Frei

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Laias P.o.V.

Als ich am nächsten Tag von einer Krankenschwester geweckt wurde, ahnte ich nicht, dass sie nicht nur Frühstück, sondern auch noch mehr schlechte Nachrichten brachte. Vorsichtig setzte sie sich auf mein Bett und fragte, wie es mir im Moment gehe. Ich antwortete: "Es geht mir nervlich definitiv besser als gestern, jedoch bin ich narürlich immer noch nicht über die Tatsache, dass Julian nicht mehr lebt, hinweggekommen." Nachdenklich blickte sie mich an und fragte mich mit einem mitfühlenden Blick: "Würdest du im Moment noch etwas anderes verkraften können?" Da ich in Ungewissheit sowieso die ganze Zeit darüber grübeln würde, was diese andere Sache denn sei, bejahte ich und wartete auf eine Antwort. Als dann die Worte "Deine Freundin Debby ist nicht mehr da" aus ihrem Mund kamen, war ich doch ziemlich verblüfft und starrte die Krankenschwester, welche übrigens Carolina hieß, auch dementsprechend an. Diese versuchte, mich zu trösten, indem sie mich umarmte, jedoch war sowieso schon alles schlimm genug, weshalb ich wieder einmal bemerkte, wie Tränen über meim Gesicht flossen. Nachdem meine kurze Heulattacke vorüber war, machte ich mich nun doch ans Essen, da es wohl keinen Sinn hatte, wegen zwei Schicksalsschlägen innerhalb von zwei Tagen gegen das Universum in den Hungerstreik zu treten. Als ich lustlos an einem mit Vanillecreme gefüllten Croissant knabberte, meinte Carolina, dass ich in ungefähr einer halben Stunde einen Besuch der Schulpsychologin Annika zu erwarten hatte. Während ich auf diese wartete, kam ich ein wenig mit Carolina ins Gespröch, welche, wie ich erfuhr, schon bald Medizin studieren wollte, was mich etwas traurig machte, da ich sie gleich in mein Herz geschöossen hatte und mir auch vorstellen könnte, mit ihr befreundet zu sein. Oder etwa mehr? Warum musste ich mich in ungefähr jeden Menschen, der mir über den Weg läuft, verlieben? Ok, Laia, übertreib nicht. Wahrscheinlich redest du dir einfach nur ein, nicht hetero zu sein, das ist doch ganz normal. Es ist nur eine Phase, mehr sogar nur ein Gedankenspiel, das wird bald vorübergehen. Sobald ich meinen ersren Freund habe, werde ich darüber lachen, versuchte ich mich zu beruhigen. Als dann auch schon Annika hereinkam, war ich erstmals beruhigt, da ich definitv nichts für sie empfand, zumindest nicht auf den ersten Blick. Als sie sich auf mein Bett setzte, meinte sie, dass es wohl am besten sein würde, wenn wir uns auf den Tisch, welcher ebenfalls in dem Krankenzimmer stand, setzen würden. Ich gehorchte ihr selbstverständlich und sie bat mich, aufzuschreiben, was ich im Moment empfand, da sie aus Erfahrung wisse, wie schwer es sein kann, seine Ängste und Sorgen auszusprechen. Annika gab mir ein Blatt Papier und einen Stift. Und ich schrieb:

Liebe Debby,
Ich vermisse dich. Obwohl ich dich erst einen Tag kenne, habe ich dich schon sehr lieb gewonnen und würde es wohl kaum verkraften, wenn du schon jetzt nicht mehr auf dieser Welt wärst. Du bist ein wirklich toller Mensch und ich bin fest davon überzeugt, dass wir einmal gute Freunde werden würden, falls wir uns je wiedersehen, was ich sehr hoffe. Jedoch stellt sich nun die Frage aller Fragen: Wo bist du?

Lieber Julian!
Der Gedanke daran, dass wir wohl nie wieder gemeinsam lachen, weinen oder sonst irgendwas Seite an Seite tun können, zerreist mein Herz jede Sekunde in noch mehr Stücke, obwohl ich die meiste Zeit denke, dass das nicht mehr möglich ist. Du bist einer der wunderbarsten Menschen, die ich in meinem jungen Leben je kennenlernen durfte. Ich werde nie vergessen, wie du mir (unerlaubt) während einer Klausur mit dem Erklären der neuartigen Bogenschießtechniken aus der Patsche geholfen hast, oder als du mich mitten in der Nacht angerufen hast, um mir zu erzählen, dass du dich in Mr. di Angelo verliebt hast und nun fest davon überzeugt bist, dass du schwul bist. Kannst du dich noch an unser Kennenlernen erinnern? Als du mir gleich klargemacht, dass ich nun, ob ich wollte oder nicht, einen neuen besten Freund hatte. Ich muss ganz ehrlich zugeben, dass ich dich anfangs für dumm und verrückt gehalten hatte, jedoch habe ich dich mit jedem Gespräch, mit denen wir auch oftmals den Unterricht gestört hatten, und auch mit jeder Kanufahrstunde, in der unser Fahrzeug aus Dummheit meinerseits gekentert war und du nur darüber gelacht hast, immer mehr mochte und du bald auch einen Platz in meinen Herzen, welcher wohl für immer dir gehört, bekamst. Hab dich lieb.

Liebe Nora!
Du bist meine beste Freundin und wirst es wohl auch immer bleiben, jedoch gibt es in letzter Zeit immer mehr unausgesprochene Dinge zwischen uns, was mich sehr traurig macht. Warum hast du mich nicht gleich angerufen, als du von Julians Tod gehört hast? Jedoch muss auch ich dir ein paar Dinge mitteilen. Ich habe mich in Debby verliebt und weiß eigentlich schon seit längerer Zeit, dass ich lesbisch bin. Außerdem habe ich in den Ferien den Selbstmord meiner Tante beobachtet und es weiß bis jetzt niemand, dass ich dabei war. Seitdem plagen mich schlimme Schuldgefühle. Ich hoffe sehr, dass diese Dinge zwischen uns bald ausgesprochen werden.

Eure
Laia

Ich wusste zwar, dass ich das eigentlich nur für mich machen sollte, jedoch war es für mich trotzdem leichter, die Personen, die mich beschäftigten, persönlich anzusprechen. Als ich Annika die Zettel zurückgab und sie diese las, war es schwer, ihre Emotionen deuten zu können. Als sie geendet hatte meinte sie ermutigend: "Das ist natürlich viel, was gerade in deinem Kopf los ist, jedoch denke ich, dass du somit entlassen werden kannst. Deine Blutwerte sind übrigens im Vergleich zu gestern äußerst sehenswert. Hier noch ein Tipp für dich: Nimm dir doch öfters mal Zeit, um in ein Tagebuch zu schreiben oder, wie hier, symbolisch Briefe an Menschen, denen du gerne etwas mitteilen würdest, das aber aus welchem Grund auch immer nicht kannst. Ich hatte nämlich das Gefühl, dass dir das sehr geholfen hat." Ich nickte dankbar und machte mich dann daran, die wenigen Dinge, die von mir noch auf meinem Nachttisch lagen, zusammenzupacken. Als ich mich von Carolina verabschiedete, nahm ich auch gleichzeitig Abschied von der Vorstellung, ihre feste Freundin zu sein. Nachdem auch das geschafft war und ich mich auf den Weg zu meiner Hütte machte, fühlte ich mich so frei wie schon lange nicht mehr. Es hilft einfach, seine Emotionen in Worte zu fassen.

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