Kapitel 5

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Durch meinen Kopf schossen unendlich viele Gedanken. Ich spürte ihre Berührung immer noch auf meiner Haut brennen. Es war kein schmerzerfülltes Brennen, ich empfand es als sehr angenehm. Ungewohnt, aber angenehm. Für einen Moment blendete ich mein Umfeld komplett aus. Das konnte ich gut. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass ich in meiner eigenen kleinen Blase lebte. Doch es vergingen nur wenige Sekunden, dann ließ Sophia sie platzen. »Lisa!«, sagte sie und ihre Stimme klang leicht empört. Verdutzt drehte ich mich um und blickte sie fragend an. »Warum hast du mir den Zettel nicht gegeben? Ich hätte ihr den doch bringen können.« Aha, dachte ich verärgert. Daher wehte also der Wind. Das konnte sie doch nicht wirklich ernst meinen? »Wie hätte das denn ausgesehen, wenn du meinen Zettel zu ihr gebracht hättest? Dann hätte sie sich gefragt, warum ich das nicht alleine konnte.« Etwas kleinlaut gab sie zu: »Ja, du hast recht. Das war blöd von mir.« Insgeheim war ich froh, dass ich ihr den Zettel alleine überreichen konnte. Aber das brauchte meine beste Freundin nicht wissen. »Trotzdem hättest du etwas sagen können.« Ich wurde wütend, aber hielt mich zurück. Ich sagte deshalb nur: »Es ist ein Zettel, Sophia. Soll ich dir jetzt jedes Mal Bescheid geben, wenn ich mit ihr rede?« Sie schüttelte den Kopf.

Es herrschte eine drückende Stimmung zwischen uns, was mir nicht gefiel. Jedenfalls nahm ich es so wahr. »Hast du dir eigentlich schon den Stundenplan genauer angesehen?«, wollte sie von mir wissen und ich glaubte, dass sie damit von der Sache mit dem Zettel ablenken wollte. Das hatte ich tatsächlich getan. Ich wollte wissen, wann wir mit Frau Vogel Unterricht hatten. Den Rest hatte ich eher ausgeblendet oder nur überflogen. »So ein bisschen. Wieso?«, hakte ich nach und sie seufzte. »Morgen haben wir keinen Unterricht bei ihr. Ich hasse Donnerstage.« Das hatte ich bereits festgestellt, aber schon wieder völlig vergessen. Wir würden sie morgen den ganzen Tag nicht sehen. Das trübte meine Vorfreude auf die Schule sehr. Trotzdem versuchte ich, positiv zu bleiben: »Das ist nur ein einziger Tag. Das überlebst du schon.« Sie strafte mich mit einem bösen Blick und ich streckte ihr die Zunge aus. »Dafür bin ich ja jetzt da.« Ihr Gesicht war wieder versöhnlicher und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Darüber freue ich mich auch sehr. Aber trotzdem.« Sie erhob sich und schnappte sich ihre Tasche. »Los, wir müssen weiter.«

Den restlichen Tag sah ich Frau Vogel nicht mehr. Ich hatte damit gerechnet, aber trotzdem hielt ich wachsam die Augen geöffnet, als wir durch die Gänge gingen. In mir keimte Hoffnung auf, sie zu treffen. Aber so sehr ich auf die vielen fremden Gesichter auch achtete: Ihres war nicht dabei. Ich hätte schwören können, ihr Gesicht in der Menschenschar sofort entdecken zu können. Sie leuchtete von innen und das übertrug sie nach außen. Jedenfalls hatte ich das Gefühl, wenn ich sie anschaute. Als wäre der Raum voller grauer Kerzen, nur sie war die einzige bunte Kerze, die mir sofort ins Auge fiel. Mein Blick richtete sich automatisch auf sie. Hatte ich mich von Sophia anstecken lassen? Lag es vielleicht nur daran, dass sie sie so toll fand und ich mir seit Wochen ihre Schwärmereien anhörte? Konnte das die Antwort darauf sein? Färbte es ab? Brachte ich da einfach etwas durcheinander? Oder war es wirklich mein eigenes Empfinden? Ich hatte keine Antwort darauf, was mich nervte. Ich musste doch wissen, was ich fühlte oder warum ich so fühlte. Ich wusste, dass mein Körper verrückt spielte in ihrer Nähe.

Als es nach der letzten Stunde klingelte, atmete ich erleichtert aus. Ich war einfach nur froh, dass ich nun nach Hause konnte. Es war eine Art Fluchtreflex. Immer, wenn ich wütend, traurig oder niedergeschlagen war, wollte ich nach Hause. In mein Bett. Schlafen. Es war wahrscheinlich nicht wirklich die beste Lösung, aber mit der Taktik hatte ich mich eingespielt. Das half mir immer etwas. Meistens ging es mir danach besser. Und gerade verspürte ich diesen Drang danach. Ich hatte mich schlecht auf den weiteren Unterricht konzentrieren können, denn Frau Vogel schlich sich immer wieder in meine Gedanken und pflanzte sich dort ein. Ich war schon völlig paranoid. Und ich fühlte mich schlecht. Schlecht, weil ich sauer auf Sophia war und nicht einmal erklären konnte, warum das so war, was mich dazu brachte, dass ich auch sauer auf mich selbst war.

Mitten ins Herz || txsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt