15. Kapitel

224 23 0
                                    

Meine Großmutter hatte sich für fünf Uhr abends angemeldet, damit auch Ethan sie begrüßen konnte- er freute sich natürlich darüber, und wie er sich freute. So sehr, dass er den ganzen Tag missmutig durch das Haus schlurfte.

Und so stand die gesamte Familie um viertel vor fünf im Wohnzimmer und warteten nervös auf das Geräusch eines Autos in der Einfahrt. Ich saß mit einer Decke auf dem Sofa, obwohl das ja nicht nötig gewesen wäre. Körperlich ging es mir ja einigermaßen gut. Aber Mum hatte darauf bestanden. Sie wollte, dass ich möglichst krank aussah, damit Granny nicht meckern konnte, sie wäre umsonst nach Miami gekommen. Schließlich ertönte aus der Ferne das Geräusch eines lauten Automotors und es wurde immer lauter. Schließlich knirschte der Kies in unserer Auffahrt und ich konnte eine alte Frau aus dem  roten Geländewagen klettern sehen. Der Lack blätterte schon ab und der untere Teil des Wagens war von Dreck bedeckt. Da kümmerte sich wohl jemand nicht gern um sein Auto. So schlimm konnte meine Großmutter also nicht sein. Ein leichtes Grinsen huschte über meine Lippen. Ich war erleichtert, denn ich hatte sie mir schon wie einen alten, strengen Drachen vorgestellt, der bei einem Fusel auf der Kommode gleich Feuer spie. Na ja, beim ersten Eindruck konnte man sich ja durchaus täuschen. Schließlich hievte sie einen riesengroßen Koffer aus dem Kofferraum-wie lange wollte die denn hier bleiben?- und kam auf die Haustür zu. Mum setzte ein Lächeln auf und es wurde mehr als deutlich, wie ungern sie meine Großmutter hier haben wollte. Dann ging sie langsam auf die Tür zu und riss sie auf. Sofort wurde sie in eine stürmische Umarmung gezogen und erwiderte sie. Dann schaute Granny sich um und ihre Miene hellte sich auf als sie Ethan entdeckte. Sie mochte ihn gern, das sah man sofort. Das Problem war, dass sie mich dann nicht mehr mögen würde wenn er ihr alles erzählt hatte. Obwohl, vielleicht konnte sie das ganze objektiv sehen, denn Ethan war ja nur wütend, weil es ihn persönlich betraf. Granny umarmte meinen Bruder und sah dann mitleidig zu mir hinunter. "Liebes, was ist denn bloß mit dir passiert. Als wir uns das letzte Mal gesehen haben warst du doch noch nicht so blass und kränklich. Aber da habe ich ein Mittelchen gegen. Einen schönen Kräutertee mit Honig jeden Tag und du bist bald wieder gesund. Und jetzt solltest du dich ausruhen. Wie ich deine Mutter kenne, hat sie dich den ganzen Tag wach gehalten." Damit legte sie die Decke um mich. Ich wollte aber nicht schlafen. Ich wollte wieder aufstehen und Scarlett oder Riley anrufen. Obwohl, Granny kannte meinen Freund vermutlich nicht und es könnte sehr peinlich werden. Also ließ ich das besser. Granny stapfte jetzt auf die Treppe zu, vermutlich um ihre Sachen abzuladen. "Mutter, sie ist kein Kind mehr. Wenn sie nicht schlafen will, dann muss sie das auch nicht." Danke Mum! Meine Grandma tat so, als hätte sie nichts gehört und stiefelte weiter die Treppe hoch. Dad ignorierte sie dabei gründlich. Mochte sie ihn nicht? Mum folgte Granny und auch ich wühlte mich aus der Decke heraus. Dad schüttelte nur den Kopf und verließ dann gemeinsam mit Ethan das Haus. Gar keine so dumme Idee eigentlich.

"Wo war nochmal das Gästezimmer? Evelynn, du solltest doch liegen bleiben." "Ich bin schon groß genug um das selbst zu entscheiden", gab ich zurück. Es wurde mir ja jetzt schon zu viel. "Mutter, wir haben hier oben kein Gästezimmer mehr. Es ist jetzt Evelynns Zimmer. Und das seit Jahren. Du warst doch in der Zwischenzeit schon bei uns zu Besuch." "Seltsam. ich bin sicher, bei meinem letzten Besuch hattet ihr genau hier das Gästezimmer." "Ja, Mutter, du wirst alt. Es ist jetzt unten in Erdgeschoss. Du hast dann sogar das Gästebad direkt daneben." Granny schnaubte: "Dann hätte ich diese vermaledaiten Treppen gar nicht hoch gemusst? Warum hast du denn nichts gesagt? Du weißt doch, dass ich es im Rücken habe. Und im Moment habe ich auch noch Bein Schmerzen. Morgen wird es regnen, dass sag ich dir." So eine Oma war sie also, sie behauptete je nach Schmerz das Wetter voraussagen zu können. Na, da war ich ja mal gespannt.

Da wir ja oben jetzt kein Gästezimmer mehr hatten, gingen wir alle nach unten, um Granny endlich loszuwerden. Ich persönlich fand sie ja gar nicht so schlimm. Noch nicht.

Als ich am nächsten Tag aufwachte, regnete es in Strömen. Es war der typische Miami-Regen. Er peitschte gegen die Fenster und klatschte auf die Autos. Die Palmen bogen sich zur Seite und alle Menschen auf der Straße hielten sich schützende Regenschirme über den Kopf. Die meisten trugen T-shirts, denn trotz der fast schwarzen Wolken und des heftigen Windes waren es immernoch 29 Grad. Anscheinend konnte meine Großmutter tatsächlich an ihren Schmerzen erkennen, was für Wetter am nächsten Tag sein würde. Das war natürlich irgendwie cool. Ich beschloss mich noch nicht bemerkbar zu machen und weiterhin so zu tun, als würde ich schlafen. Lange funktionierte das nicht und sie kam, mit einer Teetasse bewaffnet in mein Zimmer -ohne anzuklopfen. Sie überreichte mir die Tasse und zwang mich, ihn zu trinken. Vorsichtig schloss ich meine Finger um die Tasse, schnupperte misstrauisch an dem Gebräu und schlürfte schließlich vorsichtig etwas Tee. Er landete auf meiner Bettdecke. So etwas ekelhaftes hatte ich ja noch nie getrunken! Und da schwammen auch noch ganze Kräuterstücke drin herum -hatte ich leider erst mit dem zweiten Blick erkannt, sonst hätte ich das niemals getrunken. "Baaah, das trink ich nicht." "Doch Liebes, sonst wirst du ja nicht wieder gesund. Hier", sie zog eine kleine Dose aus der Tasche, "Reib dich damit ein, das hilft, versprochen. Es ist eine Eukalyptuscreme." Wiederspruch war zwecklos und ich nickte einfach.

In den nächsten Tagen wurde ich rund um die Uhr bedient. Granny fragte mich immer wieder, ob ich noch etwas essen wolle und brachte mir immer wieder ihre widerlichen Kräutertees. Sie stellte die Kräutermischung selbst zusammen und variierte im Honiggebrauch, sodass ich manchmal Würgereize von der Bitterkeit des Tees bekam, manchmal aber auch einen Zuckerschock. Dauernd bekam ich Essen serviert, dass vollends auch ekelhaftem Gemüse bestand (natürlich 100 Prozent Bio). Und zu allem Überfluss roch ich auch noch penetrant nach Eukalyptus. Granny kannte Scarlett schon und war vollkommen begeistert, als diese mich nachmittags besuchen kam. Allerdings musste sie dann den Kräutertee probieren, damit sie nicht auch krank würde und ich sah an ihrem Gesichtsausdruck, dass sie mich erst wieder besuchen kommen würde, wenn Grandma abreisen würde. Als es am Abend des dritten Tages dann trotzdem klingelte war ich überrascht. Scarlett war auf irgendeiner Party, die ich dank Granny natürlich nicht besuchen konnte und Ethan war oben in seinem Zimmer.

Sofort wuselte Grandma, die bis dahin auf der Kommode Staub gewischt hatte zur Tür. Ich hörte sie jemanden begrüßen und dann, zu meinem eigenen Entsetzen antwortete Riley auf ihre Frage, wer  denn vor der Tür stände. Erst dachte Grandma, dass er wegen Ethan hier wäre und wollte Riley schon nach oben führen, doch dieser Widersprach und erklärte rasch den Stand der Dinge. Schließlich ließ sie ihn dann zu mir. Ich lächelte Riley freundlich an und bedeutete meiner Großmutter dann mit einem Nicken, dass sie verschwinden sollte. Das war ihr aber vollkommen egal und sie begann Riley peinliche Fragen zu stellen und ihm Babygeschichten von mir zu erzählen. Mit jedem Wort ihrerseits versank ich ein Stück tiefer in meinen Kissen und wurde rotauch wenn ich mich an einiges -um nicht zu sagen alles- nicht erinnern konnte. Riley schien das überhaupt nicht zu stören, aber man sah ihm an, dass er lieber mit mir allein gewesen wäre.

Ich blieb noch die ganze Woche zu Hause, aber dann hatte ich mich soweit wieder erholt, dass Dad darauf bestand, mich zur Schule zu schicken. Mit all meiner Kraft half ich bei den Vorbereitungen für das Fest und nach zwei Tagen stellte ich fest, dass ich keinen einzigen Menschen mit einem schwarzem Umhang gesehen hatte. Es schien, als würde alles wieder gut werden.

HexenflammenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt