Kapitel 24

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Ich erkannte in ihrem Gesicht pures Entsetzen. Sie war geschockt, dass ich hier aufgetaucht war und ich konnte es ihr nicht verübeln. An ihrer Stelle würde es mir sicherlich auch so gehen. Was war nur in mich gefahren? »Warte, wir gehen mal in einen leeren Raum«, flüsterte sie mir zu, drängte sich an mir vorbei und schloss die Tür. Sie ging los, doch ich blieb wie versteinert stehen. Ich konnte mich nicht bewegen. »Lisa? Kommst du?« Vanessa war nun auch stehen geblieben und blickte mich irritiert an. Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber kein Ton kam über meine Lippen. Es kratzte fürchterlich in meinem Hals und mein Mund war trocken wie eine Wüste. Vorsichtig kam sie auf mich zu und streckte ihre Hand nach mir aus. Sie berührte mich an der Schulter und erst ihre Bewegung schaffte es, mich aus meiner Starre zu holen.

»Ist alles in Ordnung?« Sie sah besorgt aus und ich zuckte unschlüssig mit den Schultern. Meine Lehrerin zog mich mit und kurze Zeit später standen wir in einem leeren Klassenraum. Achtsam schloss sie die Tür hinter uns. »Jetzt erzähl doch mal, was los ist. Du bist total merkwürdig«, forderte sie mich auf. »Ich glaube, es war keine gute Entscheidung, dass ich hergekommen bin«, brachte ich hervor und mir wurde eiskalt. »Hey«, sagte sie plötzlich ganz liebevoll und mein Herz fing an zu rasen. »Du kannst mit mir reden. Ganz egal, was es ist.« Ich schluckte. Was tat ich hier? Konnte ich ihr wirklich sagen, was Sophia für sie empfand? War das moralisch vertretbar? Sie war meine beste Freundin und ich würde ihr damit in den Rücken fallen, oder? »Lisa«, sagte sie sanft und sah mich eindringlich an.

»Ich weiß nicht, ob ich es dir sagen kann oder ob ich damit alles nur schlimmer und komplizierter mache«, sprudelte es aus mir heraus und sie wartete geduldig ab, aber ich fand keine passenden Worte mehr. Mir wurde das gerade alles zu viel. Es war merkwürdig, dass ich sie nun duzen konnte, aber auch sehr schön. Für mich war es ein Privileg. »Es ist sowieso schon kompliziert genug«, erwiderte sie und lachte leise. »Viel schlimmer kann es also nicht werden.« Sie machte einen Schritt auf mich zu und ich spürte ihren Atem in meinem Gesicht. Er vernebelte mir die Sinne. »Wenn du wüsstest«, seufzte ich traurig und mit einer schnellen Bewegung hatte sie mein Gesicht umfasst. Ich schnappte nach Luft. »Was machst du?«, wollte ich wissen und sie murmelte mir zu: »Das, woran ich die ganze letzte Nacht ununterbrochen denken musste.« Und dann landeten ihre Lippen auf meinen Lippen und mein Herz ging auf.

Ihre Küsse sorgten dafür, dass ich mich benommen fühlte. Positiv benommen. Aber nicht nur ihre Küsse. Auch ihre Worte waren wie Balsam für meine Seele, auch wenn sie mich immer noch sehr verwirrten. Sie hatte die ganze Nacht daran gedacht, mich zu küssen? Hatte sie daran gedacht, als ihr Mann neben ihr im Bett lag? »Du weißt gar nicht, was du in mir auslöst«, hauchte ich ihr zu, als sich unsere Lippen voneinander lösten. Sie lächelte mich an und meine Welt war für einen Moment in Ordnung, bis mir Sophia wieder einfiel. »Ich kann es mir vorstellen«, antwortete sie und fuhr mir mit einem Finger über die Lippen. Es ließ mein Herz noch schneller schlagen, wenn das überhaupt irgendwie möglich war. In diesem Augenblick wollte ich eigentlich gar nicht reden. Ich wollte sie nur küssen, doch musste mich jetzt zusammenreißen.

»Ich werde es dir erzählen, aber du musst mir versprechen, dass du es für dich behältst. Bitte. Das ist ganz wichtig«, flehte ich sie förmlich an und sie bedachte mich mit einem nachdenklichen Blick. »Jetzt bin ich aber gespannt, was du mir zu sagen hast. Ich verspreche, dass ich mit keinem anderen Menschen darüber sprechen werde.« Ich atmete noch einmal tief durch, dann fing ich an zu sprechen: »Ich habe im Vorfeld schon eine Menge über dich erfahren, als du noch nicht meine Lehrerin warst.« Ich machte eine kurze Pause und sie blickte mich neugierig an. »Sehr viel sogar. Von Sophia.« Wieder machte ich eine Pause, denn ich wusste nicht, wie ich es ihr sagen sollte. »Ich hoffe doch, dass sie nur positive Dinge erzählt hat?« Ich nickte kurz. »Ja, aber das ist nicht der Punkt. Sie hat wirklich nur positive Dinge gesagt.« Man konnte ihr ansehen, wie es hinter ihrer Stirn arbeitete.

Mitten ins Herz || txsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt