Tylers Geheimnis

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Kendra antwortet mir nur spärlich auf meine Nachrichten und auf meine Bitte, sich nur kurz mit mir zu treffen, kommt eine Weile keine Antwort. 

Ich bin erleichtert, als sie endlich zusagt und mache mich sofort fertig, um mich mit ihr zu treffen. Ich ziehe mir eine gemütliche Jeans an und würde Bens Pullover am liebsten anlassen. Stattdessen ziehe ich mir aber ein rotes Shirt über und binde meine Haare zusammen. 

"Na, wie war es gestern?", fragt Melinda, als ich das Café betrete. 

Das ist so ziemlich die schwierigste Frage, die sie mir stellen konnte. 

"Es war gut. Hat viel Spaß gemacht und alle haben sich gut verstanden", antworte ich ohne sie anzusehen. Es ist ja nicht ganz gelogen, ich lasse nur das Ende weg. 

"Das klingt wunderbar. Früher war ich auch oft mit deiner Mutter in dem Park. Diese Party gibt es bestimmt schon seit 25 Jahren", schwelgt sie lächelnd in Erinnerungen und ich zwinge mich, das Lächeln zu erwidern. 

"Wie auch immer. Ich wollte dir noch Bescheid sagen, dass das Café morgen geschlossen bleibt. Ich habe einen wichtigen Termin" Ich schaue sie fragend an, doch sie weicht meinem Blick gekonnt aus und ich belasse es dabei.

Als ich wenig später bei Kendra eintreffe, öffnet sie mir mit müden Augen die Tür. "Hey", flüstere ich und sie erwidert es leise. 

Ich begleite sie angespannt ins Wohnzimmer und frage mich, ob ihre Eltern eigentlich jemals zu Hause sind. Das Haus kommt mir oftmals so verlassen vor. 

"Wie geht's dir?", frage ich vorsichtig. 

Sie zuckt mit den Schultern und trinkt einen Schluck Wasser. 

"Ganz gut, habe aber nicht viel Schlaf bekommen. Jason ist noch oben und schläft tief und fest" 

Schweigend sehen wir uns im Raum um, vermeiden jeglichen Augenkontakt und es bricht mir das Herz, sie so zu sehen. Die Schuldgefühle sind unerträglich und ich könnte mich dafür Ohrfeigen, diese doofe Idee gehabt zu haben. 

"Bist du mir böse?", frage ich mit geschürzten Lippen. 

Sie betrachtet den Teppich, der unter dem Couchtisch hervorragt und schüttelt den Kopf. "Nein, aber ich bin geschockt. Das war so eine furchtbare Situation. Gott sei Dank ist niemandem etwas passiert. Jedenfalls nichts ernsthaftes." 

"Und bist du sauer auf Ben?" Diesmal herrscht längere Zeit betretenes Schweigen. 

"Ich habe das Gefühl, dass dir nicht bewusst ist, worauf du dich da einlässt", antwortet sie und umgeht eine direkte Antwort. 

"Was meinst du damit?", frage ich und schaue sie nachdenklich an. 

Sie stellt ihr Wasserglas ab, räuspert sich und lässt ihre nervösen Finger über ihre Oberschenkel gleiten. 

"Ich kenne Ben länger als du. Er ist schon immer dieser undurchdringliche, aggressive Typ, von dem man sich besser fernhält. Als er anfing mit dir zu reden, war ich überrascht und dachte mir, dass er vielleicht doch gar nicht so verkehrt ist, aber ich denke, ich habe mich geirrt. Sein Leben besteht doch nur aus sowas wie gestern. Willst du das wirklich?" 

Ich atme tief durch, doch ihre Worte treffen mich bis ins Mark. Eine Mischung aus Wut, Verunsicherung und dem Drang, Ben in den Schutz zu nehmen, überkommt mich. 

"Ich kann selbst entscheiden, was ich möchte und was nicht", seufze ich. 

In dem Moment betritt Jason das Wohnzimmer. "Hey Maria", begrüßt er mich verschlafen und er gesellt sich zu Kendra. 

Ich stehe auf, fest entschlossen zu gehen, doch Kendra hält mich zurück. "Bitte geh nicht", sagt sie leise. 

"Damit du mir noch mehr solcher Dinge an den Kopf werfen kannst?", frage ich erschöpft, doch dann mischt Jason sich ein. 

"Maria, ich muss dir auch noch etwas erzählen" Kendra und er schauen sich wissentlich an, dann wandern ihre Blicke zu mir. Ich lege den Kopf schief, betrachte die beiden und versuche abzuwägen, ob ich da bleiben sollte oder nicht. 

"Es tut mir Leid, was gestern passiert ist", seufze ich, doch er winkt ab. "Ist schon ok, ich habe mich bewusst eingemischt" 

Als ich mich wieder setze, herrscht eine unangenehme Stille zwischen uns. 

"Ich habe gestern noch mit Tyler gesprochen. Wie du sicher bemerkt hast, ist irgendwas zwischen den beiden vorgefallen. Er hat sich so schnell in den Streit eingemischt und das kam mir komisch vor, also habe ich ihn zur Rede gestellt..." er fährt sich nachdenklich durchs Haar, wirft einen Blick zu Kendra, bevor er weiter spricht. 

"Er hat mir erzählt, dass er auch mal dabei war, also bei... du weißt schon, der Gang halt. Nie so richtig, aber er hat auch für sie gearbeitet und Ben und er waren mal befreundet"

Ungläubig starre ich ihn an und schüttle den Kopf. Das kann doch gar nicht wahr sein... oder?

"Bei einem Überfall auf einen Transporter wollte Ben kneifen. Wieso, weiß ich nicht. Tyler hat es Lio erzählt und der wollte Ben bestrafen. Ben hat mitbekommen, was los ist und hat Tyler eine Falle gestellt. Er hat ihn halbtot geprügelt. Wie er aus der Sache mit Lio rausgekommen ist, weiß ich nicht, aber Tyler lag über Wochen im Krankenhaus" 

Ich schaue zu Boden, schüttle verzweifelt den Kopf, denn das was Jason mir zu sagen hat, will ich gar nicht hören. Ich will es am liebsten wieder vergessen und niemals wieder darüber nachdenken. Ich weiß, dass Ben kein Unschuldslamm ist, aber das ist einfach zu viel. 

Kendra kommt zu mir, legt mir besorgt eine Hand auf die Schulter. "Frag ihn, wenn du Jason nicht glaubst. Du vertraust Ben doch, oder?"

"Ich werde ihn fragen", flüstere ich mit zitternder Stimme. Dann verlasse ich das Haus ohne ein weiteres Wort zu sagen. 

Während ich nach Hause laufe, spielt mein Kreislauf verrückt. Mein Herz rast und ich bleibe stehen, weil ich mich fast übergeben muss. Die Tränen laufen mir übers Gesicht, ohne dass ich sie spüre. 

Wie gut kenne ich Ben wirklich? Wozu ist er fähig?

Als ich in meine Straße einbiege, leuchtet Bens Name auf meinem Display auf. Er fragt, wo ich bin, denn er war gerade im Café. Anstatt ihm zu antworten, schalte ich mein Handy aus. 

Trust me, I am a Bad Boy. / AbgeschlossenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt