16. Kapitel - Chuck

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Es versammelten sich immer mehr Lichter um die Box herum und alle waren aufgeregt.
"Macht 'mal Platz!", grollte eine Stimme und jemand schlug sich mit Ellenbogen-Einsatz den Weg frei. Wie zu erwarten, war es Gally, der schon bald neben mir stand und mich mit einem Blick ansah, den ich unter keinen Umständen deuten hätte können.
"Was glotzt du mich so an, Frischling?", fragte er schroff, kniff seine Augen drohend zusammen.
"Nichts, alles gut...", antwortete ich und schüttelte meinen Kopf, da ich wusste, dass man mit Gally nicht diskutieren konnte.
Ich tauschte einen flüchtigen Blick mit Newt aus, der ebenfalls nur seinen Kopf schüttelte, wobei seine blonden Haare noch verwuschelter aussahen. Seine braunen Augen sahen mich an und ich blickte zurück. In meiner Zeit hier hatte ich mich mit Newt immer mehr angefreundet und ich konnte mir nicht vorstellen, wie ich den Alltag ohne ihn meistern sollte.
Ich lächelte und wurde verlegen, da er mich immer noch ansah und seinen Blick nicht abgewandte. Er war sogar intensiver geworden. Ich drehte mich folglich weg und fixierte die metallene Box an. Gerade wurde sie geöffnet. Die Gitter klirrten und als Gally wie immer in die Box sprang, schepperten die Wände.
"Ziemlich mutig von Gally, immer noch als Erster in die Box zu springen", erklang Newts Stimme neben meinem linken Ohr und ich sah ihn irritiert an, legte meinen Kopf leicht in den Nacken. Er zuckte mit seinen Schultern und sprach weiter: "Na ja, du weißt ja, was ihm bei deiner Ankunft widerfahren ist."
Ich musste schmunzeln und blickte den schelmisch grinsenden Newt nun ebenfalls grinsend an. Wahrscheinlich hoffte er auf eine Wiederholung.
"Und?", fragte Newt in die Box hinein und wir warteten auf eine Antwort.
"Es ist ein Junge", sagte Gally und trat in unseren Blickwinkel. Die Sonne beleuchtete sein Gesicht, welches wie immer grantig wirkte. Über seinen zusammengekniffenen Augen waren seine markanten Augenbrauen auszumachen.
"Und wo ist er, wenn ich fragen darf?", sprach Newt weiter, da niemand zu sehen war.
"Sitzt in 'ner Ecke und heult wie ein kleines Mädchen. Was haben sich die nur dabei gedacht, uns so etwas zu schicken...", gegen Ende klang Gally unglaubwürdig. Anschließend zuckte er jedoch mit seinen Schultern und fing an, die erste Holzkiste hinauszuhieven. Einige Lacher gingen durch die Versammlung der Lichter, aber niemand unternahm etwas.

Trotzdem ist der Frischling jetzt ein Teil von uns, dachte ich entschlossen.

"Und, warum holst du ihn nicht?", wollte ich vom Jungen in der Box wissen.
Gally sprach, ohne mich eines Blickes zu würdigen: "Ich bin hier nicht, um ihm eine Schulter zum Trösten anzubieten, aber das kannst ja gerne du übernehmen. So oder so, ich möchte keine Zeit verschwenden, die Box fährt eh nicht 'runter, wenn jemand drinnen ist", sagte er kalt.
"Wie kann man nur so ein gefühlloser Strunk sein...?", murmelte ich und es war mir ganz egal, ob Gally mich gehört hatte. Ich sprang, ohne zu überlegen, in die Box hinein und stand folgend neben Gally. Dieser schenkte mir keine weitere Aufmerksamkeit. Ich tat es ihm gleich.
Ich suchte die Ecken ab und als ich ein leises Wimmern hörte, ging ich darauf zu. Hinten in einer Ecke saß ein kleiner Junge und hatte die Arme um seine Beine geschlungen. Der Neuankömmling war ein kleiner, etwas pummeliger Junge mit braunen, schulterlangen lockigen Haaren. Er sah wie eine Kugel aus und wahrscheinlich dachte er, dass ihm so nichts passieren würde.
Als ich näherkam, hob er seinen Kopf ein Stück an und sah mich aus seinen strahlend blauen Augen an, welche gerötet und verweint waren.

Jeder geht eben anders mit dieser Situation um, dachte ich und würde nicht über ihn richten, so wie Gally es getan hatte.

Ich ging in die Hocke, klärte vorsichtig meine Kehle: "Hey...", meine Stimme klang ganz sanft. Der kleine Junge sah mich an und ich erkannte, dass er noch sehr jung sein musste. Ich würde ihn gerade einmal zwölf oder dreizehn schätzen, aber nicht älter. In diesem Moment konnte ich Gallys Aussage nachvollziehen. Was hatten sich die Macher nur dabei gedacht? Einfach grausam...
"Alles ist gut. Du bist jetzt in Sicherheit. Ich bin übrigens Rosaly", sprach ich und er wischte sich mit dem Ärmel seines Shirts die Tränen weg, welche zuvor noch seine Wangen hinab gekullert waren.
"Ich weiß, du musst unglaubliche Angst haben, aber eigentlich ist es da oben gar nicht so schlimm", ich deutete mit meinem Kopf zur Öffnung der Box, "Ja, der Junge soeben war nicht sonderlich freundlich, aber das ist er zu niemandem. Eigentlich sind wir ganz in Ordnung. Du bist gerade einfach hier aufgewacht, ohne dich an etwas zu erinnern. Ich verstehe es; ich hab' dasselbe vor einem Monat erlebt. Oben erklären wir dir alles, okay?"
Er nickte leicht und ich reichte ihm meine Hand. Der Junge nahm sie an und ich half ihm auf seine kurzen Beine. Zusammen schritten wir zur Mitte der metallenen Kiste und ich rief Newt zu, dass er uns nach oben helfen sollte.
Als der Neuankömmling oben war, ergriff ich Newts Hände und in der nächsten Sekunde war ich an der Oberfläche angekommen. Kurz verlor ich mein Gleichgewicht und knallte gegen Newts Brust. Wir waren uns nahe und ich ging zögerlich einen kleinen Schritt zurück. Ich blickte zur Seite, sah den neuen Jungen an.
Gut, jetzt war ich nicht mehr der Frischling und das Leben auf der Lichtung ging weiter.

Zwei Monate und ein gefühlter Augenblick | Newt Ff / Teil 1 ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt