43.Kapitel

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Am nächsten Tag ließen meine Eltern mich zu Hause, ich sollte nicht mitbekommen, wie in der Schule alle trauerten und niemand sollte mich fragen, was geschehen war. Ich saß auf dem Sofa, niemand redete mit mir, um mich zu schonen, und ich starrte vor mich hin. Ich dachte an Riley, dachte an unser erstes -zumindest aus meiner Sicht- Date, wie wir im Kino gesessen hatten und uns diesen Liebesfilm angesehen hatten. Damals hatte ich gedacht, dass mein Leben nicht so kompliziert war, was das Thema Liebe betraf, aber jetzt war es sogar noch schlimmer. Obwohl, eigentlich war es gleich. Die Frau war in beide Kerle verliebt gewesen, einer war tot und sie hatte Schuldgefühle. Genau meine Situation. Dann dachte ich an die Nachmittage in Miami Beach, die jedes Mal so wunderschön für mich gewesen waren und mir lief eine einzelne Träne über die Wange.

In dieser Nacht hatte ich wieder eine Vision, aber ich war mir sicher, dass sie von Evangeline kam und nicht von den Iram Vindicem. Ich stand nämlich an einem wunderschönen Ort. Der Himmel über mir nahm gerade wunderbare Rosa- und Orangetöne an und das Gras unter meinen Füßen war noch nass vom Tau. Ich stand auf einer riesigen Lichtung, die im schwindenden Sonnenschein unglaublich friedlich wirkte. Ich war nicht allein; er stand nur ein paar Meter von mir entfernt, mit seinen braunen Haaren und seinem warmen Lächeln, das mich immer so glücklich gemacht hatte. Er hielt seine Arme auf und ich rannte zu ihm. Es war so wunderbar in Rileys Armen zu liegen, dass mir die Tränen in die Augen schossen und schließlich überliefen. "Und ich dachte, ich seh dich nie wieder! Oh Riley, es tut mir alles so furchtbar leid! Das ist alles meine Schuld. Bitte verzeih mir, ich wollte nie, dass du stirbst und-" "Ist ja gut. Erstens bin ich dir nicht böse, es war ja meine Entscheidung. Und Zweitens ist es nicht deine Schuld. Mir tut nur leid, dass wir unsere letzte gemeinsame Zeit mit Streitereien verbracht haben. Wir hätten so viel Spaß haben können." "Hätten wir. Riley, wie geht es dir jetzt? Wie ist es, wenn man tot ist?" Riley zuckte kurz zusammen. "Tschuldigung, du musst mir das natürlich nicht beantworten. War eine ziemlich persönliche und unangebrachte Frage." "Nein, ist schon okay. Es ist eigentlich gut. Ich muss mir um nichts Sorgen machen, ich bin glücklich. Der Tod ist nicht so schlimm, Sterben ist das Blöde am Ganzen. In meinem Fall hatte ich Schmerzen und ich hab all die Schreie gehört, und ich wusste natürlich nicht, ob du jetzt letztendlich überlebt hattest. Aber es stimmt wirklich, was viele sagen: Der Tod ist schön, und bevor man endgültig stirbt, ist es, als würdest du wie ein Staubkorn durch die Luft schweben, du kannst alles -sogar dich selbst- sehen. Es war ein schönes Gefühl, der Schmerz war weg, und ich wusste nicht mehr, wer ihr alle wart. Ich wusste nur, dass ich tot war und ich aus Liebe gestorben bin. Und ich habe an dich gedacht. Ich habe gedacht, wie es war, als wir noch zusammen waren." Er sah mich an und lächelte liebevoll. "Bitte sei nicht mehr so lange traurig. Lebe dein Leben weiter. Es ist alles gut so, wie es ist." "Aber ohne dich ist es nicht perfekt." "Evelynn. Es wird wieder perfekt sein. Aber jetzt erzähl mal, was ist passiert, nachdem ich gestorben war?" Ich berichtete von der Reaktion seines Bruders, die ihm einen Schatten aufs Gesicht jagte, und von Evangeline und den anderen Ombré. Er fand das alles ziemlich faszinierend, worüber ich nur den Kopf schütteln konnte. Für mich war dieser Tag nur schrecklich gewesen. Nach einer Weile des Redens und Lachens war es völlig dunkel geworden und Riley sah sich um. "Es scheint, als wäre unsere Zeit vorüber. Denk dran, du musst weiterleben, auch ohne mich." Ich spürte wirklich, dass meine Konzentration schwand und ich langsam aber sicher aufwachte. "Werde ich dich jemals wiedersehen?" "Nein, wahrscheinlich nicht." Alles um mich herum verschwamm und ich wachte keuchend auf.

Eine Woche später stand ich vor dem Spiegel und strich das schwarze Kleid glatt. Heute würde Riley beerdigt werden und ich hatte eine Menge Angst vor diesem Tag. Meine Haare wurden hinten von einer schwarzen Spange gehalten, sodass ein lockerer Knoten entstand. Meine Strumpfhosen waren dunkelbraun, fast schwarz und meine -ebenfalls schwarzen- High-Heels waren so hoch, dass ich darauf fast nicht mehr laufen konnte. Ich hatte mir extra ein schwarzes Strickjäckchen gekauft, da das Kleid ziemlich große Aussparungen am Rücken hatte und ich nicht frieren wollte. Meine gesamte Familie würde zur Beerdigung kommen, sodass ich wenigstens nicht alleine war. Sie warteten alle schon auf mich, da ich bestimmt eine geschlagene Viertelstunde einfach so vorm Spiegel gehockt hatte. Mein Traum hatte mir Hoffnung gegeben; vielleicht war ja noch nicht alles vorbei, aber diese Beerdigung würde diese Hoffnungen, da war ich mir sicher, zunichte machen. "Hey, du siehst toll aus", Taylor wollte auch mitkommen, um Riley entsprechend zu verabschieden. Wenn er ihn auch früher gehasst hatte, jetzt verehrte er ihn, weil er mir das Leben gerettet hatte.

Die Kirche war voll, als wir eintraten und unglaublich viele Mitschüler waren gekommen. Es hatte sich -ich vermutete durch Scarlett- herumgesprochen, was passiert war und viele bewunderten ihn für das, was er für mich getan hatte. Beatrice stand an der Tür und begrüßte alle Gäste, dann sah sie mich. "Evelynn. Schön dich zu sehen", sie hatte garantiert gewusst, dass ich kommen würde, "ich würde mich freuen, wenn du dich Vorne in die erste Reihe zu uns setzen würdest. Riley hätte das so gewollt." Panik machte sich in mir breit, schließlich würde mich dann kein Taylor trösten können, aber ich folgte ihrer Bitte. Natürlich hätte er das so gewollt. Ich drehte mich noch einmal kurz um, damit ich sehen konnte, wie Beatrice Taylor begrüßte; sie wirkte nicht freundlich und wusste genau, wer Taylor war. Er war der Junge, der ihrem toten Sohn die Freundin ausgespannt hatte. "Es tut mir leid", Taylor klang wirklich mitfühlend und traurig und Beatrice wurde sofort etwas freundlicher. "Na ja, jetzt wo er tot ist, ist es wahrscheinlich gut, dass sie dich hat." Vorne standen Blumen, die ich hauptsächlich nicht definieren konnte, aber es waren auf jeden Fall Lilien und rote Rosen dabei. Sie verströmten einen Duft, der mich unwillkürlich beruhigte. Inmitten der Blumen stand ein Bild von ihm, das vom Schulfotografen kam. Bei dem Anblick schossen mir sofort Tränen in die Augen. Warum er?

Der schlimmste Moment war der, an dem Riley in das Grab herabgelassen wurde. Sein Sarg war weiß, eigentlich eine Farbe, die für Kinder vorgesehen war, aber für das, was er getan hatte, hatte man ihm einen weißen zugesprochen. Ein riesiger Strauß aus Lilien in verschiedenen Farben lag auf dem kaum verzierten Sarg und einige Grabbeigaben lagen in einem Kästchen dabei. Danach gingen alle an dem Grab vorbei, zuerst seine Familie, dann ich. "Tschüss Riley", meine Stimme war kaum ein Wispern, dann ließ ich eine rote Rose auf den Sarg fallen. Dies war der Moment, in dem ich Rileys Tod akzeptierte, annahm, dass er dort glücklich war, wo immer er sich jetzt aufhielt und der Moment, in dem meine Tränen versiegten. Ich hatte endgültig Abschied genommen.

Am nächsten Tag kam Taylor zu mir nach Hause, in der Hand hielt er einen Brief. "Hey. Wie geht's dir? Wird es schon besser?" "Jaja. Geht schon. Von wem ist der Brief?" "Von meiner Mamma. Sie sagt, die Schweizer Garde habe gehört, was hier geschehen ist und was ich getan habe und sie wollen mich zurück. Wenn ich will darf ich nächstes Jahr den Dienst wieder antreten. Sie hatten überlegt, mich von hier aus arbeiten zu lassen. Also nicht im direkten Schutz des Papstes, sondern quasi im Außendienst. Das wäre doch die perfekte Lösung! Was meinst du Lynn?" Seine Stimme hatte einen immer begeisterteren Ton angenommen und jetzt fiel er mir praktisch in die Arme. Ich hatte gewusst, dass er seinen Job vermisste und es freute mich, dass er die perfekte Lösung gefunden hatte. "Das ist wirklich wunderbar. Aber es ist noch nicht sicher oder? Was wenn du wieder nach Italien musst?" "Dann kündige ich meinen Job wieder. Keine Sorge. Ich werde nicht weggehen, ich werde dich nicht verlassen. Ich liebe dich." Das waren die schönsten Worte, die er zu mir hätte sagen können. Ich sah in sein lächelndes Gesicht und erwiderte das Lächeln. Das Sonnenlicht, das durch mein Zimmerfenster fiel strahlte auf uns beide, was alles einfach nur perfekt machte. "Ich liebe dich auch Taylor Diavelli."

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