, was ich erkenne ist, dass es ein großer Fehler war, einen Roboter auf dich aufpassen zu lassen! Ich fasse es nicht, was ich da von meiner eigenen Tochter zu hören bekomme!" Er schlug mit der Faust auf den gläsernen Couchtisch und Celeste überraschte es, dass dieser keinen Sprung davon trug.

„Colin, be...", setzte ihre Mutter an, da erhob sich ihr Mann vom Sofa.

Wie ein Stier, der in Celeste ein rotes Tuch sah, polterte er auf sie zu. „Das ist eine Schande! Du bist eine einzige Enttäuschung! Ich schätze das kommt dann wohl davon, wenn man jemanden auf eine Schule voller unkultiviertem Abschaum schickt." Er drückte sie gegen das Bücherregal neben dem Eingang zum Wohnzimmer.

„Colin!", entfuhr es ihrer Mutter, die im selben Moment aufsprang.

Obwohl sie nur wenige Zentimeter voneinander trennten, schrie ihr Vater sie an. „Denkst du etwa deine Mutter und ich ermöglichen dir ein so teures Studium, damit du mit einem Androiden an deiner Seite endest? Wird mein Enkelkind dann etwa ein Kaugummiautomat? Du kannst dich von deinem Plastikprinzen schonmal verabschieden, ich rufe jetzt die Polizei und dann ist Schluss mit dem Wahnsinn."

Celeste trieb es Tränen in die Augen. „Jeder sieht Androiden bloß als kalte, empfindungslose und gefährliche Maschinen. Und jetzt steht mein eigener Vater vor mir und droht damit, mir denjenigen, den ich liebe auf gewaltsame Weise zu nehmen. Wer ist hier wirklich empfindungslos und gefährlich?", brachte das Mädchen mühsam hervor und wurde sogleich für ihre Worte bestraft. Entsetzt fasste sie sich an ihre, wie Feuer brennende Wange. Hatte er das jetzt wirklich getan? Seine eigene Tochter geohrfeigt, weil sie ihn mit etwas konfrontiert hatte, dass er einfach nicht hören wollte? Hilfesuchend sah sie zu ihrer Mutter. Als hätte sie gerade dieselbe Ohrfeige getroffen stand sie mit beiden Händen vor dem Mund da und es liefen Tränen. Celeste war sich dennoch nicht sicher, was sie mehr schockiert hatte. Dass sie einen Androiden liebte oder, dass ihr Vater sie geschlagen hatte? Jedenfalls konnte er sich ebenfalls auf eine Bestrafung gefasst machen, denn er schlug seine Tochter nicht nur vor den Augen ihrer Mutter. Erst jetzt stellten sie alle fest, dass Alister dem Streit seit einigen Sekunden beigewohnt hatte.

„Das hättest du nicht tun sollen", sagte er nur und schlug dem Familienvater mit der Faust mitten ins Gesicht, sodass dieser zwei Schritte nach hinten taumelte.

Er fasste sich an seine blutende Nase und knurrte. „Na warte, du scheiß Haufen Plastik!" Er griff sich einen der Schürhaken vom Kamin und stürmte auf Alister los.

„Alister, pass auf!", schrie Celeste panisch und ging in Deckung.

Gekonnt wich der Android dem ersten Schlag des Mannes aus und grub ihm seine Faust in den Magen. Der Vater keuchte auf. Er machte einen Rundumschlag mit dem Schürhaken und traf Alister ebenfalls am Oberkörper. Der Android geriet dadurch ins Wanken und sein Gegner nutzte die Gelegenheit, um ihm mit der eisernen Stange ins Gesicht zu schlagen. Gleich zweimal traf er ihn und das Weiß unter der Haut des Androiden kam zum Vorschein. Aus seiner Nase rann blaues Blut und er empfand zum ersten Mal physische Schmerzen. Benommen von dem völlig unbekannten Gefühl blieb er stehen.

„Colin, hör auf! Das reicht!" Wild gestikulierend trat Miranda auf der Stelle.

Der Vater ging auf den verwundeten Androiden zu, holte mit dem Schürhaken zu einem kräftigen Hieb aus und traf ihn am Bein. Alister knickte weg, als ihn nur einen Wimpernschlag später von unten ein gewaltiger Schlag in den Brustkorb traf, wodurch er zurückgeschleudert wurde. In dem Moment, in dem Alister auf dem Boden landete, bäumte sich Colin vor ihm auf. Den Schürhaken bereit zum Gnadenstoß erhoben, ertönte hinter ihm ein Schrei. „NEEEIN!", war das letzte, was er hörte, bevor er von einem harten, schweren Gegenstand am Kopf getroffen wurde und zusammensackte. Wenn man mit voller Wucht damit abgeworfen wurde, waren fünfhundert in Hardcover gebundene Seiten beinah so gefährlich wie ein Baseballschläger.

„O mein Gott! Was hast du getan?", kreischte Celestes Mutter, als sie zu ihrem bewusstlosen Mann stürzte, doch Celeste ignorierte sie und half stattdessen Alister auf die Beine.

„Los, komm! Wir müssen weg hier!"

Wenige Augenblicke später saßen die beiden im Auto, mit dem Alister Celeste immer von der Schule abholte und flohen mit sattem Tempo vom Grundstück der Chandlers. Nachdenklich blickte Celeste aus dem Fenster in die verschneite Nachbarschaft.

„Ist alles in Ordnung bei dir?", fragte Alister.

„Alles okay. Ich wurde immerhin nicht mit einer Schürstange angegriffen." Besorgt sah sie herüber zu dem Androiden. Seine Haut hatte er zwar wieder regeneriert, aber ihm lief immer noch Blut aus der Nase über die Lippen.

Konzentriert blickte Alister geradeaus. „Mach dir um mich keine Sorgen", sagte er kühl. „Hast du zufällig eine Idee, wo wir hinkönnten?"

Die junge Frau überlegte. „Ich glaube, es wäre das Beste, wenn wir das Land verlassen. Über die Grenze nach Kanada. Dort gibt es keine Gesetze für Androiden und wir wären zunächst sicher, falls es hier zu Ausschreitungen kommt." Sie machte eine Pause und überlegte weiter, während Alister schweigend das Auto fuhr. „Allerdings ... wir haben keine Pässe und meine Eltern werden uns und das Autokennzeichen sicher der Polizei melden. Über die Grenze zu kommen könnte also schwierig werden. Zumindest, wenn wir es auf offiziellem Wege machen." Seufzend ließ sie den Kopf hängen. „Wahrscheinlich würde Amy uns Unterschlupf gewähren, aber ich möchte ehrlich gesagt nicht, dass sie und ihre Mutter Schwierigkeiten bekommen. Am besten, sie weiß gar nichts von alldem. Wenn uns die Polizei sucht, werden sie bei ihr mit Sicherheit als erstes vorbeischauen." Celeste warf einen Blick zu Alister und stellte fest, dass er angestrengt aussah. „Alister, ist denn wirklich alles gut bei dir?" Es dauerte einen Augenblick, bis er ihr antwortete.

„Ja, ... alles in Ordnung." Sein Gesicht verzog sich zu einem gequälten Antlitz. Er kniff die Augen zusammen und stöhnte leise.

Misstrauisch beugte sich seine Beifahrerin nach vorne und musterte ihn. „Alister, was ist los? Sag es mir."

„Nichts, es ist nichts", presste er hervor.

„Wir sollten besser anhalten, meinst du nicht?" Sie erhielt keine Antwort auf ihre Frage, weshalb sie weiter drängte. „Alister, fahr an die Seite. Bitte!"

„Nein! Erst müssen wir weg von hier und einen sicheren Ort finden." Er klang bereits als wäre er kurz vorm Einschlafen und Celeste hob die Stimme.

„Alister! Du fährst jetzt auf der Stelle an die Seite, hast du mich verstanden?" Verzweifelt blickte sie aus der Windschutzscheibe und schrie auf, als sie plötzlich eine menschliche Gestalt auf der verschneiten Straße erblickte. „Achtung!", warnte sie den Androiden. Zu spät, denn er brach gerade am Steuer zusammen. Der Wagen raste auf den Menschen zu. In letzter Sekunde gelang es Celeste, das Lenkrad rumzureißen und dem Mann auf der Fahrbahn mit quietschenden Reifen auszuweichen. Das Auto geriet ins Schleudern und krachte schließlich gegen einen Laternenmast auf der Gegenspur.

è Weiterlesen bei Kapitel 25!

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