27. Kapitel

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"Hi. Schön dich zu sehen. Und hast du wieder alles vergessen?", wurde ich zwei Tage später von Taylor begrüßt. Ich musste lachen. "Nee, ich glaub ich kann es noch einigermaßen. Lass uns loslegen." Zur Begrüßung umarmten wir uns kurz und fingen in dem kleinen Nebenraum angekommen sofort an zu trainieren. Es machte mir mit jeder Stunde mehr Spaß und ich hatte jetzt schon Angst davor, wie es sein würde wenn die Schweizer Garde wieder in Rom war. Doch noch genoss ich jede einzelne Minute mit Taylor, jede einzelne Minute in Sicherheit. Wir lachten die ganze Zeit und jedes Mal wenn ich wieder hinfiel kriegte er sich fast nicht mehr ein.

Der erste Schultag war der Horror. Nicht etwa nur wegen Spanisch, nein, der gesamte Tag war eine einzige Katastrophe. Er fing allerdings noch ganz gut an. Ethan nahm mich und Scarlett mit zur Schule, wodurch wir uns nicht mit Bussen und Abfahrtszeiten rumschlagen mussten. Während der Fahrt war es allerdings ziemlich still, da Scarlett sich weiterhin weigerte viel mit Ethan zu sprechen. Das am Flughafen war wohl Fassade gewesen. Ich wurde mit jedem Meter, den wir hinter uns brachten aufgeregter, gleich würde ich Riley endlich wiedersehen. Wir hatten jetzt seit sieben Wochen nur über Telefon oder Skype miteinander gesprochen. Ich strahlte richtig als ich aus dem Auto stieg. Ethan warf mir nur einen genervten Blick zu.

Er stand vor dem Eingang und wartete schon auf mich. Als er mich sah, lächelte er glücklich und ich strahlte zurück. Ich beschleunigte meine Schritte und ging auf ihn zu. Es dauerte schrecklich lange, bis ich bei ihm war und er mich zur begrüßung küsste. Es fühlte sich wunderbar an, wie er mich umarmte und ich war in diesem Moment einfach nur überglücklich. Als er seine Lippen von meinen löste, ließ er mich nicht los. Er hielt meine Hände und sah mir in die Augen: "Du hast ja keine Ahnung, wie sehr ich dich vermisst habe Evelynn." Zur Antwort drückte ich mich ganz fest an ihn. "Meiner Meinung nach könnten wir hier ja für immer so stehen bleiben, aber der Unterricht fängt gleich an. Du hast Spanisch." Ich ging einen Schritt zurück und sah ihn an. "Danke dass du mich daran erinnerst. Stimmt aber." Scarlett stand einige Meter entfernt und wartete auf mich. Als ich in Richtung Tür ging, folgte sie mir außnahmsweise mal wortlos. Sie grinste mich allerdings die ganze Zeit so komisch an. Es war eine Mischung aus Freude darüber, dass ich Riley endlich wiedergesehen hatte und Mitleid weil ich jetzt wieder für ein ganzes Jahr den Spanisch Unterricht über mich ergehen lassen musste.

Es war tatsächlich nicht schön, doch hätte ich an diesem Tag nur Spanisch mit Mr. Miller vor mir gehabt, dann wäre ich überglücklich gewesen. Er sah mich die gesamte Zeit streng an und ich hatte in keiner Sekunde die Möglichkeit mit Scarlett zu quatschen. Wir wiederholten nochmal die Vergangenheitsformen in Spanisch, ein blödes Thema. Nach der Stunde scheuchte uns Mr. Miller aus der Klasse. Ich trödelte absichtlich noch ein bisschen herum und bekam mit, wie er hastig in sein Handy sprach. Vielleicht teilte er seiner Frau (Er hatte tatsächlich eine, auch wenn es mir schleierhaft war, wie ein solcher Mensch lieben konnte) gerade mit, dass er später zum Essen kam oder so.

In der großen Pause stand ich bei Riley, Scarlett war auf die Toilette gegangen und Ethan stand bei seinen Freunden. Normalerweise hätte ich auch mit Scarlett bei den anderen Mädels aus unserem Englischkurs gesessen, aber heute waren wir beide einfach nur froh uns wiederzusehen. Und genau das machte den Tag so furchtbar.

Scarlett war noch auf der Toilette, als ich am Schultor fünf Menschen in schwarzen Umhängen stehen sah. Alle fünf starrten mich unverwandt an; die Iram Vindicem waren wieder da und sie wollten mich nun unerklärlicherweise mit noch größerem Willen umbringen. Panisch versuchte ich einen Ausweg zu finden, doch das einzige, was mir einfiel würde Riley in die gesamte Sache mit reinziehen. Der größte Iram Vindicem schob seine Hand in den schwarzen Umhang und hob sie dann mit einer Pistole hoch. Ich musste verschwinden, sofort. "Riley hör mir zu!", flüsterte ich eindringlich, "Du musst mir vertrauen. Siehst du die Männer da am Tor? Die sind hinter mir her. Wenn sie dich fragen, sag ich wäre weggegangen, den Leuten aus der Schule sagst du, mir wäre schlecht geworden. Und egal was du jetzt siehst, bitte rede hinterher wenigstens noch einmal mit mir." "Was zur Hölle?! Klar vertrau ich dir. Du musst mir dann aber alles erklären." Ich nickte zustimmend, dann rief ich die Schatten zu mir und verschwand. Ob die anderen mich sahen kümmerte mich nicht, mich kümmerte nur eines. Die Gewissheit, dass Riley mich gesehen, beziehungsweise nicht gesehen hatte und er nun unweigerlich in die ganze Sache hineingezogen würde. Ich drehte mich noch einmal um und sah mich einem vollkommen fassungslosen Riley gegenüber. Gerade kam Scarlett aus der Tür zum Klo und winkte Riley. Hoffentlich würde er ihr gegenüber nichts erwähnen, denn dann wäre ich endgültig geliefert. Ich konnte mir kein längeres Zögern mehr leisten und rannte los. Dabei streifte ich jedoch noch einmal kurz Rileys Arm, er zuckte ziemlich heftig zusammen und wirkte immernoch leicht geschockt. Um an den Männern vorbeizukommen musste ich nochmal verlangsamen, doch sie hatten den leichten Windhauch sicher gespürt. Wohin sollte ich jetzt? Nach Hause? Wäre vermutlich das Beste, beschloss ich und versuchte an irgendeiner Bushaltestelle den richtigen Bus zu erwischen. Es funktionierte tatsächlich und ich nahm schwer atmend auf den hinteren Treppen Platz. Sie hatten doch tasächlich nicht gemerkt, dass ich direkt an ihnen vorbei gerannt war. Ein leises Lächeln machte sich auf meinen Lippen breit. Ich war tatsächlich entkommen, auch wenn das Ganze natürlich seinen Preis hatte. Nun würde ich Riley alles zu hundert Prozent erzählen müssen. An der Bushaltestelle, die am nächsten an unserem Haus lag, sprang ich aus dem Bus und rannte los. An der Haustür klingelte ich Sturm bis Grandma öffnete. Währenddessen machte ich mich wieder sichtbar. Granny sah die hektischen Flecken auf meinem Gesicht und fragte nicht einmal, warum ich so früh schon wieder da war. Kurz angebunden sagte ich ihr im Vorbeigehen: "Riley kommt gleich noch. Lass ihn rein und bring ihn zu mir hoch. Mir ging es nicht gut."  Dann knallte ich meine Zimmertür hinter mir zu, damit auch ja niemand außer Riley auf die Idee kam es zu betreten.

Es klopfte schon eine halbe Stunde später und Riley kam mit besorgtem Blick ins Zimmer. "Heilige Scheiße Evelynn! Weißt du, was ich mir für Sorgen gemacht hab? Und jetzt will ich alles wissen! Was war das eben? Wie hast du das gemacht? Kannst du das schon immer?" "Ja, kann ich schon immer. Ich kann das weil ich eine Ombré bin. Das sind magische Wesen, so was ähnliches wie eine-" "Echt?! Du bist eine Ombré?", unterbrach er mich sofort. "Ja, wenn ich es doch sage." "Wie cool. Mein Großvater hat mir mal was darüber erzählt. Ich wusste natürlich nicht, dass es sie in echt gibt. Also das mit den Schatten stimmt dann ja anscheinend. Kannst du auch so mega gut hören und sehen? Stimmt das?"  "Jaah. Aber das ist nicht so toll wie du denkst. Lass uns woanders hin gehen. Hier haben die Wände Ohren, oder besser meine Grandma." Er zog mich sofort an der Hand aus dem Zimmer. Wir gingen in das kleine Café, das ganz in der Nähe lag. Dort war nie viel los, was aber wohl eher daran lag, dass sich direkt gegenüber eine große Fabrik befand als daran, dass das Essen dort nicht schmeckte. Ich war in den Ferien oft dorthin gegangen wenn ich zu viel Zeit gehabt hatte. Hand in Hand gingen wir los, ich war immernoch erstaunt darüber, wie gelassen er die Neuigkeit, dass ich kein Mensch war, akzeptiert hatte. Ich versank immer tiefer in meinen Gedanken, während ich überlegte, was ich ihm sagen sollte und was nicht. Ich beschloss, dass ich meine Vergangenheit vor Miami für mich behalten würde. Alles andere wollte ich ihn erzählen.

Plötzlich wurde mein Trommelfell von einem furchtbar lauten Geräusch fast zerrissen. Wir rissen unsere Kopfe nach rechts und sahen gerade noch wie Millionen von Glassplittern auf uns zukamen. Riley reagierte sofort, und riss mich hinter eine Mülltonne, während aus den Fenstern der Fabrik riesengroße Flammen schossen. Überall auf der Straße hielten Autofahrer an, Menschen versammelten sich, jemand rief nach der Polizei und alle fluchten lauthals über den Schaden. Riley und ich saßen nur hinter der Mülltonne und regten uns nicht. Mir liefen stille Tränen über die Wange, bis sich auch ein Schluchzen den Weg nach oben bahnte. Ich wollte am liebsten schreien und wimmerte vor mich hin. Riley strich mir still über den Rücken und war vollkommen ratlos. Er wusste nicht, warum ich so auf das Feuer in der Fabrik reagierte, doch ich hatte in diesem einen, furchtbaren Moment mich gesehen. Wie ich in einem schwarzen schlichten Kleid auf einen Scheiterhaufen geführt worden war und die Flammen an mir hochzüngelten. Diese schreckliche Erinnerung hatte mich schlichtweg überwältigt und ich war nun Handlungsunfähig. "Bitte Evelynn. Bitte erklär es mir. Sag mir wie es dir geht. Was mit dir los ist. Ich raste hier vor Sorge gleich aus." Als ich versuchte etwas zu sagen, ihm alles zu erklären, wimmerte ich nur noch lauter. Mit Hängen und Würgen schaffte ich ein 'später', das war aber auch schon alles.

Als ich endlich wieder fähig war zu sprechen, hatte er uns unbemerkt vom Unfallort weggelotst und mich nach Hause gebracht. Wir hatten tatsächlich Glück gehabt und niemand war zu Hause gewesen. Er hatte mich  vor dem Verbluten gerettet, denn selbst durch den Schutz der Mülltonne hatte ich mehrere Schnitte an den Armen. Zum Glück war mein Gesicht unversehrt geblieben und ich würde mich morgen nicht rechtfertigen müssen. Riley hatte dummerweise einen Schnitt am Kinn, doch er meinte, er würde einfach sagen, er hätte sich beim Rasieren geschnitten. Er schien furchtbar bemüht alles runterzuspielen und meine Laune ein wenig zu bessern.

"So, und jetzt sagst du mir, warum du bei dem Feuer so reagiert hast und wer diese Typen heute morgen waren. Die mit den schwarzen Umhängen."  Es hatte nun sowieso keinen Sinn mehr. Ich musste ihm wirklich alles erzählen. Immerhin würde er dann wissen, wer ich wirklich war. Niemand sonst wusste das, nicht einmal mein Bruder, dem ich sonst alles erzählte.

Die ganze Zeit hörte er mir schweigend zu, während ich von Huntsville und Eva und den Iram Vindicem spprach. Ich hatte eine ganze Stunde ohne lange Pausen gesprochen und er schien mit jedem Wort mehr über mich erstaunt zu sein. "Aber wen hab ich dann gekannt, bevor du hierhin kamst? Und wo ist sie jetzt?" So hatte ich darüber noch nie nachgedacht. Irgendwie hatte ich diesem Mädchen ja ihre Existenz gestohlen. Es war wirklich eine gute Frage, die Riley mir da stellte. Wo war die wahre Evelynn Donelly? Gab es sie überhaupt noch? Hatte es sie je gegeben?

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