28. Kapitel

183 22 6
                                    

Nachdem ich stundenlang über diese Frage nachgedacht hatte, musste ich sie resigniert ruhen lassen, da ich keine Antwort fand. Gezwungenermaßen hatte Riley sich verabschiedet und ich saß alleine auf meinem Bett. Ich verarbeitete das Geschehene immernoch, konnte aber ganz gut damit leben. Mir war klar, dass die Iram Vindicem  die Explosion in der Fabrik verursacht hatten um mir etwas anzutun. Ich verstand nur nicht, warum sie so viele Menschen gefährdeten und es in aller Öffentlichkeit taten.

In der AG stürzten wir uns direkt auf die Vorbereitungen, doch ich befand mich in einem Zwiespalt. Einerseits freute ich mich auf das Fest und wollte gerne mit Taylor reden, andererseits würde ich ihn dann aber zum letzten Mal sehen. Es machte unglaublich viel Spaß das Essen zu planen und die Location im Geiste zu dekorieren. Das würde ich gleich beim Training alles Taylor erzählen. Vielleicht würden wir dann dieses mal näher an dem liegen, was der Schweizer Garde gefiel. Die lila Schleifchen, die eine aus der AG gerade vorschlug, waren aber ganz bestimmt nicht nach ihrem Geschmack.

"Hi. Heute hab ich nicht viel Zeit. Wir haben gleich eine Sondereinheit." Enttäuscht verzog ich mein Gesicht. Er musste das natürlich auch bemerken. "Wie lange kannst du denn dann?", fragte ich ihn. nun nicht mehr ganz so überschwänglich wie zuvor. "Ne halbe Stunde?" Na ganz toll, und wozu genau war ich jetzt nach Brownsville gefahren? Würde mir das bitte mal jemand verraten? Eine halbe Stunde war doch komplett lächerlich. Vor zehn Jahren noch hätte ich dann länger im Bus gesessen, als mit Taylor zu trainieren. Ich brummte ein wenig, "Dann lass uns mal anfangen, sonst kann ich auch direkt wieder umdrehen." "Bitte sei jetzt nicht schlecht gelaunt. Ich machs irgendwie wieder gut. Ich weiß, ich hab dir versprochen heute viel zu trainieren." So gut es ging versuchte ich, ihn anzulächeln, doch ich merkte schnell, dass ich Taylor so nicht überzeugen konnte. Ich schwieg also die ganze Zeit, sagte kein einziges Wort beim Training, bis er dann anfing zu reden. "Lynn, bist du jetzt beleidigt oder was? Es tut mir ja leid aber ich kann doch auch nichts dafür." "Ne, ist schon gut. Bin nur gerade ein bisschen enttäuscht. Aber ich frag Riley gleich einfach mal ob er noch Zeit hat." Das waren die falschen Worte, Taylor verzog leicht das Gesicht. "Okay. Dann ist ja gut. Ich dachte schon, ich hätte dir den Abend verdorben." Er meinte es nicht so. Und er sah aus, als könne er sich gerade selbst Ohrfeigen dafür, dass er keine Zeit hatte. Alles in allem war das Training an diesem Tag nicht so schön wie sonst und ich atmete tatsächlich auf als ich aus der Tür des Trainingsgebäudes kam. Früher war es wohl mal ein Gefängnis gewesen, wozu es jetzt normalerweise da war, wusste ich nicht.

Zu Hause dachte ich nochmal über das Training nach. Mir gefiel es gar nicht, wie Taylor und ich miteinander geredet hatten. Normalerweise verstanden wir uns ja ziemlich gut. Er war quasi mit mir auf einer Wellenlänge. Nur heute leider nicht. Fast schon tat es mir leid, dass ich nach unserem Gespräch versucht hatte so schnell wie möglich von ihm wegzukommen, denn Riley würde ich ganz bestimmt nicht anrufen und ich würde das Haus an diesem Tag auch nicht mehr verlassen. Heute hatte etwas über die Explosion in der Zeitung gestanden. Eine Chemikalie war wohl "ausversehen" angezündet worden und explodiert. Gestorben war keiner, nur die Laborleiterin lag schwerverletzt im Krankenhaus. Keiner hatte heute Morgen gefragt, woher Riley seine Schnittwunde hatte, doch Scarlett hatte ich es erzählt. Sie war fast ausgetickt bei dem Gedanken daran, was mir alles hätte passieren können. Sie lobpreiste Riley dafür, dass er mich beschützt hatte. Um ihn machte sie sich allerdings keine Sorgen, obwohl er viel mehr Schnitte abbekommen hatte als ich. Ethan hatte ich gar nicht erst versucht irgendwas zu verheimlichen, aber er war nicht besorgt. Er murmelte nur etwas davon, dass Riley richtig Ärger bekommen hätte wenn ich stärker verletzt gewesen wäre. Mit dem leider nur halb beruhigenden Gedanken, dass alles gut gegangen war -die Iram Vindicem konnten schließlich jederzeit wieder zuschlagen- schlief ich ein.

Kaltes, nassen Wasser klatschte auf mein Gesicht und ich schrak hoch. Scheiß Bruder! Warum musste er mir morgens um sechs Uhr auch eiskaltes Wasser übers Gesicht kippen? Ich hatte einen Wecker verdammt nochmal! Das würde Rache geben, garantiert. Doch dann fiel mir ein, dass auf die Rache wieder eine Rache folgen würde und darauf hatte ich wirklich keine Lust. Außerdem musste man sich dann etwas Gutes überlegen und dazu war es im Moment noch zu früh, weswegen ich beschloss, es einfach sein zu lassen. Ich wollte heute mal mit dem Bus fahren, da Scarlett sich geweigert hatte nochmal bei Ethan mitzufahren und ich wollte unbedingt allein mit ihr reden. Ethan fuhr mal wieder viel zu früh los und ich genoss die Zeit allein zu Hause. Granny schlief noch, was so gut war, als wäre sie außer Haus. gerade als ich mir meine Tasche geschnappt hatte und das Haus verlassen wollte, klingelte es an der Haustür. Bevor ich öffnete sah ich noch schnell nach, ob Granny noch schlief. Sie schnarchte leise und ich spazierte langsam zur Haustür. Es war mir egal wer es war, auch ob er warten würde. Jetzt klopfte es an der Haustür. Welcher Idiot klingelte und klopfte denn so früh? Nur Schüler waren um diese Zeit schon wach. Ich riss die Tür mit einem genervten Blick auf. Taylor. Er setzte zu einer Begrüßung oder einer Begründung an, doch weit kam er nicht. Ich wusste nicht warum, warscheinlich hatte ich einfach ein schlechtes Gewissen, aber ich stürmte auf ihn zu und warf mich in seine Arme. Dann, ohne dass ich etwas tun konnte, drückte ich meine Lippen auf seine. Es war anders als Riley zu küssen. Bei Riley fühlte es sich wunderbar an, so als ob man nach Hause kommen würde, wir waren voller Liebe füreinander. Taylors Kuss fühlte sich an, wie ein Feuerwerk, es fühlte sich fremd und vertraut zugleich an und ich konnte an nichts anderes mehr denken. An Nichts, was über Taylor und mich hinausging. Doch plötzlich und ohne Vorwahrnung kam mein Gewissen wieder zurück und mein Herz und mein Gehirn begannen wieder zu arbeiten. Es war, als würden sie einen Kampf gegeneinander austragen. Das Gehirn gewann und ich löste mich von Taylor. Er strahlte, sah aber auch besorgt und geschockt aus. Ich war mir sicher, dass er nicht mit einer solchen Begrüßung gerechnet hatte, vermutlich genauso wenig wie ich. Geschockt war ich nun allerdings auch ein bisschen. "Es tut mir leid. Ich wollte das nicht. Ich mag dich zwar aber nicht so. Tut mir so leid." Er sah mich verwirrt an. "Jaah, dann geh ich mal wieder. Wollte mich eigentlich nur wegen Gestern entschuldigen und dich zur Schule bringen", er zeigte auf ein schwarzes Auto hinter sich, "aber da du mir ja anscheinend schon verziehen hast, kannst du dir aussuchen ob du mit mir fahren willst." Ich überlegte kurz, obwohl meine Entscheidung eigentlich schon gefallen war. "Hm, nein, ich fahre lieber mit dem Bus", ich rauschte an ihm vorbei und knallte die Tür zu. "Bleibt es bei dem Training übermorgen?" Zur Antwort nickte er, dann drehte er sich um und stieg in sein Auto -wo er das her hatte wusste ich nicht. Im Bus war ich wohl ungewöhnlich still und Scarlett fragte mehrmals, was denn los sei. Ich war jedes Mal zu verwirrt um zu antworten und dachte über die Tatsache nach, dass ich Taylor geküsst hatte.

HexenflammenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt