Ich stand auf. Ich musste so schnell wie möglich aus diesem beschissenen staubigen Raum raus sein. Ich konnte meine Klasse nicht ertragen. Nicht eine Sekunde länger als nötig. Endlich Wochenende. Endlich dieser ganzen Scheiße ausweichen. Endlich meine Ruhe. Ich wusste schon, weshalb ich meine ganzen Jobs unter der Woche hatte. Ich brauchte das Wochenende. Sonst würde ich wahrscheinlich irgendwann mit auf der Liste der Amokläufer stehen oder mit einer Zwangsjacke in einer Anstalt sitzen. Ich warf mein Mäppchen einfach in meine Tasche und alles andere hinterher. Ich hörte wie die Stifte aus meinem Mäppchen fielen. War mir egal. Bloß raus hier. Ich nahm zwei Stufen auf einmal, während ich die Treppen herunter sprintete. Als ich auf den Schulhof heraustrat musste ich den Drang unterdrücken zu meinem Wagen zu rennen. Ich atmete erst erleichtert auf, als die Türe hinter mir klackend ins Schloss fiel. Ich drehte "Little River Band" auf und lehnte erst einmal meinen Kopf gegen die Lehne. Einatmen, ausatmen. Ein, aus, ein, aus. Ich steckte den Zündschlüssel ins Schloss und startete das Auto.
Ich schreckte zusammen, als mein Handy klinkelte. Ich griff auf den Beifahrersitz zu meiner Tasche und wühlte darin rum, ohne den Blick von der Ampel zu lassen oder das Lenkrad loszulassen. Eigentlich telefonierte ich nicht am Lenkrad, schon aus Prinzip. Meine Fingerspitzen glitten über das kühle Glas. Ich griff danach, setzte mich wieder auf und fuhr an, bevor der Typ hinter mir, mich noch weiter zusammenhupte. Ich warf einen kurzen Blick auf den Display. Unterdrückte Nummer. Aus Prinzip ging ich nicht an unterdrückte Nummer. Aber ich drehte trotzdem die Musik runter und nahm den Anruf an. Bitte nicht mein Vater. Bitte nicht mein Vater., betete ich im Stillen. Ich hob mein Handy ans Ohr. "Ja? Corbin, hier." Ich kam mir immer bescheuert vor, meinen Namen am Anfang eines Telefonats zu nennen und wusste nie wie ich es formulieren sollte, dass es sich nicht vollkommen beschuggt anhörte. "Hey!" Ich erkannte die Stimme sofort. "Seit wann meldest du dich wieder?", fragte ich mit einem unüberhörbaren Vorwurf in der Stimme. Ich hörte ihn seufzen. "Du bist echt nachtragend." Ich schnalzte mit der Zunge und setzte einen Blinker. "Das hat nichts mit nachtragend zu tun." "Na, wenn du meinst. Eigentlich wollte ich bloß kurz fragen, wo du deinen Ersatzschlüssel versteckt hast." Es wunderte mich nicht, dass Octavian jetzt wieder daher kam, nachdem er sich zwei Jahre nicht gemeldet hatte. Aber dass er so dreist war, hätte ich nicht erwartet. "Wieso willst du das wissen? Wo bist du, verdammt?" Ich war mir bewusst, dass man das Misstrauen aus meiner Stimme sehr deutlich heraus hörte. "Kannst du es mir jetzt bitte sagen?", fragte er ohne auf meine Fragen einzugehen. "Bleib wo du bist.", knurrte ich in mein Handy und legte auf. Ich legte einen Gang zu. Den Schulweg für den ich sonst zwanzig Minuten brauchte, schaffte ich in zwölf. Ich parkte das Auto, schnappte mir meine Sachen und stieg schnell aus. Er war zwar älter als ich, aber ich wusste wie ungeschickt er war. Ich hatte keine Lust darauf alles in Schutt und Asche vorzufinden. Das Haus in dem meine Wohnung war, stand noch. Wenigstens etwas. Ich schloss schnell die Türe auf und stieg die Treppen hoch, wobei ich nochmal runter rennen musste, weil ich vergessen hatte, das Auto abzuschließen. Ich lief in den dritten Stock, meine Tasche über der Schulter und den Schlüssel in der Hand. Auf der obersten Treppenstufe saß ein Junge. Ich lief wortlos an ihm vorbei und ignorierte geflissentlich sein Lächeln. "Was machst du hier?", fragte ich gereizt und schloss die Türe auf. "Darf ich dich nicht besuchen?", fragte er und umarmte mich von hinten. Ich befreite mich aus seinen Armen, wandte mich um, so dass ich ihn sah und sah ihn direkt an. "Doch. Aber es ist zwei Jahre her." "Jetzt hab ich Zeit gefunden. Besser nach zwei Jahren als nie. Meinst du nicht?" Ich seufzte. Sein entwaffnender Optimismus, ließ mich immer wieder wortlos sein. "Hast du Hunger?", fragte ich, um aus dieser Situation heraus zu kommen. "Und wie!" Er folgte mir, als ich in die Küche ging und setzte sich auf die Arbeitsfläche. Ich stand vor dem Kühlschrank. Er war beinahe leer. Seine Beine, die in meinem Augenwinkel unsynchron vor und zurück schwangen, machten mich nervös. Er lachte. "Kannst du immer noch nicht kochen?" Ich spürte meine Ohren rot werden und vermied es ihn anzusehen. "Ich finde keine Zeit dafür kochen zu lernen." "Jaja. Faule Ausrede. Hast du Grieß da?" Er stellte sich neben mich und sah mir über die Schulter, während in den Kühlschrank schloss und eine Schublade unter ihm aufzog. "Hier." Ich nahm eine Dose und drückte sie ihm in die Hand."Und Milch?" Ich atmete genervt aus. Er gab mir die Anweisung, was ich mit dem Grieß und der Milch machen sollte und verschwand im Flur. Ich versuchte das umzusetzen, auch wenn ich mir bescheuert vorkam. Ich konnte einigermaßen nach Rezept backen, aber das was ich buk, gelang mir dann auch erst nach dem fünfhundertsten Mal. Außerdem, seit wann kochte er?? Er kam zurück, jetzt ohne Jacke und Schuhe und setzte sich auf die Arbeitsfläche. "Süße Wohnung." Ich musste ihn nicht ansehen, um zu wissen, dass er lächelte. "War ein ganz schöner Krampf herauszufinden wo du wohnst." "wollte halt nicht von so Hohlköpfen wie dir gefunden werden." "So hohl kann ich dann ja wohl nicht sein, wenn ich deine Wohnung dann doch gefunden habe." Ich ging nicht darauf ein. Er wusste wie man mich provozierte. Kannte mich ja schon lang genug. Er stellte sich neben mich und schob mich weg. "Du darfst es nicht anbrennen lassen." Ich machte einen Schritt zurück, so dass ich nicht sah, was er genau am Herd tat und betrachtete seinen Rücken. Er hatte seine Haare gefärbt... Sie waren blau mit einem lilastich. Nichts mehr von seinem alten dunkelbraun. Auch seine Kleidung war nicht mehr so unauffällig wie früher. "So! Fertig!" Ich zuckte erschrocken zusammen. Ich fühlte mich ertappt. Er riss ein paar Schränke über dem Herd auf. "Links oben." Er machte die Schranktüre auf und holte zwei getöpferte Schalen heraus, die ich irgendwann gekauft hatte. Er schöpfte und drückte mir eine Schale in die Hand. "Ich spüle kurz ab. Geh du schonmal ins Wohnzimmer.", sagte er und schubste mich leicht aus der Küche. Ich drehte mich zu ihm um. "Wir haben uns zwei Jahre nicht gesehen und du willst abspülen?" Ich nahm seine Schüssel und griff nach seinem Handgelenk. Dann schleifte ich ihn ins Wohnzimmer und schubste ihn auf den Sofa. "Aber wir brauchen noch Zucker oder wenn du da hast Zimt Zucker." Ich sah auf den hellgelben Brei in der Schüssel. "Den werden wir wohl brauchen...", sagte ich nachdenklich. Ich vertraute der Kochkunst Octavians nicht so ganz über den Weg. "Aber du bleibst da sitzen.", befahl ich ihm und verschwand in der Küche. Ich stellte den Zimt und den Zucker vor ihn auf den Couchtisch. "Und wie kommt es jetzt tatsächlich dazu, dass ich die Ehre habe, deinen nach Pappe schmeckenden Grießbrei zu probieren?" Ich warf ihm einen prüfenden Blick zu. Er erwiderte ihn mit einem Lächeln. "So schlimm ist er nicht." "Weich mir nicht aus und beantworte meine Frage.", sagte ich schroff. Ich hasste es, wenn er mit Nichtigkeiten vom Thema ablenkte. "Mir hat jemand gesagt, ich solle Kontakt zu meiner Familie bewahren, da die Familie, manchmal der einzige Fixpunkt ist, den man hat in einer sich stetig ändernden Welt. Und er hat recht." Er spielte an einem Faden von seiner Ripped Jeans, während sein Brei kalt wurde. Ich sah trotzdem ein kleines Leuchten in seinen Augen und ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen. "Wer ist sie?", fragte ich lächelnd. "Frontsänger...", meinte er bloß und grinste verlegen. "Du meinst Frontsängerin. Man darf ja nicht die..." "Nein. Nein!", widersprach er mir. "Ich meinte wie ich es gesagt habe." Ich runzelte die Stirn und sah ihn verständnislos an. "Aber du..." "...stehst auf Mädchen?", fragte er und sah mir endlich in die Augen. Dann zuckte er die Schultern. "Dachte ich ehrlich gesagt auch." Mir lagen tausend Fragen auf der Zunge. Aber ich bekam bloß ein gestottertes "Aber Dad... Wenn er..." Er lachte, wobei er den Kopf in den Nacken legte und mit dem Blick hoch zur Decke lächelte er. "Wird einen Herzkasper bekommen. Ja." "Weiß Mum es?" Er sah mich wieder an und lächelte, wie man ein kleines Kind ansah, das etwas Naives und Dummes gesagt hatte, mit diesem Blick der sagte "Du musst noch so viel lernen". Ich hasste diesen Blick. "Sie war die Erste." Ich rammte meinen Löffel in meine Schale. "Dann hoffe ich mal für dich, dass ich der Zweite bin. Sonst sind dir die zwei Jahre niemals vergeben." "Keine Sorge. Nach meinem Freund bist du der Erste der es erfahren hat." Ich nickte langsam, nahm meinen Löffel in den Mund und lutschst daran herum. "Du durchschaust mich immer noch so schnell wie früher..." Ich nahm den Löffel aus dem Mund und fuchtelte mit ihm in Richtung von seiner Stirn. "Was kann ich dafür, dass deine ganze. Gefühle in deinem Gesicht geschrieben stehen? Und du dein verdammtes Herz auf der Zunge trägst? Irgendwann wird dir das den Kopf kosten." "Wenn du weiter so mit dem Löffel so rumfuchtelst kann ich mir das gut vorstellen." Er lachte und ich konnte einfach nicht mehr auf ihn sauer sein. Er war nun mal mein Bruder. Egal, wie anstrengend er war und wie sehr ich auf ihn aufpassen musste, obwohl er älter war.
~~~~~~~~~~~~~~~
Sooooo!! Das ist also Octavian. Ist der Name zu extravagant?
Wie findet ihr ihn bis jetzt?? >.<
Danke für die über 1000 Votes!!! *-*
DU LIEST GERADE
Oh, my life...
RomanceCorbin & Jonas. Jonas schwärmt schon lange für Corbin. Aber als er sich endlich traut, ihn anzusprechen, lässt Corbin ihn eiskalt abblitzen. So schwört Jonas nicht aufzugeben und Corbin für sich zu gewinnen. Boy & Boy. Homophobe oder Leute...