13. Kapitel *Vergangenheit*

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*Huntsville* Eine Woche vor Lynns Hinrichtung

Als das Licht der ersten Sonnenstrahlen morgens durch mein Fenster fiel wurde ich unsanft geweckt. Hatte ich gestern vergessen die Fensterläden zu schließen? Es musste noch sehr früh sein, bemerkte ich mit einem Blick nach draußen. Am Horizont konnte man erst einen kleinen Teil der Sonne sehen und trotzdem schien sie schon sehr hell und blendete mich. Draußen liefen die ersten Frühaufsteher herum und bereiteten alles für den Markt heute vor.  Ich hatte vorgestern erst alles nötige besorgt und würde heute nicht hingehen. Sollten Mutter und Vater doch mal für das Essen sorgen. Sie waren bestimmt schon auf dem Feld oder in irgendeinem Laden. Mutter sagte immer, man solle gehen bevor man vor lauter Menschen die Lebensmittel nicht mehr erkennen konnte. Leise tapste ich in Richtung Bad und versuchte Eva nicht zu wecken. Ich konnte ihr leises Schnarchen durch die dünne Holztür hindurch hören. Ich wusch mich so lautlos es ging. Meine Haare waren hoffnungslos verknotet und in meiner Verzweiflung versuchte ich, sie mit meinen Fingern zu kämmen. Dann schlich ich zurück um mein heutiges Kleid auszuwählen. Die Wahl war immer so schwer. Zog ich das braune, das blaue oder das grüne an? Mehr hatte ich nicht, ansonsten würde ich mit Wollhosen herumlaufen müssen und das war für Frauen verboten. Heute entschied ich mich für das grüne Kleid und einem paar braunen Lederstifeletten. Vater hatte sie mir zu meinem letzten Geburtstag machen lassen und seitdem trug ich sie fast jeden Tag. Sie waren bequem und nach weiten Strecken taten einem so nicht die Füße weh.

 Beim Verlassen meines Zimmers schlug ich die Tür ein wenig zu fest zu und sofort verstummte das leise Geschnarche. Dann hörte ich ein Tapsen und die Holztür wurde aufgerissen. Mit verstrubbelten Haaren und einem strahlenden Lächeln im Gesicht, wie ich es nur konnte wenn ich mindestens eine Stunde lang wach war, rannte Eva auf mich zu und umarmte mich stürmisch. Lachend drückte ich sie an mich und machte sie dann, als sie einfach nicht loslassen wollte, darauf aufmerksam, dass ich los musste um Wasser zu holen. Ich hatte mich mit Ivy verabredet und hoffte nur, dass sie nicht auf ihren kleinen Bruder aufpassen musste. Er nervte ganz fürchterlich mit seinem ewigen Geschrei. Eva ließ mich endlich wieder los und ich ging in unsere Abstellkammer um zwei Holzeimer zu holen. Dann ging ich mit einem tiefen Seufzer los. Wasser holen war nicht gerade meine Lieblingsbeschäftigung und doch musste es getan werden. Wenigstens konnte ich ein bisschen mit Ivy über ihre bevorstehende Hochzeit reden. Sie war nicht besonders begeistert von der ganzen Sache, aber konnte nichts tun. Ihr Vater hatte für sie entschieden und so übel war ihr Zukünftiger gar nicht. Er war der Sohn des Bäckers und sie würde nie hungern müssen. Meine Eltern kümmerte es nicht wirklich wen ich heiratete. Als der erste mir, besser gesagt meinen Vater (Die Braut hatte da nichts zu sagen), einen Antrag gemacht hatte, hatten sie zugestimmt. Ein Datum stand jedoch noch nicht fest. Ich würde einen Armen Bauernsohn bekommen und täglich schuften müssen.

Ivy stand schon auf dem Marktplatz und wartete -mit zwei Eimern und zum Glück ohne ihren Bruder- ungeduldig auf mich. Ihr Blick hellte sich jedoch auf, als sie mich sah. Danach textete sie mich solange zu, dass die Stunde, die wir zum Brunnen brauchten wie im Flug verging. Zwar gab es auch einen Brunnen im Dorf, doch den meisten Menschen war er zu dreckig und alle die Töchter hatten, schickten diese fast täglich los um Wasser im Nachbardorf zu holen. In Cutterville kannten sie uns schon fast so gut wie in Huntsville, denn alle Mädchen kamen regelmäßig vorbei. Hätte ich wählen können, wäre ich lieber in Cutterville geboren, denn es war um Längen schöner. Es lag näher am Grafenschloss und daher war dort alles besser. "...Das mit der Hochzeit nervt langsam ganz schön. Dauernd wollen mir irgendwelche Fremden gratulieren. Der Bäckersjunge ist vielleicht ganz nett, aber meinen Traum vom Prinzen erfüllt er keinesfalls.", sie wechselte das Thema ohne Übergang, "Ich hasse dieses ewige Gerenne zum Brunnen. Ich finde das Wasser im Dorf gut. Es ist ja nicht so, dass wir genug zu tun hätten. Gleich, wenn ich wieder zu Hause bin, muss ich noch Wäsche waschen und für Janine eine Hühnerbrühe kochen. Sie hat schon wieder Fieber und Halsschmerzen. Komplett harmlos wenn du mich fragst..." Ich hörte ihr konzentriert zu und versuchte mir alles zu merken. An den Richtigen Stellen brachte ich ein zustimmendes Nicken oder ein ja ein um nicht desinteressiert zu klingen. Das meiste interessierte mich einen Dreck, aber Eva konnte ich immer eine Freude bereiten wenn ich ihr den neuesten Tratsch erzählte. "Lynn? Hörst du mir noch zu?" Verflucht, sie merkte immer wenn ich nur kurz nicht auferksam war. "Ja klar Ivy. Ich hör dir immer zu, weißt du doch." Ich versuchte meiner Stimme einen scherzhaften Unterton zu geben, damit sie nicht wütend wäre. Dann wäre der Rückweg nämlich keine schöne Angelegenheit. "Gut", lachte sie, dann blieb sie abrupt stehen und fluchte. Ich sah mich um. Wir mussten irgendwo die falsche Abzweigung genommen haben, denn nun standen wir vor einem großen Haus mit Veranda an dem der Weg endete. Es hatte sogar ein Ziegeldach und war mit Holzbalken gestützt, was darauf schließen ließ, dass jemand mit viel Geld hier wohnte. "Komm lass uns umdrehen." Ich wandte mich gerade zum gehen, als eine Gruppe Jugendlicher, etwa in unserem Alter, die große Eingangstür öffnete. Lachend liefen sie um das Haus herum und beachteten uns gar nicht. Irgendwo hatte ich sie schonmal gesehen. Ein seltsames Gefühl der Vertrautheit überkam mich. "Spürst du das auch?", fragte ich meine beste Freundin. "Was denn, den Wind? Ja, aber der ist ganz normal keine Sorge Lynn." "Du bist doof. Ich meinte, ob du das Gefühl hast diese Menschen schon einmal gesehen zu haben?" "Nein, Lynn? Geht's dir wirklich gut?" "Ja. Komm lass uns gehen." Sichtlich erleichtert eilte Ivy den Pfad entlang und trotz meiner Größe musste ich fast rennen um sie einzuholen.

Erst später am Brunnen wurde mir klar, warum die Jugendlichen mir so bekannt vorgekommen waren. Auch sie waren Ombré. Wir konnten uns untereinander erkennen, das hatte ich immer schon gewusst. Aber vorher hatte ich noch keine getroffen und das Gefühl nicht gekannt. Froh, nicht mehr darüber nachdenken zu müssen lächelte ich in mich hinein.

Nachdem wir den anstrengenden und deutlich länger andauernden Rückweg hinter uns gebracht hatten, verabschiedete sich Ivy in aller Eile und hastete davon. Wir hatten zu lange gebraucht und sie war spät dran. Ihre Eltern übten einen großen Druck auf sie aus und wenn sie nicht alles gut und schnell tat, drohten sie mit der Auflösung der Verlobung. Wenn das geschah, würde keiner Ivy mehr wollen und sie würde als einsame Heilerin versauern. Ich verstand es nicht wirklich, aber so war es immer. Therese hatte aus lauter Verzweiflung das Dorf verlassen,nachdem sie ihre Verlobung aufgelöst hatte.Vielleicht dachten die Männer dann, sie würde es mit ihnen genauso machen. Im Vorbeigehen grüßte ich einige Händler, doch keiner grüßte zurück. Alle starrten mich böse an oder ignorierten mich. Eine schlimme Vorahnung machte sich in mir breit.

Beim Haus angekommen lugte ich erstmal vorsichtig zum Fenster herein. Meine Eltern saßen gemeinsam mit Eva am Küchentisch und starrten mit Leichenbittermiene auf den Fußboden. Ach du liebe Güte! Was war bloß geschehen. Hastig öffnete ich die Tür und stürmte hinein. Neben meinen Eltern stand ein Mann. Es war der Amtsrichter von Huntsville, der Mann, nachdessen Familie das Dorf benannt war. Seine Familie war bekannt dafür, dass er skrupellos Jagd auf Hexen machte und sie verbrannte. Schon viele schuldige Mädchen waren wegen ihm auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden. Ohne etwas zu verstehen starrte ich ihn an. Dann pürte ich plötzlich wie zwei große Hände mich an den Handgelenken packten und festhielten. "Lynn Willows. Ich nehme sie hiermit fest. Aufgrund des dringenden Verdachtes, dass sie sich der Hexerei schuldig gemacht haben. Im Falle ihrer Schuld wird die Hinrichtung in einer Woche bei Vollmond stattfinden."  Verzweifelt schlug ich um mich. "Ich bin unschuldig. Wie sollte ich eine Hexe sein? Wer hat mich angeklagt?"  Doch der Amtsrichter wollte wohl einer Hexe keine Auskunft geben und mit einem Zeichen seinerseits wurde ich von den Männern gepackt und durch das Dorf zum Richtergebäude gebracht. Hinter mir hörte ich noch die verzweifelten Schreie Evas, die immer wieder "Sie ist unschuldig" rief und scheinbar so etwas wie einen hysterischen Anfall hatte. Auf dem Marktplatz trafen wir auf viele bekannte Gesichter. Einige entsetzt und ungläubig, andere zufrieden und bösartig. Am schlimmsten jedoch war Ivy, die gerade Gemüse für die Hühnersuppe zu kaufen schien. Vollkommen fassungslos starrte sie mich an und ich versuchte ihr mit den Augen zu zeigen, dass ich keine Hexe war. Ich wollte den Verdacht aber auch nicht auf sie lenken und starrte daraufhin die Steine unter meinen Füßen an. Jetzt war alles vorbei. Er würde mich nicht wieder gehen lassen. Ich war so gut wie tot.

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