Gespräch im Meeresrauschen

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Debbys P.o.V.

"Das schlimmste ist, dass mir niemand gesagt hat, wie es eigentlich passiert ist. Und das, weil es einfach niemand weiß. Alles, was sie wissen, ist, dass seine Leiche zerschundet und mit tödlichen Kopfverletzungen am Straßenrand eines Highways gefunden wurde. Dazu, wie er ums Leben gekommen ist, hat noch nicht einmal der Pathologe, der diesen Fall übernommen hat, eine Erklärung gefunden."

Laia sprach so leise, dass ihre Stimme vom Rauschen des Meeres fast übertönt wurde. Eine Woche ist es jetzt her, dass wir unseren Freund, den Zyklopen Tyson, verloren hatten. Eine Woche lang sind wir bloß lustlos die Küste entlanggegangen, haben dabei kaum ein Wort gewechselt und sind nur einmal am Tag, wenn es zu dämmern begonnen hatte, stehengeblieben, um etwas zu essen und uns für ein paar Stunden ausruhen zu können.

Doch erschöpft waren wir nicht nur körperlich, sondern viel eher auch emotional. Ich fühlte mich, als ob ich nicht einmal mehr die Kraft zum Weinen hätte und Laia wirkte einfach nur ganz verschlossen und ließ mich beim besten Willen nicht an sie heran. Nicht, dass ich genug Kraft gehabt hätte, um das allzu intensiv zu versuchen. Kein Wunder, schließlich hatte sie innerhalb einer Woche zwei Freunde verloren. Wie man unter solchen Umständen überhaupt noch leben konnte, war mir ein Rätsel.

Heute war der erste Tag, an dem wir uns überhaupt die Mühe gemacht hatten, ein Gespräch zu beginnen. Ich war sehr froh darüber, dass Laia ihre Emotionen in Worte fassen konnte. Ich wusste nicht, ob ich eine gute Zuhörerin war, doch ich hatte das Gefühl, dass sie einfach reden wollte und es ihr eigentlich egal war, wer ihr zuhörte.

Mit immer noch sehr kraftloser Stimme sprach sie weiter. "Und jetzt die Sache mit Tyson... Manchmal glaube ich echt, dass ich etwas getan habe, um die Götter zu verärgern. Ich könnte mir aber beim besten Willen nicht vorstellen, was das gewesen sein könnte." Jetzt konnte sie sich sogar ein sarkastisches Lächeln abringen. 

"Was auch immer für dein Leid verantwortlich ist, du bist definitiv nicht schuld. Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass ich weiß, was gerade in die vorgeht, aber ich weiß doch, dass es nichts Schönes ist und du Hilfe brauchst. Also sag mir bitte, was ich tun kann damit es dir endlich besser geht!"

"Küss mich", flüsterte sie kaum hörbar. "Was?" fragte ich überrascht. Womit auch immer ich gerechnet hatte, das war es nicht gewesen. "Nein, es tut mir leid, ich hab das nicht so gemeint. Ich habe nicht nachgedacht", meinte sie nun mit verwirrtem Unterton. "Es ist okay", sagte ich mehr zu mir selbst und nahm sie in den Arm.

Ich hatte gar nicht bemerkt, dass wir Arm in Arm eingeschlafen waren, doch als ich wieder aufwachte, spürte ich sie an meiner Seite. Da sie immer noch schlief, bettete ich ihren Kopf behutsam auf den Schlafsack, auf dem wir gesessen hatten, und schlenderte nach vorne zum Meer, um meine Gedanken zu ordnen.

In letzter Zeit war das für mich zur Angewohnheit und, so traurig es auch klingen mag, zum Highlight des Tages geworden. Ich empfand diese Ruhe und Einsamkeit am Morgen als Luxus. Es war die einzige Zeit des Tages, an der wir uns nicht gegenseitig mit unserer Trauer erdrückten und ich einfach frei von all den Problemen, die sich im Moment anhäuften, war.

Denn Tysons Tod war nicht das einzige, mit dem sich meine Gedanken im Moment beschäftigen mussten. Es fiel mir auch immer schwerer, zu ertragen, meinen Vater so sehr zu enttäuschen. Denn so, wie wir unser Leben jetzt gerade fristeten, kamen wir beim besten Willen nicht weiter.

Als ich so, versunken in meiner Mutlosigkeit, dasaß, merkte ich gar nicht, dass sich jemand neben mich gesetzt hatte. Und zwar nicht nur irgendjemand. Mein Vater, Poseidon, saß neben mir und starrte, so wie auch ich es noch vor ein paar Sekunden gemacht hatte, aufs Meer.

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