10. Kapitel

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Erst dann erlaubte ich mir, über alles nachzudenken. Es war alles Wahr gewesen? Jede einzelne Vision? Der kleine Junge und all die anderen waren wirklich gestorben? Es gab diese schwarzen Gestalten wirklich? Und sie liefen auch noch in Miami herum. Wenn alles in den Träumen Wirklichkeit war, warum war ich dann nicht tot? Und wieso suchten mich diese komischen schwarzen Gestalten? Hatten sie mich in diese Zeit gebracht? Eine menge Fragen schwirrten mir im Kopf herum und ich fand nicht auf eine einzige eine vernünftige Antwort. Unaufhaltsam liefen Tränen über meine Wangen und ich hatte das Gefühl, als würde die dunkle Verzweiflung unaufhaltsam über mir zusammenschlagen. Ich konnte mit niemandem darüber reden, soviel war sicher. Damit würde niemand zurecht kommen und niemand würde so etwas für sich behalten können. Wenn es an die Öffentlichkeit kam, würde mir zwar niemand glauben, aber ich würde in ein Irrenhaus kommen. Das war sicher. Ich musste weiterhin stark sein und einfach weitermachen, mir nichts anmerken lassen. Ich konnte das schaffen, konnte es geheim halten. Ich musste einfach weiterhin alles auf meine Alpträume schieben. Apropos Alpträume, wie sollte ich sie überstehen, jetzt wo ich wusste, dass sie wahr gewesen waren. Würden sie überhaupt wiederkommen oder war wenigstens das jetzt endlich vorbei? Langsam  stand ich auf und setzte mich ans Fenster. In der Ferne hatte ich eine Sirene gehört. Und igendein Fernsehteam war bestimmt auch schon auf dem Weg. Ich dämmerte leicht weg und versuchte an nichts zu denken, als ich in der Ferne einen schwarzen Umhang um eine Ecke biegen sah. Er sah mir dierekt in die Augen und hob dann seine rechte Hand. Erst verstand ich nicht, was das sollte, aber dann sah ich die Pistole in seiner Hand. Was sollte das denn? Er konnte doch nicht mitten auf der Straße abdrücken oder? Doch er konnte und er tat es. Der Schuss hallte von den Hauswändern wieder und ich fand es furchtbar, dass die wunderbare Idylle hier in Miami von so etwas gestört wurde. Die Stadt war so wunderschön und ich liebte es hier zu wohnen. Die schwarze Gestalt drehte sich nun um und verschwand wieder um die Ecke. Was sollte das denn jetzt? Na ja, eins wusste ich wenigstens sicher: Es gab sie also wirklich, diese schwarzen Umhänge. Und sie waren hinter mir her. Warum auch immer. 

Der nächste Tag war einfach grauenhaft. Ich hatte beschlossen in die Schule zu gehen und einfach weiterzumachen, so schwer es mir auch fiel. Meine Mutter kam am Morgen zu mir und meinte, ich solle vorsichtig sein, da in unserer Gegend gestern Nachmittag geschossen worden war. Als ob ich das nicht schon längst wüsste. Außerdem hatte es mittlerweile sogar einen zweitklassigen Nachrichtensender erreicht, dass in Miami ein Junge ermordet wurde. Sie suchten den Täter schon "Wir bitten alle, die etwas wissen um Mithilfe. Die Familie wird ein Kopfgeld auf den Mörder ausstellen. Der Betrag ist noch nicht bekannt..." Ich hörte nicht mehr zu. Waren die jetzt vollkommen durchkeknallt?! Wenn mein Sohn gestorben wäre, ich hätte einfach meine Ruhe haben wollen. Vielleicht konnten sie aber nur so ihren Frieden finden, schoss es mir durch den Kopf. Meine Mutter kam zu mir und schaute mich mitleidig an: "Wie schrecklich, dass so etwas an deiner Schule geschieht. Und wir dachten ihr würdet auf eine sichere Schule gehen." Oh man, diesen Mist wollte ich mir nicht länger anhören. Zumal Ethan gerade die Treppe herunterkam. "Bye!", rief ich also und rauschte zur Tür hinaus. Durchs Fenster warf ich noch einen  Blick zurück. Mein Bruder stand in Jeans und grünem T-shirt vor meiner Mom und musste sich vermutlich gerade das Gleiche anhören. Ich ging zur Bushaltestelle und es fing langsam an zu nieseln. Wir waren in Miami, und eigentlich solle es angenehm warm sein, warum musste dann genau jetzt, da ich draußen war schlechtes Wetter sein? Der Bus kam mit Verspätung, und ich war klitschnass und schlecht gelaunt als ich einstieg. Scarlett würde mir wohl heute keinen Platz feihalten, obwohl das auch gar nicht nötig war, denn heute war der es erstaunlich leer.  Vermutlich wollten einige, besorgte Eltern ihre Kinder höchst persönlich zur Schule bringen um sich zu versichern, dass die Kinder sicher waren. Und ich hatte recht: Unzählige Autos standen vor oder auf dem Schulhof und teilweise gingen die Mütter auch noch bis zur Tür. Ich verdrehte die Augen, obwohl, so dumm war es vermutlich gar nicht. Einige Eltern musterten mich mit einem verächtlichen Blick, als ob sie es nicht fassen könnten wie schrecklich meine Eltern waren wenn sie mich alleine zur Schule ließen. An meinem Aussehen konnte es jedenfalls nicht liegen. Ich trug ein orangefarbenes Top, grüne Vans und eine einfache, blaue Jeans. Vielleicht ein wenig bunt, aber das war ja wohl vollkommen egal. Um nicht noch nasser zu werden als ich sowieso schon war beeilte ich mich zum Eingang zu kommen. Er war überdacht und ich machte dort eine kurze Pause um die Lage zu erfassen, mal nebensächlich an dieser Stelle, dass es mir so mies ging, dass ich begonnen hatte zu keuchen. Jasons Fundstelle war noch immer abgesperrt, aber eine Menge schaulustiger spähten immerwieder darüber. Sie hatten die Umrisse seiner Leiche nachgemalt, vermutete ich, aber mehr war dort doch nicht zu sehen oder? Die Leiche hatten sie bestimmt entfernt. Die meisten standen noch auf dem Schulhof, natürlich unter Regenschirmen, oder sie waren schon nach drinnen gegangen um sich zu trocknen. Das hatte ich nun auch vor, also schob ich die Tür auf. Scarlett stand an ihrem Spind und für einen kurzen Moment dachte ich, sie hätte auf mich gewartet, aber dann sah ich sie mit einem Mädchen, das ich nicht kannte, verschwinden. Schade eigentlich. Sie fehlte mir jetzt schon. Plötzlich rempelte mich jemand von hinten an. Ich wollte schon losschimpfen, besann mich dann aber eines besseren als ich bemerkte, dass es mein Bruder gewesen war. Was sollte das denn? Er wusste doch genau, wie schlecht es mir wegen ihm ging. Warum versuchte er jetzt auch noch mir eine reinzuwürgen? Im Grunde hatte ich ja eher Scarlett verraten und nicht ihn. Es klingelte und begab mich zu einer extrem langweiligen Englisch Stunde.

In der großen Pause wurde unsere Aufmerksamkeit zum ersten Mal von Jason abgelenkt, als ein Plakat an der Infotafel hing. In fett gedruckten Buchstaben verkündete es:

Die Schweizer Garde kommt! Sie werden ein Trainingslager in Miami besuchen!  Darunter stand ein Datum, dass, wie ich mit einem Blick auf mein Smartphone feststellte, genau in drei Wochen war. Unsere Schule sollte die Willkommensfeier vorbereiten, warum auch immer. Sofort beschloss ich dort mitzuhelfen, denn das würde mich bestimmt von meinen ganzen Sorgen ablenken. Es würde auch eine AG stattfinden und ich trug mich sofort auf der Liste ein. Das erste Treffen war morgen und ich musste Mom noch fragen, ob es Ok war wenn ich dorthin ging. Natürlich musste ich die Liste überwachen, denn es würde der reinste Hororr werden wenn mein Bruder sich auch dort eintrug. Um Scarlett musste ich mir keine Sorgen machen, sie verbrachte keine Minute freiwillig in der Schule. Riley sollte ich auch besser davon abhalten diese AG zu besuchen, schließlich sollte er auf keinen Fall mitbekommen, was ich war. Und diese blöden Typen in den schwarzen Umhängen klebten mir schließlich die ganze Zeit an den Fersen.

In der nächsten, etwas längeren Pause unterhielt ich mich mit Riley über die Garde. Ok, es gab jetzt nur noch zwei Gesprächsthemen, Jason und die schweizer Garde. "Warum brauchen die überhaupt ein Trainingslager? Ich dachte die werden in italien ausgebildet?", fragte ich Riley. "Ja, schon, aber es gab vor fünf Jahren einen Angriff auf den Papst. Er wurde erschossen. Weißt du nicht mehr?", Ja, woher denn?, dachte ich, "Also jedenfalls sucht man jetzt schon lange eine Möglichkeit, die Garde wieder besser zu trainieren. In der letzten Zeit waren sie mehr so wie Securityleute. Jetzt soll es wieder eine richtige Armee werden. Wenn auch die kleinste der Welt. Und man hat hier in Miami ein großes sicheres Gelände gefunden. Den Papst soll wohl in der Zwischenzeit von einem Teil der englischen Garde geschützt werden. Das stell ich mir irgendwie lustig vor. Ich meine eigentlich dürfen die sich ja nicht bewegen wenn sie im Dienst sind und jetzt sollen sie den Papst beschützen? Kann nur hoffen, dass das gut geht." "Woher weißt du das alles? das stand doch so nicht auf dem Plakat oder?" Riley lachte: "Nein,aber ich hab heute morgen Nachrichten geguckt. Was kann ich dafür wenn du nichts mitkriegst." Ich schlug ihn leicht auf den Arm. "Ich hab auch Nachrichten geguckt, aber ich hab nur den Teil über Jason gesehen." "Na dann. Immerhin etwas." Es klingelte und wir rannten zu unserer nächsten Stunde.

Meine Mom hatte nichts gegen die AG -natürlich nicht, es war ja schließlich ein freiwilliges Projekt. So etwas liebte meine Mom. Im ersten Treffen erklärten sie uns, dass wir die Planung des Empfangs und des anschließenden Festes in der Schule übernehmen sollten. Sie sagten uns, was die Schweizer Garde hier alles tun würde. Und da kam mir ein Geistesblitz. In meinen Träumen war ich immer hilflos gewesen. Was aber wenn ich es irgendwie schaffte die Garde beim Trainieren zu beobachten? Ich könnte diese Kampftechniken, die sie lernen sollten zu Hause nachmachen und wäre nicht mehr hilflos. Das einzige, was ich herausfinden musste war, auf welchem Gelände sie trainierten. Den Rest würden meine Ombré Fähigeiten übernehmen. Ein Teil des schweren Kloßes, der sich in meinem Hals und Magen gebildet hatte löste sich. Ich würde nicht mehr hilflos sein. Ich würde mich wehren können.

Die Planung des Festes machte mir sogar Spaß und ich war ein bisschen traurig als ich den Klassenraum verließ und auf den Schulausgang zuging. Aus dem Augenwinkel sah ich plötzlich eine Bewegung. Etwas dunkles kam um die Ecke. Schnell rief ich die Schatten und verschwand. Tatsächlich, ein Typ in schwarzem Umhang kam um die Ecke. Wie zum teufel waren sie hierrein gelangt? Heute war die Schule besser bewacht worden als jeder andere Ort in Miami. In der Pause waren sogar wieder Polizisten hier rumgelaufen. Zum Glück konnte der Typ mich nicht sehen und ich schlich leise aus der Schule. Ein Glück, dass mich keiner gesehen hatte. In einem solchen Moment hätte ich echt ein Problem gehabt, wenn Riley bei mir gewesen wäre. Vielleicht sollte ich ihm besser aus dem Weg gehen.        

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