Weg von hier

24.4K 661 37
                                    

Ich folge ihm zu einer Art Ruhebereich. Mit angestrengtem Blick bleibt er vor mir stehen und betrachtet mich. Er trägt ein weißes Shirt, durch das man weitere Tattoos auf seinem Oberkörper erahnen kann, blaue Jeans und weiße Sneaker. Dazu ein Lederarmband an seiner linken Hand. 

„Was machst du hier?", fragt er leise. 

„Wie, was mache ich hier? Ich bin mit Freunden hier zum feiern." antworte ich, genervt von dieser unnötigen Frage. 

 „Du bist erst 16.", sagt er und zieht eine Augenbraue in die Höhe. 

„Ja, na und? Als ob du mit 16 nie auf irgendwelchen Partys warst. Willst du jetzt meinen Aufpasser spielen oder was?" Der Alkohol macht mich mutig. Er fährt sich mit der Hand über seinen Oberkörper und seufzt. 

„Nein, ich... hör zu. Geh einfach wieder nach Hause, ok? Es ist schwer zu erklären, aber du musst gehen. Hier könnte heute etwas unschönes passieren und ich will nicht... geh einfach. Bitte.", sagt er und klingt dabei schon fast besorgt. 

Ich verschränke die Arme und schaue prüfend zu dem Jungen, dessen Augen mich gequält ansehen. „Erst wenn du mir sagst, wieso du das alles tust. Du magst mich nicht mal und trotzdem sorgst du dich irgendwie um mich. Ist das in dem Schutzgeld Paket enthalten?"

Seine Hände sind wieder zu Fäusten geballt und die Stimmung kippt durch mein neues Selbstbewusstsein. Ich schaue zu Boden, weil er mich vermutlich gleich anschreien wird und ich nicht will, dass er sieht, wie mir dabei die Tränen kommen. Ich sollte einfach wieder zurückgehen und die anderen... 

„Ich finde dich interessant, Maria. Es ist nicht einfach für mich, weil - wie du ja jetzt weißt - ich gewisse Verpflichtungen habe. Ich bin manchmal schwierig, weil ich es sein muss und ich sorge mich, weil ich mich sorgen will."

Meine Arme sind immer noch verschränkt und ich presse sie dicht an mich. „Oh, okay... wieso soll ich gehen?" frage ich vorsichtig und mein Herz rast nach dieser Offenbarung. 

Er verlagert sein Gewicht von einem Bein zu dem anderen. „Weil es hier gleich zu Stress kommen könnte und ich will nicht, dass dir etwas passiert." Ich habe noch nie so viele klare Sätze in einem Zusammenhang von ihm gehört und mein Bauchgefühl sagt mir, ich sollte auf ihn hören.

 „Okay, ich gehe, aber nur wenn wir in der Schule darüber reden." Er nickt erleichtert. „Ich hole meine Freunde und dann bin ich weg." sage ich und verschwinde, bevor die Situation sich wieder verändert - so schnell wie sie es immer tut, wenn er und ich länger als nötig beieinander sind. 

Als ich auf der Tanzfläche ankomme und ihnen erkläre, was los ist, schauen sie mich ungläubig an. „Das ist doch nicht dein Ernst! Wir sollen verschwinden, nur weil er das sagt? Es ist gerade so gut hier, was soll denn passieren?", schnaubt Kendra. Ich weiß, es ist bescheuert, aber ich kann sie schließlich doch dazu überreden und wir gehen raus, um uns ein Taxi zu organisieren.

Wir steigen gerade ein, als der Taxifahrer sich umdreht und sagt: „Einer muss hier bleiben, so viele nehme ich nicht mit." Da die anderen quasi schon eingestiegen sind und ich schuld daran bin, dass wir nun schon gehen, melde ich mich freiwillig. Das Taxi fährt davon und ich warte darauf, dass das nächste an den Taxistand gefahren kommt.

„Was machst du denn noch hier?", fragt eine Stimme hinter mir. Es ist Ben, der ziemlich wütend auf mich zukommt. „Ich habe nicht mehr ins Taxi gepasst. Keine Sorge, du bist mich gleich los, sobald das nächste kommt." Ich trete von einem Fuß auf den anderen, um mich von meiner Nervosität abzulenken. „Und dann hat sich keiner dieser Wichser, mit denen du auf der Tanzfläche warst, bereiterklärt, zu warten?", schnaubt er und ich antworte lieber nicht darauf.

„Komm mit, jemand wird dich fahren." Ich drehe mich um. „Nein, das ist bescheuert." Nervös reibt er sich über sein Gesicht, schaut sich immer wieder um. Er überlegt wohl, ob er mich einfach in ein Auto verfrachten soll. 

„Ich habe dir versprochen zu reden, wenn wir uns in der Schule sehen, also komm jetzt mit." Ich gebe ein resigniertes, genervtes Seufzen von mir.  Ich möchte lieber bald erfahren, was genau los, als diese Diskussion zu gewinnen, also folge ich ihm zu einem schwarzen Auto. Ein Typ, kaum älter als wir, sitzt drin. 

Ben signalisiert mir mit einer Handbewegung, Abstand zu halten und bespricht etwas mit ihm. Dann winkt er mich zu sich, öffnet die hintere Tür und ich steige ein. Er sagt nichts, lässt die Tür einfach zufallen und ich sitze mit einem wildfremden im Auto. Was habe ich mir dabei nur gedacht?

Als ich ihm Kendras Adresse sage, schaut er mich verwundert an. „Mir wurde gesagt, ich soll dich in die Gibbson Street bringen." „Ja, nein... da wohne ich, aber ich schlafe bei einer Freundin, also muss ich zu ihr." Logischerweise. Er rollt die Augen, tippt in sein Handy. Wahrscheinlich fragt er den gnädigsten Ben um Erlaubnis, mich woanders hinzufahren.

Als ich bei Kendra ankomme, reden wir über das, was da in dem Club passiert ist. „Das ist total krank. Ich denke, er steht auf dich." „Ach Quatsch", winke ich ab und beiße in das Sandwich, das ich mir eben zubereitet habe. "Er macht das für meine Tante - und vermutlich weil er es toll findet, mir auf die Nerven zu gehen."

Am nächsten Morgen liegen wir zusammen im Bett und schauen Fernsehen, als ein Newsticker eingeblendet wird: Schießerei im Club an der West Street...

Trust me, I am a Bad Boy. / AbgeschlossenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt