19. Dezember

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Kommt ihr? Wir müssen los", schreie ich durch das ganze Haus und sofort kommen die Zwillinge, mit ihrer Adventsschokolade in der Hand aus dem Wohnzimmer gelaufen, „jetzt aber schnell, die anderen warten schon."

James, welcher hinter der offenen Haustür steht um sie hinter uns wieder zu schließen, wenn wir gegangen sind, wirft mir lächelnd einen Blick zu. „Sie sehen heute mal wieder reizend aus, Miss Annie."

„Vielen Dank, James", lächle ich und überprüfe noch einmal kurz im Spiegel das dunkellila Etuikleid und die dazu passenden spitzen High heels. Dann lege ich Paul eine Hand auf den Rücken und schiebe ihn und Charlotte zur Tür hinaus in den kalten Wintermorgen.

„Wo bleibt ihr denn? So eine Probe kann man nicht wiederhole", sagt Claire streng und quetscht sich vor uns in die kleine Limousine. James verschließt die Haustüre und eilt auf den Fahrersitz des Gefährtes.

„Verzeihung", murmeln die Zwillinge und ich im Chor und ich schließe die Tür hinter uns, damit die kalte Luft nicht hineinweht und den gerade aufgeheizten Raum nicht sofort wieder auskühlt, da wir alle nicht gerade winterlich angezogen sind für die Probe und jeder ein Kleid trägt. Ich streiche mir eine Haarsträhne nach hinten und sehe aus dem Fenster, durch das sich das große Anwesen von Steve und Claire immer weiter entfernt.

„Kommen Stevens Freunde heute auch?", kommt es von Margaret, „ich will es ja wohl hoffen, schließlich sollte so eine Probe mit allen stattfinden."

Claire nickt. „Ja, Steve, Nick, Harold und mein Vater sind mit Daniel und Harry gefahren und Matthew kommt direkt von der Arbeit dorthin."

Als sein Name fällt zucke ich leicht zusammen. Seit dieser Aktion am Montag bin ich vollkommen verwirrt und will morgen auch definitiv nicht mit ihm das Kleid für den Weihnachtsball aussuchen gehen. Claire fängt meinen Blick ein und lächelt mir gequält zu. Irgendwie kann ich sie verstehen. Zwischen der Schwiegermutter, welche behauptet, dass man nur in die Familie einheiraten will, damit man Geld bekommt und Verena und Lorena, die kichernd Selfies schießen und dabei ihre rosa Lipglosslippen zu einem Knutschmund verziehen, zu sitzen, ist nicht gerade die Position in der ich mich gerne für eine halbe Stunde befinden wollen würde.

„Wir sind gleich da, Miss Claire", sagt James, als Claire zum wahrscheinlich hundertsten Mal an die getönte Scheibe nach vorne geklopft hat um nachzufragen. Claire atmet tief aus und ich ziehe die Zwillinge, welche sich am Fenster die Nasen platt drücken, wieder zurück auf ihre Sitze.

„Wir sind da."


„Jetzt stellt euch bitte in der Reihenfolge auf, in der ich euch aufrufe und in der ihr dann auch zum Altar gehen werdet", sagt Claire bestimmend und sieht uns auffordernd an, bevor sie sich wieder dem Zettel in ihrer Hand zu wendet. „Ganz vorne werden Jennifer und Nick gehen, dann kommen Hailey und Daniel, Lorena und Harry, Verena und Glenn und zu guter Letzt die Trauzeugen, Annie und Matthew."

Alle gehen zu ihrem zugeteilten Partner und ich schiele leicht aus dem Augenwinkel zu Matthew, welcher stur nach vorne sieht. Sein Kiefer ist angespannt und er hat einen leichten Bartschatten. „Alles okay?", frage ich leise und stupse ihn mit dem Ellenbogen leicht in die Seite.

Sein Blick huscht zu mir und seine Augen ziehen sich leicht zusammen. „Ja." Dann sieht er wieder nach vorne.

Ich zucke die Schultern und sehe ebenfalls nach vorne, wo Claire steht und Anweisungen an uns verteilt. „Die Brautjungfern legen einen Arm in den der Männer. Annie, auch du."

Matthew streckt mir seinen Arm entgegen und ich lege meine Hand in seine Armbeuge. Dann gehen wir mit langsamen Schritten Claire, die vor uns herläuft um es vorzumachen, hinterher. Ein Schritt. Pause. Ein Schritt. Pause.

Glenn dreht sich zu mir um und grinst mich an, was ich mit einem finsteren Blick erwidere. Er leckt sich über die Lippen und wirft mir eine Kusshand zu.

„Glenn!", kommt es leicht hysterisch von Claire, welche sich mit in die Seiten gestemmten Händen vor ihn stellt, „das hier ist sehr wichtig und wenn du bei der Hochzeit nicht wie der letzte Idiot alles falsch machen willst, solltest du mal aufpassen, was vorne läuft."

Lachend salutiert der Lockenkopf vor ihr. „Jawohl Sir. Ich wurde nur von einer sehr hübschen Dame hinter mir abgelenkt. Da konnte ich irgendwie nicht wegsehen."

Ich schnaufe und auch Matthew ballt seine rechte Hand zu einer Faust. Claire sieht mich mit einer hochgezogenen Augenbraue an und ich zucke die Schultern und schüttle den Kopf. „Mach einfach weiter, Claire."

„Wir fangen noch einmal von vorne an. Steve, stellst du dich bitte nach vorne? Und alle anderen gehen nochmal zurück an den Anfang", scheucht uns Claire mit den Händen wedelnd den breiten Gang hinunter und die Glockenärmel ihres dunkelblauen Etuikleides schwenken mit.

Ich drehe mich um und gehe, ohne ein Wort zu verlieren, zurück. 'Nach der Hochzeit ist er fällig', denke ich mir und fange bei dem Gedanken Glenn so richtig eine zu verpassen, leicht an zu lächeln.

„Was gibt es denn da zu grinsen, meine Schöne", flüstert Glenn, der plötzlich hinter mir steht, in mein Ohr  und legt mir eine Hand auf den Rücken.

Ich drücke seine Hand weg und presse die Lippen aufeinander. 'Nichts sagen, Annie. Einfach lächeln und winken.'

Meine Hand in Matthews Armbeuge gelegt, laufen wir wieder langsam nach vorne, bis ich es im Schlaf machen könnte. Ein Schritt. Pause. Lächeln. Ein Schritt. Pause. Weiterhin lächeln. Nicht aufhören zu lächeln. Bis zum Erbrechen.


„Wann geht ihr morgen eigentlich dein Kleid kaufen?", sagt Claire und nippt an ihrem Kakao, den uns James, direkt nachdem wir aus der kalten Kirche nach Hause gekommen sind, gemacht hat.

Ich zucke die Schultern. „Matthew hat nichts gesagt. Er hat generell sehr wenig mit mir gesprochen. Ich hab keine Ahnung."

Mein Handy blinkt auf und ich sehe auf die neue Nachricht von Unbekannt. 'Ich komme dich um 12 Uhr abholen. Matthew.' Woher hat er bitte meine Nummer? Ich hasse es, wenn Menschen sich von jemand anderes meine Nummer besorgen, anstatt einfach zu fragen.

„Um zwölf."

„Woher weißt du das denn jetzt?"

Ich winke mit dem Handy in der Hand vor Claires Gesicht rum. „Woher hat er meine Nummer?"

Claire winkt ab und beißt in einen der selbstgebackenen Kekse, die vor uns stehen. „Steve hat sie ihm mit Sicherheit gegeben. Ihr seid die Trauzeugen, da wäre es gut, wenn ihr miteinander in Kontakt stehen könntet."

Ich sehe auf meine Fingernägel, die im Moment gar keine Farbe haben und dann zum Weihnachtsbaum, neben dem Jennifer, Nick und die Zwillinge ein Spiel spielend, auf dem Boden sitzen. „Was ist Matthew eigentlich für eine Person? Ich kenne ihn jetzt schon 19 Tage und weiß nichts über ihn, bis auf die Tatsache, dass er wie jeder andere hier eine Menge Geld hat, ein ziemlich schönes Haus und, dass er eine eigene Firma hat, deren Sekretärin Lilli heißt."

„Er kann der beste, aber auch der schlechteste Mensch sein, den ich kenne. Seine Eltern sind beide ziemlich streng, noch strenger als Steves", sie wirft einen Blick auf Margaret, welche strickend und mit Harold vor dem knisternden Kamin sitzt, „und demnach ist er genauso streng mit sich selbst. Warum?"

Während ich einen Schluck aus meiner Tasse nehme, die eigentlich schon leer ist, versuche ich eine passende Antwort zu finden, welche mir nicht einfällt. Ich setze die Tasse ab. „Weiß nicht. Fünf Tage vor der Hochzeit sollte man das schon wissen. "

A Christmas Wedding - Adventskalender 2018Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt