Kapitel 9 - Hoffnung

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Nur wer die Sehnsucht kennt,

Weiß, was ich leide!

Allein und abgetrennt

Von aller Freude,

Seh' ich ans Firmament

Nach jeder Seite.

Ach! die mich liebt und kennt,

Ist in der Weite.

Es schwindelt mir, es brennt

Mein Eingeweide.

Nur wer die Sehnsucht kennt,

Weiß, was ich leide!



Überrascht blickte Elrond von dem Buch auf, in dem er gerade las, als er die Präsenz des Königs spürte, der regungslos im Türrahmen des Krankenzimmers stand, in das man seine Ziehtochter vor wenigen Stunden umgebettet hatte.

Die Magie der heiligen Grotte zeigte keine Wirkung mehr bei ihr.

Das Licht aus der großen Halle beleuchtete den Fürsten von hinten, während das Zimmer im Dämmerlicht lag. Nur eine kleine Kerze neben dem Bett spendete etwas Helligkeit.

Elrond schlug leise das Buch zu, eher er die Hände darüber faltete und Thranduil ruhig ansah.

„Verzeiht mir, aran Thranduil", begann der Halbelb leise. „Ich habe Euch noch nicht meine Aufwartung gemacht, wie es sich geziemt."

Der Elbenkönig hob abwesend seine Hand, unterbrach die Entschuldigung des Noldo.

„Ich... erkenne... sie", murmelte Thranduil, während er näher trat. Seine eisblaue, bodenlange Robe raschelte leise bei seinen Schritten.

Überrascht schaute der Halbelb ihn an.

„Ihr... habt sie erkannt?", vergewisserte er sich vorsichtig.

Sanft berührte der König des Düsterwaldes die blasse, eingefallene Wange der Elleth. Behutsam tupfte er ihr mit dem Tuch, das neben ihrem Kopf in einer Schüssel lag, den feuchtklammen Schweiß von der Stirn. Sofort zog der heilende Duft von Athelas durch den Raum.

„Nîn fea", murmelte der Sinda, ehe er aufkeuchte und neben dem Bett zu Boden sank. Krampfhaft umklammerte er ihre eiskalte regungslose Hand.

„Thranduil!", rief Elrond, ungeachtet jeden Titels. Der Herr Imladris sprang auf, das Buch fiel unbeachtet polternd zu Boden, als er um das Bett auf den Sinda zueilte.

„Nicht...", brachte der Sohn Orophers unter Schmerzen keuchend hervor. Es dauerte eine Weile, ehe er sich schwankend aufrichtete. „Welche Schmerzen sie durchleidet", murmelte er bestürzt.

Er streichelte Linaews Hand, unauffällig und leicht wie der Flügelschlag eines Schmetterlings.


Aufmerksam musterte Elrond den König; seinen angespannten Kiefer, die seine hohen Wangenknochen deutlich hervortreten ließ, die schweißnasse Stirn und die eisblauen Augen, in denen sich der Schmerz widerspiegelte.

Schließlich schloss der Fürst Imladris lächelnd die Augen. Die Valar schenkten ihm Hoffnung, zu einem Zeitpunkt, wo er nicht mehr zu hoffen gewagt hatte.

„Ich danke Euch", murmelte er erleichtert.

Hoffnung, auch wenn sie noch so klein und zart wie ein frisch gekeimtes Pflänzchen war.

„Wie lange wisst Ihr es schon?"

„Seit ein paar Monaten träume ich", begann der letzte gekrönte Herrscher des Düsterwaldes stockend, setzte sich auf den Bettrand und legte seine Hand auf ihre kleinere, die bewegungslos auf der Bettdecke lag. Sie gab im Augenblick keine Regung von sich, sondern atmete ruhig und gleichmäßig.

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