Kapitel 18
Schlaflos
Detroit, Michigan
18. Januar 2038
23:54 Uhr
An diesem Abend fand Celeste nur schwer in den Schlaf. Die Räder in ihrem Gehirn wollten einfach nicht stillstehen, weshalb sie sich im Minutentakt von einer Seite zur anderen wälzte. Seit gut einer Stunde gingen ihr immerzu die gleichen Fragen durch den Kopf. Ob Alister enttäuscht wäre, wenn er wüsste, dass ich ihm nicht die Wahrheit gesagt habe? Ob es auch wirklich in Ordnung ist, wenn ich mich mit Nigel treffe? Im selben Atemzug entkräftete ihr Kopf die Zweifel des Herzens: Er würde es schon irgendwie nachvollziehen können, dass ich es ihm nicht gesagt habe... Und wieso sollte es denn nicht in Ordnung sein, mit Nigel auszugehen? Vermutlich würde Alister sich für mich freuen, wenn er wüsste, dass ich da einen netten Jungen gefunden habe. Vielleicht sollte ich mich zusammenreißen und es ihm einfach erzählen. Ein Aufschrei des Gewissens versetzte der jungen Frau einen Stich. Nein, das kannst du nicht! Was ist, wenn ich ihn damit verletze? Es war so, als säßen ihr Engel und Teufel auf den Schultern, um sich durch ihre Ohren zu streiten und allmählich schmerzte Celeste der Kopf. So ein Blödsinn. Er kann sich nicht verletzt fühlen. Schließlich ist Alister ja nur... Nicht mal in Gedanken konnte sie es aussprechen und dennoch musste sie der Tatsache, dass der Android nicht lebendig war ins Auge blicken. Die Vernunft zwang sie dazu. Hinter ihrer Stirn rauchte es, denn ihr Gewissen ließ sich nicht so leicht beruhigen. Zu viel Menschlichkeit haftete an Alister und außerdem wurde ihm in Celestes Leben eine viel zu tiefe Bedeutung zuteil, als dass sie ihn auf eine so nüchterne Art betrachten konnte. Schnaufend warf sie sich auf den Rücken und starrte zur Decke empor. Jetzt komm schon Mädchen! Was ist schon dabei? Ist doch irgendwie logisch, dass du dich auch mal mit deinem Abschlussball-Date triffst... Genau so etwas würde Amy jetzt sagen. Oh Mann, was ist nur los mit mir? Alister hat mir ja schließlich keinen Ring an den Finger gesteckt. Ihr Herz schlug höher bei der Vorstellung. Vor ihrem geistigen Auge ergriff er zaghaft ihre Hand, um ihr das goldene Schmuckstück als Zeichen seiner ewigen Liebe über den Ringfinger zu streifen. Die junge Frau tat es ihm anschließend gleich. Dann nahm er ihr den Schleier ab und...
Du hast sie ja nicht mehr alle, schalt sich Celeste und drehte sich wieder auf die Seite. Noch eine ganze Weile tobte in ihr der Konflikt zwischen den Gefühlen ihres Herzens und den rational denkenden Verstand in ihrem Gehirn, doch für die junge Frau ergab sich einfach kein Weg, der ihr richtig erschien. Die Stimmen in ihrem Kopf verebbten und endlich schaffte sie es, die Brücke zu überqueren, die sie in eine andere Welt führte. Eine Welt, in der es keine Grenzen gab und all ihre Sehnsüchte Realität werden konnten.
Ihre Fragen sollten Celeste auch weiterhin beschäftigen. Dutzende Nächte vergingen, an denen sie grübelnd im Bett lag und selbst wenn sie schlief, war sie dem inneren Konflikt ausgesetzt. Je öfter sie sich mit Nigel traf, umso verworrener wurden ihre Träume und das sah man der jungen Frau nach einiger Zeit auch an. Blasser als ein Vampir, die trüben Augen umfasst von dunklen Schatten, trottete sie jeden Morgen den Korridor zum Klassenzimmer entlang. Jedes Mal, wenn ihre Freunde sich nach ihr erkundigten, gab sie vor, mal wieder Stress mit den Eltern zu haben oder wich gänzlich aus.
Amy wollte sie nicht mit ihrem Problem belasten und egal wie oft diese bei ihr nachhakte, schwieg Celeste, überzeugt, dass nur sie allein mit ihrem Gefühlschaos fertigwerden konnte. Und was Nigel betraf, ihm würde sie erst recht nicht offenbaren, was ihr tatsächlich zu schaffen machte. Er wusste ja nicht einmal um die Existenz des Androiden mit dem Namen Alister. Celeste ließ sich von Nigel immer an der Straße, vor dem Eisentor der Villa, abholen, sodass dieser ihn gar nicht erst zu Gesicht bekam. Außerdem vermied sie es, über Alister zu sprechen, was ihr während der Treffen nicht gerade leicht viel, da sie oft an ihn denken musste. Egal, was sie machten, ob sie ins Kino gingen, sich zum Essen verabredeten oder einen Spaziergang machten, Celeste vernahm zwischendurch immer wieder die Stimmen von Teufel und Engel auf ihren Schultern. Ließ sich davon jedoch nichts anmerken. Es war auch nicht so, dass sie keinen Spaß hatte bei ihren Dates. Sie lachte sogar oft und genoss die Zeit mit ihrem Mitschüler. Es waren eben nur diese immer wiederkehrenden Momente, in denen die junge Frau sich wünschte, dass ihre Verabredung jemand anderes wäre. Zum Beispiel, wenn Nigel ihre Hand nahm oder den Arm um sie legte. Ein aufregendes Gefühl begleitet von schnellem Herzklopfen und gefolgt von einem schweren Magen. Celeste gewöhnte sich daraufhin an, die schlechten Gefühle zu verdrängen. Du musst einfach realistisch bleiben. Du musst dir bewusst sein, dass es für dich und Alister einfach keine Zukunft gibt. Stell dir vor, jeder liebt einen Androiden. Wo soll das die Menschheit nur hinführen? Damit beruhigte sie zwar zum größten Teil ihr Gewissen, allerdings schmerzte es in ihrer Brust so sehr, dass sie hätte weinen können.
So sicher, wie sie sich damit war, dass ihr niemand bei ihren Problemen helfen konnte, so sicher war sie sich, dass sie früher oder später über diesen Schmerz hinwegkommen würde. Sie musste es irgendwie.
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Binary
FanfictionAls Celeste Chandler 10 Jahre alt ist, erhält ihr Vater, ein renommierter Architekt aus Miami, von einem angesehenen Cyberlife-Mitarbeiter ein einzigartiges Androiden Modell als Geschenk für seine herausragende Arbeit. Der Butler-Android mit dem Nam...