8. Kapitel

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Es war Ethan.  Panisch sah er zu mir hinunter.  Und ich begriff auch,  warum. Mir liefen die Tränen über die Wangen und ich musste geschrien haben. Außerdem hatte ich meine Hände um meinen Hals gelegt, da er ganz schrecklich wehtat. Hatte ich versucht mich im Schlaf selbst zu erwürgen?  Es war wirklich schlimmer als ich gedacht hatte. Vorsichtig nahm ich die Hände von meinem Hals und legte sie vor mein Gesicht. Dann begann ich hemmungslos zu schluchzen. Ethan, ganz der große Bruder, setzte sich neben mich und nahm mich in den Arm. In der Schule hatte ich mittlerweile bemerkt, dass diese Harmonie zwischen uns nicht natürlich war. Einige dort verabscheuten ihre Schwestern oder Brüder. Warum war es also bei uns so anders? Ich meine, ich war wirklich froh darüber und wüsste nicht, was ich sonst tun würde. Ethan wollte mich gar nicht mehr loslassen. Irgendwann liefen mir nur noch stumm die Tränen über die Wangen und Ethan schubste mich wieder in mein Bett und deckte mich zu. Dann nahm er meinen Schreibtischstuhl, zog ihn neben mein Bett und setzte sich. Wollte er jetzt die ganze Nacht hierbleiben? Wie lieb von ihm. "Schlaf weiter. Ich bleib hier und wecke dich sofort auf wenn du wieder schreist. Versprochen." Das beruhigte mich tatsächlich so weit, dass ich in einen traumlosen Schlaf fiel.

Ich sah nicht sonderlich gut aus, als ich durch das Schultor trat. Trotz des Make-ups hatte ich Augenringe und sah hundemüde aus. Da half mein tadelloses Styling auch nicht mehr viel. Scarlett guckte mich entsetzt an und nahm mich dann in die Arme. "Was ist denn mit dir los?  Du siehst aus wie durch den Dreck gezogen." "Na Danke auch", flüsterte ich sarkastisch gegen ihre Schulter. "Hey, dir geht es doch schon länger so. Bisher hast du nur nichts gesagt und versucht dir nichts anmerken zu lassen. Aber ich bin deine beste Freundin. Ich habe gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Also?" Ich versuchte sie irgendwie abzuwimmeln: "Ach nur ein blöder Alptraum, der sich immer wiederholt. Wird bestimmt bald wieder besser." Dann ließ ich sie stehen und ging los in Richtung Klassenzimmer- sie lief mir hinterher, na ganz klasse. Wie sollte ich erklären, dass mein komisches Verhalten in den letzten Tagen nicht von den Träumen kam, sondern von der Tatsache her rührte,  dass Sean wieder in Miami war. Bisher hatte ich es ihr verschwiegen und war ihr aus dem Weg gegangen, da ich einfach ratlos war, wie man so etwas einer besten Freundin beibringt. Auch Ethan wusste nichts davon, sonst hätte er sich heute Nacht ganz bestimmt nicht an mein Bett gesetzt. Sollte ich wenigstens ihm erzählen?  Besser wäre es vermutlich, beschloss ich. Heute nachmittag würde ich es ihm sagen.

Der Tag zog sich wie ein zäher Kaugummi. Wie immer wenn ich in der Schule war und Spanisch war wieder die reinste Folter. Scarlett versuchte zwar mich aufzumuntern,aber das half nicht viel, weil ich bei jeder Gelegenheit fast mit dem Kopf auf den Tisch knallte, weil ich so müde war. Riley war krank, was meine Laune auch nicht gerade zum besseren bewegte, aber so bekam er immerhin nicht mit wie schrecklich ich aussah. Obwohl er dann warscheinlich immernoch behauptet hätte ich wäre wunderschön. Das taten die Typen in den Filmen jedenfalls immer. Bis ich mich endlich auf den Weg nach Hause machen konnte verging eine halbe Ewigkeit. Schule war wirklich nicht meine Lieblingsbeschäftigung. Heute jedoch hatte ich ein wenig Angst davor, was geschehen würde wenn Ethan wusste, dass Sean zurück war. Er würde bestimmt richtig wütend werden und ich würde ihn davon abhalten müssen Sean zu verprügeln.

Wie es aussah hatte ich mich darin nicht geirrt. Als ich nach Hause kam und die Türe aufgeschlossen hatte, fand ich einen an der Unterlippe blutenden Ethan auf der Couch sitzen. Oh Nein! Ich war zu spät. Ethan war Sean schon über den Weg gelaufen. "Hey, was hast du gemacht?", fragte ich ihn vorsichtig. Die Verletzung konnte ja auch von etwas anderem sein. "Ich glaube", Ethans Stimme bebte vor Zorn, ja er war Sean über den Weg gelaufen, "Das weißt du ganz genau Evelynn. Du bist Rileys Freundin und er ist sein Bruder. Vor zwei Tagen warst du doch bei ihm. Du musst es doch gewusst haben. Warum hast du mir nichts gesagt? Ich hätte diesem Schwein schon viel früher gezeigt wo es langgeht." "Ethan! Ich glaube er hat sich geändert. Er wird so etwas bestimmt nicht nochmal tun. Zu mir war er nett. Glaub mir, ich hatte vor es dir zu erzählen. Ich hatte es heute vor. Dummerweise ist Sean mir wohl zuvor gekommen." "Das ändert auch nichts. So schnell wird der sich nicht mehr in meine oder Scarletts Nähe wagen." "Was hast du bloß mit ihm angestellt?", flüsterte ich entsetzt. Ethan redete gar nicht mehr so, wie ich es von meinem großen Bruder gewohnt war. Er redete, als wollte er Sean tot sehen, ja als wolle er ihn eigenhändig umbringen. Aber davon würde ich ihn abhalten, soviel war sicher.

Ethan war immer noch unglaublich wütend und sah mich dauernd mit Blicken an, bei denen man dachte, gut, dass Blicke nicht töten können. Er hatte mich am Arm gepackt und zog mich mit sich. Wohin? Zu Scarlett. Er hatte beschlossen ihr alles zu sagen, denn auch er war sicher, dass sie komplett ausrasten würde, sobald sie Sean sehen würde. Wir bogen um eine Ecke und wären fast in einen alten Mann gerannt, der ebenfalls leicht gehetzt aussah. Wir wollten uns entschuldigen, doch er raste einfach weiter. Ich fand es immerwieder seltsam, wie wenig Zeit die Menschen hier hatten, obwohl sie doch viel länger lebten. Vielleicht aber auch nicht, vielleicht würde ich tot sein nachdem ich mit meiner besten Freundin gesprochen hatte.  Sie würde sauer sein, sehr sauer. Und zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich Angst vor meiner besten Freundin. Ethan war schon sauer auf mich und ich war mir sicher, dass er nach diesem Besuch bei Scarlett kein Wort mehr mit mir reden würde. Ich hatte Sean schließlich irgendwie in Schutz genommen und, ich glaubte das allerschlimmste war, dass ich es vor meinem Bruder geheim gehalten hatte.

Als wir vor Scarletts Tür standen, hämmerte mein Herz gegen meine Brust und Ethan drückte meine Hand so fest, dass sie langsam blutleer wurde. Scarlett hatte anscheinend nur mich gesehen, denn sie rief laut aus dem Fenster oben: "Warte ich mach dir auf!" Dann verschwand sie und die Tür öffnete sich. Wir befanden uns in einem schmalen Flur, der in einem hellen gelb gehalten war und an dessen Wänden viele (auch peinliche) Babybilder von Scarlett hingen. Erst strahlte sie über das ganze Gesicht und freute sich, mich zu sehen, aber als der immernoch stinkwütende Ethan in ihr Blickfeld trat, wurde sie ganz weiß im Gesicht. "Was willst du hier?",sagte sie kalt. "Mit dir reden", antwortete Ethan ungerührt von ihrer Kälte, "Meine Schwester hat uns ein bisschen was verheimlicht und ich denke, es wird dich interessieren." "Und wenn nicht? Ich will nichts mit dir zu tun haben, das weißt du doch. Es ist mir auch egal, was Evelynn getan hat. So schlimm wird es schon nicht sein." Wenn sie wüsste! Ich senkte meinen Kopf und wurde rot. "Oh, Scheiße! Wenn sie so reagiert muss es ja was richtig Schlimmes sein. Es interessiert mich doch." Und mein Bruder erzählte ihr alles, dass Sean zurück war, dass ich es verheimlicht hatte, dass ich ihn in Schutz genommen hatte und dass ich glaubte er habe sich gebessert. Mit jedem Wort wurde sie bleicher und wütender, bis sie Ethan unterbrach und mich anschrie. Ich war tief in der Couch versunken. Mit jedem Wort von Ethan tiefer. "DU HAST WAS?! UND SOWAS NENNT SICH BESTE FREUNDIN. DU WEISST DOCH WAS ER MIT MIR GEMACHT HAT!! WIE KANNST DU IHN DANN NOCH VERTEIDIGEN?! VERSCHWINDE! ICH WILL DICH NICHT MEHR SEHEN!" Autsch, das hatte gesessen. Ohne ein weiteres Wort stand ich auf und ging. Mit hängenden Schultern verließ ich die Wohnung. Hinter mir hörte ich Scarlett weiterschreien: "Und du! In deiner Familie sind sie doch alle Verräter! Erst du, dann sie. Und was ist überhaupt mit deiner Lippe passiert...." Sie wurde immer leiser, bis ich sie nicht mehr hören konnte. Ich war zu schlecht gelaunt um meine Ombré Fähigkeiten einzusetzen und weiter zu lauschen. Außerdem hatte ich schon genug Schreckliches getan. Da kam es mir einfach unfair vor auch noch so etwas zu tun. Schon einige Zeit liefen mir die Tränen übers Gesicht und vernebelten meine Sicht. So war es unvermeidlich, dass ich irgendwann in jemanden hereinlief. Ich zuckte heftig zusammen, doch sofort zog die Person mich in eine Umarmung. Na toll! Ich war geradewegs in Riley reingerannt. "Was ist denn los?" Und nochmal musste ich schluchzend alles berichten, wie ich mich erst mit meinem Bruder gestritten und dann vermutlich meine beste Freundin verloren hatte. "Ich hab doch immer gesagt Sean ist ein Idiot. Auch wenn er jetzt netter ist, seine vergangenen Taten haben tiefe Wunden aufgerissen. Es tut mir so leid", flüsterte Riley in mein Haar.

Ich weinte noch lange, auch als Riley mich schon nach Hause gebracht hatte. Meine Eltern hatten mir besorgt hinterher geschaut und sich vermutlich die verrücktesten Sachen zusammengereimt, aber als Ethan dann eben so verstört zur Haustür hereingelaufen kam, wussten sogar sie, dass es Streit zwischen uns gegeben hatte. Im Bett wälzte ich mich Stunden lang herum, was mich leider jedoch nicht davon abhielt Träume zu haben. Furchtbare, grausame Träume. Obwohl eigentlich war es nur einer und mir war nicht klar, dass er mein gesamtes Leben verrändern würde. Für immer.

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Ich freue mich immer über Kritik (bei extrem negativer gerne auch Privat ;) )  also schreibt mal was in die Kommis. Und danke für die mittlerweile über 300 Reads. ich weiß, dass lange nicht alle auch nur mit der Story angefangen haben.... aber das ist für mich schon eine extrem hohe Zahl. Danke!!!!!!

HexenflammenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt