Kapitel 32

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Unruhig wartete ich auf den nächsten Bus. Vanessa war jetzt seit fünf Minuten weg und ich fühlte mich so schrecklich hilflos. Das flaue Gefühl in meinem Magen verstärkte sich immer mehr. Hoffentlich war sie gefahren. Oder vielleicht war sie auch mit ihrem eigenen Auto gefahren? Ich wusste nicht, ob es noch stand, aber ich hatte keine Zeit mehr, um nachzusehen. Mein Bus war in Sichtweite und mir war kalt. Aber das würde sie doch nicht zulassen, oder? Dass er alleine fuhr? Ich hoffte nur, sie würde gut zu Hause ankommen. Nicht, dass er ihr noch in das Lenkrad griff. Ich malte mir die schlimmsten Szenarien aus. Als ich einstieg, ließ ich den Blick durch den Bus schweifen, aber Vanessas Oma war nicht hier. Erleichtert atmete ich aus und setzte mich. Die konnte ich jetzt ganz und gar nicht gebrauchen.

Ich verstand die Welt nicht mehr. Gerade war alles noch schön gewesen. Ich musste ihr unbedingt schreiben, deshalb zog ich mein iPhone aus meiner Tasche. Meine Hände zitterten etwas, was definitiv an der ganzen Aufregung lag. »Meld dich bitte bei mir, wenn du zu Hause bist und pass auf dich auf.« Ich schickte die Nachricht ab und während der restlichen Fahrt starrte ich auf mein Display, doch es blieb dunkel. Als der Bus hielt, schleppte ich mich nach Hause. Doch auch, als ich dort ankam, hatte Vanessa sich noch nicht gemeldet. Würde er ihr etwas antun? Nein, das konnte ich mir nicht vorstellen. Oder? Was machte mich so sicher? Ich kannte ihn doch gar nicht. Vanessas Oma kannte ihn und ich wusste, dass sie ihn nicht leiden konnte. Aber warum? Es gab doch bestimmte Gründe, warum man einen Menschen nicht leiden konnte.

Ich hatte Angst, dass sie bei ihm im Auto mitgefahren war. Er wirkte wütend und Menschen waren manchmal blind vor Wut. Ich öffnete Safari bei meinem iPhone und checkte die Polizeinachrichten der Region, doch niemand berichtete von einem Unfall. Ich zerbrach mir den Kopf. Warum meldete sie sich nicht? Eric wusste auf jeden Fall, dass Vanessa irgendetwas zu verbergen hatte. Er dachte, sie hätte einen anderen Mann kennengelernt. Würde er jemals auf die Idee kommen und vermuten, dass sie auch Gefühle für eine Frau entwickeln konnte? Ich wusste es nicht. Ich wusste nur, dass er ihr anscheinend gefolgt war. Bis in die Schule. Er schöpfte Verdacht und irgendwann musste Vanessa mit offenen Karten spielen. Doch war das überhaupt denkbar in dieser Situation? Nein. Sie konnte ihm nichts von mir erzählen, denn dann würde alles ans Licht kommen und das mussten wir verhindern.

Nachdem ich ungefähr 500 Mal in meinem Zimmer auf- und abgelaufen war, vibrierte mein iPhone. Die Anglerin hatte sich gemeldet. Endlich. Ich war so nervös, dass ich fast das iPhone fallen gelassen hatte, doch im letzten Moment konnte ich es noch auffangen. »Hallo Lisa, es ist alles in Ordnung. Eric schläft seinen Rausch aus. Wir sehen uns morgen.« Irgendetwas störte mich an ihrer Nachricht, nur ich konnte nicht deuten, was es war, aber die Hauptsache war, dass es ihr gut ging. Ich entschied mich für eine Antwort: »Ich weiß, dass wir das Thema schon oft hatten, aber er merkt etwas. Du solltest mit relativ offenen Karten spielen. Ich bin da für dich, wenn du mich brauchst. Vergiss das bitte nicht.« Hoffnungsvoll wartete ich darauf, dass sie noch etwas schrieb, doch das tat sie nicht.

Ich wusste nicht, was ich erwartete oder was ich hören wollte. Ich wollte sie zu keiner Entscheidung drängen, aber die Schlinge zog sich immer mehr zu. Vielleicht handelte ich auch egoistisch. Ich war einfach in ihr Leben geplatzt und hatte es auf den Kopf gestellt. Erwartete ich zu viel? Ich schob die Gedanken zur Seite. Darüber würden wir ganz bestimmt noch des Öfteren reden, deshalb wollte ich das Thema für heute ruhen lassen. Ich hatte meine Antwort bekommen. Was wollte ich denn noch? Doch genau in diesem Moment wurde mein Herz ganz schwer. Sie fehlte mir. Auf eine Art, die ich nicht in Worte fassen konnte. Ich krümmte mich im Bett zusammen und ließ den Tränen freien Lauf.

Eigentlich war es schwachsinnig, doch trotzdem tat alles weh. Ich wollte so sehr, dass sie sich für mich entschied. Ich konnte mich nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass sie eventuell bei ihm blieb. Gerade wollte ich einfach nur in ihren Armen liegen. Vom Weinen bekam ich Kopfschmerzen und meine Augen taten weh. Es hatte mich müde gemacht. Ich schaffte es gerade noch so, den Wecker zu stellen. Dann schlief ich innerhalb weniger Sekunden ein. Der Tag hatte mich emotional ausgelaugt. Mein letzter Gedanke an diesem Abend war Vanessa. Wie sie mich küsste und vorsichtig mit ihren Händen mein Gesicht umschloss. Fast schon konnte ich ihren Atem spüren, doch es war nur pure Einbildung.

Mitten ins Herz || txsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt