Victor
Denver, 6 Jahre später
Point of View Victor
Ich hatte absolut keine Lust mich nun auch noch mit der Tatsache auseinander zu setzen, dass unser Kriminalpsychologe und Profiler spontan gekündigt hatte. Mein Blick glitt aus dem Fenster des Büros. Es wurde draußen bald dunkel und wir hatten heute noch keine wirklichen Erfolge erzielt. Mein Partner Steve versucht mich zu beruhigen.
„Das wird schon Vic, klar wäre ein Täterprofil jetzt von Vorteil, aber die werden uns sicher bald jemand Neues zuteilen. Den Mistkerl bekommen wir schon dran." Eigentlich war mir der Profiler egal, ich war ein Savant und mit meiner Familie bekamen wir so gut wie jeden Fall geklärt. Nur leider nicht jeden...
Und ausgerechnet jetzt, hatte unserer beschlossen aufzuhören.
In 90% der Fälle ging bei mir, alles auch ohne Profiler, doch ein Profiler konnte manchmal doch recht nützlich sein. In der Regel zog ich es aber vor meine Familie mit einzubeziehen, anstatt mich auf Angaben eines Profilers zu verlassen.
„Du hast wahrscheinlich Recht Steve." Antwortete ich gleichgültig. Steve stieß mich aufmuntern an. „Du bist zurzeit so gleichgültig gegenüber allem. Lust auf einen heißen Kaffee mit Donuts um den Tag ausklingen zu lassen? Etwas plaudern wird dir gut tun."
Gereizt zog ich eine Augenbraue hoch und schaute ihn verärgert an. Warum versucht ständig irgendwelche Leute mich davon zu überzeugen, dass ich nur ein aufmunterndes Gespräch brauchte. Ich wusste selber was gut für mich war. Und verflucht, sah ich so scheiße aus, das alle dachten ich könnte Hilfe brauchen?
Klar war ich in letzter Zeit sehr gefrustet, weil ich trotz der Freundin meines Bruders meinen Seelenspiegel einfach nicht fand. Eigentlich hatte mir Crystal schon vor Monaten gesagt, wo ich meinen Seelenspiegel suchen musste. Dumm nur, dass sich ihre Angaben immer zu ändern schienen. Es war als würde mein Seelenspiegel von einem Kontinent zum anderen springen.
Am Anfang dachte ich noch Afghanistan wäre ein schlimmer Ort, für meinen Seelenspiegel. Mittlerweile hoffte ich sie würde einfach an einem Ort bleiben dass ich sie finden konnte. Doch wann immer ich Crystal fragte, wo meine Seelenverwandte denn sei, antworte sie mir mit Orten die geografisch so weit auseinander lagen, dass ich bezweifelte sie überhaupt an einem dieser Orte jemals anzutreffen.
Was auch immer mein Seelenspiegel tat, sie ließ damit nicht zu dass ich sie fand. Und diese Tatsache ließ mich immer mehr daran zweifeln, sie überhaupt jemals zu Gesicht zu bekommen.
Wieder stieg die alt bekannte Verzweiflung in mir hoch. Wie verflucht konnte man sein, dass man trotz Soulseeker nicht seinen Seelenspiegel fand? In meiner Familie hatten die meisten meiner jüngeren Geschwister schon ihre Seelenspiegel gefunden. Und ich war noch immer alleine.
Das Knacken meines Bleistifte brachte mich in die Realität zurück. Ich hatte mich um die Sache mit dem Profiler zu kümmern. Steve, schaute mich nun aus seinen braunen Rehaugen noch besorgter an. Einen Moment ließ ich mir Zeit, den durch meine Hand zerbrochenen Bleistift beiseite zu legen. Kaum hatte ich dass erledigt, setze Steve schon an mich zu tadeln.
"Wirklich Victor, du brauchst eine Pause. Irgendwas stimmt in letzter Zeit nicht mit dir. Du bist ständig so abwesend, und in den Befragungen scheinst du mir immer etwas...naja...etwas aggressiver als du solltest. Nimm dir doch mal wieder frei. Du lebst ja nur noch für die Arbeit."
Mein Blick glitt kühl zu Steve, und er hörte sofort auf zu reden. Steve war vermutlich zu sanftmütig für diesen Beruf, und er ließ sich zu leicht einschüchtern. Dennoch fuhr ich ihn nun in meinem mies gelaunten Tonfall an. „Ich mach nur meinen Job, kümmer dich um dein Privatleben nicht um meins."
Steve zupft eingeschüchtert an seinem schwarzen Hemd herum. Er war kein Savant und sehr schnell nachgiebig. Von meinen Problemen verstand er nichts. Er meinte es nur gut, wollte mich aufmuntern, aber diesen Scheiß brauchte ich nicht. Er sollte einfach seinen Job machen. Steve war etwas jünger als ich und ich wollte mir von ihm sicher nicht helfen lassen.
Dazu war er sowieso nicht in der Lage. Ich brauchte meinen Seelenspiegel.
Kleinlaut meinte Steve. „Ich meinte ja nur." Er schrieb seinen Bericht und machte den anderen Kram fertig. Er schaut kurz auf die Uhr, 21:02. Mit leiser Stimme teilt er mir mit „Also ich mach jetzt Feierabend. Wir kommen zu zweit vorerst eh nicht weiter."
Ich nickte ihm knapp zu und sah zu wie dieser schlaksige Riese in Hemd und Jeans unser gemeinsames Büro verließ.
Genervt durchblätterte ich abermals einige Akten. Diese Mord und Entführungsserie, die sich zurzeit nicht nur in Colorado, sondern durch drei weitere Bundesstaaten zog, war zermürbend. Immer wieder verschwanden Frauen, es schien kein richtiges Schema zu geben. Die Opfer waren bis jetzt zwischen 18 und 37 Jahren, verschwanden bei Tag oder Nacht, auf dem Weg zum Schwimmen, vom Einkaufen, bei der Gartenarbeit ... kurz es gab einfach keine Gemeinsamkeiten.
Nicht bei den Opfern, nicht bei den Entführungen und nicht an Orten. Alles war so unterschiedlich.
Nun ja bis auf eine Sache. Nach sieben Tagen tauchte der abgeschlagene Kopf der Frauen in irgendeinem Park auf. Schön drapiert auf einem Denkmal oder Brunnen. Ohne Hinweis auf den Täter. Bis jetzt hatte es fünf Todesfälle gegeben. Leider konnten ich und meine Familie bis jetzt wenig erreichen. Wir hatten keine Tatwaffe, keine Spuren an den Tatorten, nur verstörende, abgetrennte Köpfe.
Plötzlich entmutigt öffnete ich die Akten abermals und sah mir die einzelnen Bilder nochmal genauer an. Es musst doch einen Hinweis geben. Akribisch schaute ich mir alles zum gefühlt hundertsten Mal an.
Frauen wie sie freudenstrahlend lachten, glückliche Fotos von lebenden Frauen. Dann Bilder von den vermuteten Orten der Entführung und letztlich Bilder von abgeschlagenen Köpfen.
Ein Klingeln des Telefons riss mich schlagartig aus meinem Gedanken. Schnell nahm ich den Hörer ab. „Büro von Benedict und Fischer." „Hallo Victor. Wie ich gehört habe, habt ihr Personalmangel. Wir werden euch morgen gleich jemanden schicken der euch aushilft. Sei nett." Ich lachte kurz in den Hörer. „Weißt du dass du die Beste in deinem Job bist Milly?" Milly war etwa um die fünfzig, immer freundlich, kam schnell zur Sache und in Verwaltungsdingen absolut klasse.
„Uh-lala, was ist denn mit dir passiert. Normal bist du doch sonst nicht so schnell im Komplimente verteilen. Ist das eigentlich nicht mein Part?" „Ich weiß, aber wenn du immer so direkt bist und mit Komplimenten um dich wirfst, kann ich das wohl auch mal versuchen. Außerdem hast du meine Woche gerettet. Ich will den Fall schnell lösen." Sie lachte herzhaft. Vermutlich weil ich so schnell wieder praktisch wurde.
„Also ich leg dann auf. Ich will meinen Job weiterhin gut machen und zeitig Feierabend haben. Tschüss." Ohne weiteres legte sie auf. Zufrieden räumte ich die Akten zurück. Mit einem Profiler würde die ganze Sache hoffentlich einfacher werden. Ich zog meine Jacke an, machte das Licht aus und verließ das Büro.
Am nächsten Morgen kam ich dummerweise in den typischen Morgenverkehr und somit gute 15 Minuten zu spät. Ziemlich ärgerlich. Ich hetzte in die FBI-Zentrale in Denver. Ärgerlicherweise übersah ich eine Frau, die auf dem Gang gerade um die Ecke bog. Ungebremst rammte ich sie zu Boden, und wir beide stürzten. Ihre wütende Stimme ertönte ziemlich laut, nur wenige Zentimeter von meinem rechten Ohr entfernt. Während ich halb auf ihr lag.
„Verdammt. Gehen sie von mir runter." Die Frau lag auf dem Rücken und ich quer über ihr. Rasch stand ich auf und streckte ihr meine Hand entgegen um ihr zu helfen. „Das können sie sich jetzt auch sparen." Sie verweigerte meine Hand und rappelte sich alleine auf.
Entrüstet strich sie ihren schwarzen Rock glatt und rückte ihre weiße Bluse samt schwarzem Blazer zurecht. „Ernsthaft, können sie nicht aufpassen?" Sie durchbohrte mich regelrecht mit ihren grauen Augen. Verlegen kratzte ich mich am Kopf. „Es tut mir ja Leid." Versuchte ich sie zu beruhigen. Statt es dabei zu belassen legte die Brünette nochmal eins drauf. „Normal lernt man schon in der Schule dass man auf Gängen nicht rennt." Ihr Tonfall war streng. Irgendwie erinnert mich die ganze Sache stark an eine dieser Belehrungen die man als Kind bekommt.
„Ich muss weiter Ma'am." Versuchte ich mich zu drücken. Doch offensichtlich hatte ich es nur noch schlimmer gemacht. Ihr Blick streifte mich kurz, und sie sah wieder auf den Boden, auf dem vereinzelt Blätter lagen. „Ma'am? Verdammt ich bin vermutlich jünger als sie." Gedämpft und leiser hörte ich einige Schimpftriaden, die ganz offensichtlich mir galten. Die Frau schien ziemlich gern zu fluchen und andere fertig zu machen. Sie war ganz außer sich und schien mich nicht einmal richtig anzuschauen. Vermutlich sollte ich mich nun einfach davon machen.
Dennoch schaute ich sie mir nochmal genauer an. Mhh, vielleicht war Ma'am doch nicht so angebracht. Auf mich wirkte sie wie um die Dreißig. Bevor ich eine weitere Schimpftriade oder ähnliches abbekam, verzog ich mich endgültig. Ich setzte meinen Gang ins Büro einfach fort und ignorierte die schimpfende Frau. Im Büro warte Steve schon.
Er saß lässig auf seinem Bürostuhl, mit zwei Kaffeetassen vor sich auf dem Schreibtisch. Ich schaute mich fragend um. Steve klärte mich auf. „Thorndike ist kurz zum Auto." Er nahm einen Schluck Kaffee und ergänzte. „Kommt gleich wieder." Der neue Kriminalpsychologe war also pünktlich gewesen. Im Gegensatz zu mir.
„Ich werde mal die Akten aus dem Schrank holen und ihm auf den Schreibtisch legen. Ich nimm an, unser neuer Kriminalpsychologe wir die brauchen. Er will sich vermutlich gleich an die Arbeit machen." Steve grinste mich frech an. Ich hatte den Eindruck er machte sich über mich lustig. „Ist was?" Blaffte ich ihn an. Steves Grinsen wurde unerwarteter Weise breiter.
„Ne, alles klar Partner. Du würdest es verstehen wenn du früher gekommen wärst. Er kommt sicher gleich." Seine Betonung gefiel mir irgendwie nicht. Dennoch machte ich mich weiter an die Arbeit und hoffte, dass der Kriminalpsychologe irgendein alter Typ war der nur seine Arbeit machen wollte und nicht auf Smalltalk stand. Noch so jemand wie Steve würde ich nur schwer ertragen. Kaum hatte ich die Akten auf den Schreibtisch gelegt, kloppte es.
„Herein." Forderte ich in freudiger Erwartung, die sich schlagartig in Luft auflöste.
Groß, Brauner Zopf, graue Augen, schwarzer Rock, schwarzer Blazer, weiße Bluse... „Darf ich vorstellen, Prudence Thorndike. Unsere Profilerin – Schrägstrich – Kriminalpsychologin und Fallanalytikerin." Steves Stimme klang schadenfroh, vermutlich weil ich die Frau regelrecht schockiert anstarrte.
Meine neue Kollegin, wie es mir nun dämmerte, schaute mich auch mehr als entgeistert an.
Sie durchbrach die mehr als unangenehme Stille, in der ich mich eigentlich hätte vorstellen sollen. „Wir zwei hatten ja schon das Vergnügen. Victor Benedict nehme ich also an." Wie selbstverständlich nahm sie mir sogar meinen Part mich vorzustellen ab. Steve grinste mehr als nur schadenfroh.
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Persuading Prudence
FanfictionVictor ist ein Savant, der vergeblich versucht seinen Seelenspiegel zu finden. Die Tatsache dass er dabei auf voller Linie zu versagen scheint, macht ihm schwer zu schaffen. Er wird immer rauer und abweisender. Prudence will ihren Seelenspiegel nich...