She has to speak although she can't

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Mary griff nach seiner Hand. Sie schien leblos und kälter als sonst. Mary starrte auf die noch immer perfekt liegenden Haare des Mannes vor ihr und ließ ihren Blick dann über sein Gesicht schweifen. Seine Augenbrauen fühlten sich an wie Pinselborsten und sie erinnerte sich daran, wie oft sie darüber gelacht hatten und an die Witze, die sie darüber machten. Hätte er seine Augen geöffnet, wären sie ein Wald aus tiefem Braun und sie erinnerte sich, wie oft sie sich doch in diesen verloren hatte. Um seinen zarten rosanen Lippen, welche sie so oft liebevoll geküsst hatte, befand sich sein 3-Tage-Bart und sie erinnerte sich daran, wie sie darüber gestreichelt hatte, als ihre Lippen zärtlich einander verführt hatten. Seine Schultern waren breit, das knochige Brustbein stach heraus und sie erinnerte sich, wie sie sacht darüber gestreichelt hatte, wenn er schlief. Seine Arme lagen kraftlos und schlaff auf dem Bett und sie erinnerte sich, wie er sie fest darin hielt, damit sie keine Angst hatte, wenn sie einmal schlecht träumte. Seine Hände wurden von Mary gehalten, doch gleichzeitig von ihren Tränen befeuchtet und sie erinnerte sich, wie er schützend seinen Griff um ihre Taille gelegt hatte, wenn andere Männer sie auf der Straße ansahen. Sein Bauch war muskolös, die Bauchmuskeln konnte man durch das dünne Krankenhemd hindurch erkennen und sie erinnerte sich, wie sie darüber gestreichelt hatte und sich auf die Lippen biss, um keine Lust zu empfinden. Seine Hüfte war schmal und sie erinnerte sich, wie er verletzt seine Hände in die Taille gestützt hatte und sie mit diesem flehenden, liebevollen Blick ansah. Seine Beine lagen entspannt auf dem weißen Laken und sie erinnerte sich, wie er diese um sie geschlungen hatte, als sie miteinander spielten und sich wild im Bett drehten, um den anderen zu Tode zu kitzeln. Seine Füße waren in dünne weiße Socken gesteckt und sie erinnerte sich, wie diese sie traten, als er schlecht träumte und sie ihn dann beruhigte. Dieser Körper, welche eine vollständige Perfektion in ihren Augen war, war nur von Wunden, Pflastern und Binden übersät. Dieser Körper lag nur leblos auf einer weißen, kalten Liege und gab kein Lebenszeichen von sich. Seine Stimme sprach nicht. Sein Lachen hallte nicht. Seine Hände bewegten sich nicht. Seine Beine liefen nicht. Und seine Lippen küssten Mary nicht. Weinend drückte diese ihren Kopf an den kalten Körper neben sich. Die Tränen flossen in das Tshirt des Mannes und sie konnte dem ruhigen Herzschlag zuhören. Auch das leise regelmäßige Piepen des EKGs (an alle die nicht wissen, was das ist: Das Gerät, welches den Herzschlag kontorlliert und laut piept, wenn dieses aussetzt.) beruhigten sie langsam. Sie bemerkte gar nicht, wie sie langsam in den Schlaf fiel.

Ein lautes langes Piepen weckte Mary. Sie rieb sich die Augen und brauchte einen Moment, um in der Realität anzukommen. Laut schrie sie auf, als die Tür aufschlug und Ärzte hinein stürmten. "Raus hier!", brüllte der Chefarzt sie an. Zitternd bemerkte sie, dass Elyas einen Herzstillstand erlitt. Sie spürte, wie jemand an ihren Schultern riss und Elyas' Hand langsam aus ihrer glitt. 'Bleib stark!', dachte sie, 'Bitte Elyas, lass mich nicht alleine. Ich brauche dich. Ich liebe dich. Bitte geh nicht.' Der Mann, welcher ein Hilfsarzt war, stand nun neben Mary an der Scheibe zu Elyas' Zimmer. "Vielleicht ist es besser, wenn sie nicht hinsehen.", murmelte der Arzt, doch Mary starrte wie gebannt auf dieses Bett. "Weg vom Bett.", hörte sie den Chefarzt schreien. Er setzte die 2 metallischen Geräte an Elyas, welcher darunter zu zucken begann. Das klägliche, durchgängige Piepen hatte nicht aufgehört. Er rieb die Metallklötze aneinander und drückte sie wieder auf Elyas. Dieser schien noch stärker zu zucken und endlich konnte Mary sich von diesem Anblick lösen. "Kommen Sie.", sagte der Arzthelfer, doch Mary wehrte sich. 

Nach weiteren Versuchen sagte der Arzt: "Wir sollten aufgeben. Er ist tot." Als Mary diese Worte hörte, brach sie weinend und schreiend zusammen. Sie begann zu beten und zu flehen: 'Lieber Gott. Oh geliebter Gott, wenn es dich gibt, dann steh' mir bei. Bitte lass mich nicht allein auf dieser Welt. Ich brauche ihn und mein Kind braucht einen Vater. Oh lieber Gott. Du hast die Macht ihn zu beleben. Mich zu retten. Gib mir diese eine Chance und ich werde alles tun, um sie zu nutzen.' Als hätte eine höhere Macht ihr Gebet erhört, versuchte der Arzt es noch einmal, ohne das Mary es wahrhaftig mitbekam. Alles, was sie hörte, war ihr schweres Atmen und das plötzliche, gleichmäßige Piepen des EKGs. Eine Tür schwang auf und Mary sah aus verweinten Augen hinauf. "Es wird eine harte Nacht." Der Chefarzt, Herr Cherkowsky, hatte nicht bemerkt, dass Mary auf dem Boden kauerte. "Entschuldigen Sie.", sagte er dann, "Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen?" Zögernd willigte Mary ein. Sie stand auf und warf einen letzten Blick auf Elyas, während sie stumm dachte: 'Bitte bleib stark für mich. Bitte.'

"Wie ist denn Ihr Name?" Herr Cherkowsky klang freundlich und Mary deutete auf Zettel und Papier. Der Chefarzt runzelte die Stirn, also stand Mary auf und holte sich, was sie brauchte, um mit dem Mann zu kommunizieren. Dieser beobachtete sie mit gehobenen Brauen und sie begann zu schreiben: 'Entschuldigung, aber ich bin stumm.' "Oh.", rief Herr Cherkowsky aus, "Das tut mir sehr Leid. Entschuldigen Sie mich." Mary lächelte sanft und nickte zustimmend. "Dann werde ich wohl etwas anders herangehen müssen." Er lachte kurz, um sich direkt danach wieder zu fangen. "Ihr Name lautet nun wie?" 'Mary-Ann Orlans.' "Okay, Misses Orlans, wie lange sind Sie denn in einer Partnerschaft mit Elyas M'Barek?" 'Seit einem viertel Jahr.' Beim Gedanken daran stiegen Mary Tränen in die Augen. Beruhigend blickte der Arzt in ihre Augen. "Kann ich fortfahren?" Mary nickte nur schwach. "Sie wissen ja, dass wir davon ausgehen, dass es ein Selbstmordversuch war." Mary rieb sich stark über die schmerzenden Augen und brummte zustimmend. "Hatten Sie Streit? Kennen Sie mögliche Gründe?" 'Ja, wir stritten und ich habe ihn aus meiner Wohnung geworfen.' "Wohnten sie dort zusammen?" 'Nein, aber er hatte ein paar seiner Sachen bei mir und ich einige meiner bei ihm.' "Verstehe, verstehe."; murmelte dieser, "Gut, Misses Orlans. Das wäre es dann auch erstmal. Ich danke Ihnen." Herr Cherkowsky schüttelte Marys Hand und gerade als sie die Hand auf die Klinke legte, holte er noch einmal Luft. "Misses Orlans?" Mary drehte sich um und sah dem Arzt fragend an. "Auch wenn Sie stumm sind." Er zögerte einen Moment und setzte dann mit seinem Gedanken fort: "Kennt Herr M'Barek Ihre Stimme?" Mary schüttelte den Kopf ohne weiter darüber nachzudenken, doch dann fiel ihr ein, dass sie doch einige Wort vor ihm verloren hatte. Sie rannte zurück zum Zettel und schmierte: 'Doch. Einige wenige Male hat er meine Stimme gehört.' Der Arzt begann breit zu lächeln. "Dann ist alles ganz einfach. Er hat gute Chancen. Wenn er vertraute Geräusche hört, könnte es gut sein, dass er wieder zu sich kommt. Sie müssten nur..." Er setzte eine bedeutende Pause ein, "... ihre Stummheit überwinden." Mary starrte schockiert auf den Arzt und schluckte schwer. Das könnte sie doch nicht! Aber musste sie? Hatte sie es nicht bei Gott geschworen?

Ihr 1. Wort.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt