49. Kapitel - Du wirst dich erinnern

250 22 8
                                    

»Denn ohne Bewusstsein fühlt man sich nicht als Mensch.«

"Rosaly!", rief eine männliche, tiefe Stimme und ich erhob mich von einem braunen Schemel, auf welchem ich gerade saß. Ich legte Papiere auf den Tisch vor mir ab. Es waren Karten, aber sie ergaben keinen Sinn. In meinem vorherigen Leben vielleicht schon, nun eben nicht mehr.
Ich drehte mich um und trat aus einem Zelt. Eine tief stehende Sonne blendete meine Augen und ich hielt mir meine rechte Hand schützend davor. Ich blockte die Strahlen ab und ging zur Person, die mich gerufen hatte. Ein Mann. Er war muskulös, hatte blonde, etwas längere Haare und ein Bart umkreiste seinen Mund.
Meine Umgebung war verschwommen, doch ich erkannte eine dürre Vegetation. Ich schien mich in den Bergen zu befinden, doch gleichzeitig in einer Wüste.
"Ja?", rief ich als Antwort und ging die letzten Schritte über den steinigen, staubtrockenen Boden auf den Mann zu. Er war schon etwas älter und sein Blick schien zuvor in die Ferne gerichtet gewesen zu sein. In dieser entdeckte ich jedoch nur eine trockene Welt.
Im nächsten Augenblick gesellte ich mich zum Mann. Wie er hieß oder wer er war, wusste ich nicht. Jedoch, manchmal, da erinnerte sich das Herz an etwas, was der Verstand vergessen hatte.
"Du weißt, was ich davon halte, dich mitzunehmen", erhob er seine Stimme. Sein Blick war weiterhin stur auf die untergehende Sonne gerichtet.
"Was ist an dieser Mission anders?", wollte ich wissen, verschränkte meine Arme trotzig vor meiner Brust, "Ich bin alt genug und ich war schon bei dutzenden Missionen dabei", rechtfertigte ich mich, sah zur Seite.
"Ich mach' mir einfach Sorgen um dich. Ja, du bist alt genug und du hast bewiesen, dass du in dieser Welt überleben kannst", er fuhr sich durch seine hellen Haare, infolgedessen drehte er sich zu mir um und legte seine Hände auf meine Schultern. Ich blickte in seine dunkelblauen Augen und erkannte meine eigenen in ihnen.
"Nichtsdestotrotz, du bist immer noch meine Tochter."

Die heutige Mission wäre, Kinder aus den Zwängen von Wicked zu befreien.
Nachdem sich die Welt gänzlich verändert hatte, herrschte sie. Ich war zu jung gewesen, um mich daran erinnern zu können. Daran, wie die Seuche ausgebrochen war und die ganze Welt verbittert nach einem Heilmittel zu suchen angefangen hatte. Wicked brauchte die Immunen, meist Kinder, denen das Virus nichts anhaben konnte. Der Brand, so nannten sie es. Er war gekommen, als die Welt von der Sonne verbrannt worden war. Einmal infiziert und man verwandelte sich in ein Wesen ohne eigenen Willen.
Wicked stand für: World In Catastrophe: Killzone Experiment Department.
Aber die Hoffnung, dass diese Organisation die Menschheit retten würde, war mit jedem weiteren Jahr, welches vorüberging, verschwunden.
In diesen Jahren hatte sich ein Widerstand geformt. Er hieß der Rechte Arm und kämpfte gegen Wicked. Und beim Rechten Arm hatte mein Leben begonnen, als Tochter von Vince, unserem Anführer.
Mein Leben lang hatte ich Teil des Rechten Arms werden wollen. Als ich älter geworden war, hatte ich es geschafft und die Sorge meines Vaters, dass mir dadurch etwas zustoßen würde, hatte sich bedauerlicherweise bewahrheitet. Schlussendlich hatte er mich doch nicht gegen die Grauen dieser Welt beschützen können.
Dennoch, es war meine Entscheidung gewesen, gegen Wicked vorzugehen, und heute würde der Widerstand einige Immune retten. Wir befanden uns gegenwärtig in einem unterirdischen Gang und schon bald würde es losgehen. Eines hatte zu diesem Zeitpunkt jedoch niemand wissen können, und zwar, dass diese Operation völlig schiefgehen würde.

"Lauft!", brüllte eine tiefe Stimme uns an und ich bemerkte, dass heiße Tränen drohten, meine Wangen hinabzulaufen.
Es war vorbei...
Nun hatten sie uns in ihren Fängen und wir waren dem Ende nahe. Kämpfen brachte rein gar nichts mehr und dies wussten wir.
Nun war der letzte Ausweg die Flucht, dies taten wir.
Im nächsten Augenblick liefen wir um eine Ecke, doch ich wurde brutal von meinen Beinen gerissen und landete unsanft auf dem harten Boden. Ich überschlug mich. Mein Kopf knallte auf den Grund und meine Sicht verschwamm. Mein Kopf schmerzte und schwarze Flecken behinderten meine Sicht. Ich rappelte mich auf, blinzelte gegen den Schmerz an.
Vor mir lief eine Gruppe von Kindern. Sie liefen von irgendetwas davon und mich schien es bekommen zu haben. Ich hustete und als sich ein kleines Mädchen mit verweinten Augen langsam zu mir umdrehte, sah ich pures Entsetzen, welches ihr zartes Gesicht zierte.
Die Verfolger waren dicht hinter uns und sie mussten mich zurücklassen. Sie sah mich mit ihren verweinten und geröteten Augen an. Als ein Junge sie mitzerren wollte, versuchte sie, sich zu wehren und auf mich zuzulaufen. Jedoch war der Junge stärker und sie stolperte in die entgegengesetzte Richtung weiter voran.
Im nächsten Moment waren sie um die Ecke gebogen und verschwunden.
Jetzt war ich auf mich allein gestellt. Ein Gedanke, der mir Angst machen sollte, doch ich spürte in meinem Inneren bloß Akzeptanz gegenüber der Situation. Aufgeben würde ich deswegen aber nicht.

Zwei Monate und ein gefühlter Augenblick | Newt Ff / Teil 1 ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt