Kapitel 17

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Bewegungslos blieb ich in der Kälte stehen. Sie trocknete meine Tränen. Ich war enttäuscht, verwirrt, traurig, glücklich, wütend. So viel konnte ein Mensch doch unmöglich gleichzeitig fühlen, oder? Ich konnte jeden Moment explodieren. So fühlte es sich jedenfalls an. Für einen Moment wünschte ich mir, Ron aus Harry Potter zu sein. Denn wie hatte Hermine gesagt? Sein Gefühlsreichtum passte auf einen Teelöffel. Auch Sophia stand wie benommen an meiner Seite und brach das Schweigen: »Was hast du getan?« Ihre Stimme war nicht mehr als ein Flüstern und ruckartig löste ich mich aus meiner Schockstarre und funkelte sie böse an, aber zuvor wischte ich mir noch einmal schnell über das Gesicht, denn sie sollte meine Tränen nicht sehen. »Was ich getan habe? Gar nichts. Was denkst du denn?« Sie ließ die Schultern hängen. »Ich weiß nicht. Frau Vogel war gerade total komisch und dann dieser Abgang nach diesem schönen Abend. Du musst doch wissen...«, sagte sie und ich merkte, dass sie sich auch nur den Kopf zerbrach, doch darauf konnte ich keine Rücksicht nehmen, deshalb unterbrach ich sie barsch: »Ich muss gar nichts wissen. Nur weil wir uns kurz unterhalten haben? Ich weiß nicht, was du jetzt von mir willst.«

Sie fuhr sich mit einer schnellen Bewegung über die Augen und ich versuchte, den Schmerz, der mich gerade ausfüllte, auszublenden. »Es tut mir leid. Du kannst natürlich nichts dafür. Vielleicht war sie einfach müde«, murmelte sie und ich nickte. Ich starrte in die Ferne und konnte einfach nicht begreifen, was gerade passiert war. Oder was eben nicht passiert war. Ich ertrug Sophias Nähe nicht mehr. Nicht eine Sekunde länger. Ich musste unbedingt weg hier. »Ich hole meine Jacke. Soll ich dir deine auch mitbringen?« Sie nickte stumm und ich ging zurück in den Club. Die Musik dröhnte in meinen Ohren, aber ich achtete nicht darauf. Ich holte unsere Sachen von der Garderobe. Was war nur in dieser kurzen Zeit zwischen Sophia und mir passiert? Ständig fuhren wir uns an oder ich war genervt von ihr. Lag es daran, dass wir nun zusammen die Schule besuchten? Nein. Ich kannte den Grund. Ich wusste, dass der Reibungspunkt zwischen uns einen Namen hatte. Vanessa Vogel. Ich musste mich nicht selbst belügen, es war die Wahrheit. Auch wenn sie diese nicht kannte. Eigentlich musste ich Frau Vogel aus meinem Herz verbannen, aber wie sollte ich das nur anstellen?

»Hier«, sagte ich und hielt ihr ihre Jacke entgegen. »Wir sehen uns morgen.« Ich wollte mich umdrehen und gehen, doch sie griff nach meiner Hand. Am liebsten hätte ich ihre Hand abgeschüttelt, doch ich wollte nicht unfair sein. Das war ich schon genug. Ich machte Sophia für viele Dinge verantwortlich, obwohl sie keine Ahnung hatte, was in mir los war. Ich war nicht ehrlich zu ihr, aber erwartete, dass sie mich verstand. Das war lächerlich. »Ist alles gut zwischen uns? Ich habe das Gefühl, dass zwischen uns irgendwelche Spannungen herrschen, aber ich weiß nicht, woher sie kommen«, gab sie zu und sah mich aufmerksam an. Jetzt durfte ich mir nichts anmerken lassen. »Ja, es ist alles gut. Ich weiß auch nicht, was momentan los ist«, log ich und spürte, wie das schlechte Gewissen Besitz von mir ergriff. »Wir sollten uns das Wochenende mal nur Zeit für uns nehmen«, schlug sie vor und wenn ich ehrlich zu mir selbst war, dann war es das Letzte, was ich gerade wollte. Ich wollte so viel Abstand zwischen uns bringen, wie es nur möglich war.

»Ja, wir können darüber morgen noch einmal reden«, erwiderte ich und lächelte gequält. Ich hoffte, sie würde es nicht merken. »Das machen wir. Trotzdem war es ein toller Abend. Und ich kann nicht glauben, dass Frau Vogel hier wirklich aufgetaucht ist. Dass sie heute die gleiche Idee hatte wie wir und dass sie mit mir getanzt hat.« Sie war schon wieder völlig in ihren Schwärmereien versunken. Was hätte ich für einen Tanz mit ihr gegeben. Ich stellte mir vor, wie ich meine Arme um ihre Taille gelegt, die Augen geschlossen und mich ihr voll und ganz hingegeben hätte. Aber dazu wäre es wahrscheinlich sowieso nicht gekommen, denn sie hatte mit Sophia ja auch auseinander getanzt. Und warum sollte es bei mir anders sein? »Bis morgen früh«, unterbrach ich ihre Erzählungen, denen ich schon die letzten Minuten nicht mehr gefolgt war, und ging los. »Bis dann«, rief sie mir nach und ich war froh, endlich alleine zu sein.

Mitten ins Herz || txsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt