Wärme

184 17 1
                                    


Point of View Victor


Da stand ich nun. In einem fremden Treppenhaus und betrachtete die verschlossene Wohnungstür meiner vermutlich entführten Kollegin. Ihre Cousine war derweilen unterwegs den Schlüssel zu besorgen.

Holly hatte darauf bestanden, den Schlüssel zu besorgen. Warum ich ihr die Aufgabe überlassen hatte, wusste ich nicht. Nach dem gemeinsamen Frühstück wusste ich immernoch nicht so recht, was ich von ihr halten sollte. Sky und Zed hatte ich aus diesem Grund gleich zurück nach Wrickenridge geschickt. Zuhause waren sie sicher, und wer konnte schon sagen wie der Tag verlaufen würde?

Ein kleiner Teil von mir hoffte Prudence gleich in ihrer Wohnung anzutreffen.
Doch der größere Teil war davon überzeugt, dass das nicht der Fall sein würde.
Mit einem mulmigen Gefühl im Magen betrachtete ich die alte Eingangstür. Es war aber nicht die in die Jahre gekomme Tür, die mir Sorgen bereitete. (Obwohl das Schloss nicht wirklich Schutz vor Einbrechern bot. Man sollte denken, jemand der täglich mit Verbrechen zu tun hat, sollte es besser wissen.) Es war mehr die Tatsache, Prudence Wohnung zu betreten.

Es war seltsam die Wohnung von jemanden zu betreten, der mir auf eine Weise so vertraut, und doch so fremd war. Ich wusste eigentlich gar nichts über Prudence. Doch bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, hörte ich das gleichmäßige Knarren der Holztreppe.

"Hab ihn." Verkündete Holly, noch bevor ich sie kommen sah. Ihre schwarzen Haare waren das erste was ich sah, als sie die Treppe hochgerannt kam. Sie hatte es nach dem Frühstück sehr eilige gehabt, und ihr Tatendrang war nun immernoch nicht verflogen.

Ich wich vor ihr zurück als sie mit dem Schlüssel auf mich und die Tür zu kam. Ohne ein weiteres Wort, schloss sie auf. Nachdem sie aufgeschlossen hatte, schaute Holly einen kurzen Moment über ihre Schulter und schaute mich und den Flur an. Ein bisschen schien es als wollte sie mich genauer einschätzen.

Während sie die Klinke nach unten drückte, stellte sie mir ein Frage die mich etwas aus dem Konzept brachte. "Warst du schon öfters hier?" Während die Tür langsam aufschwang antwortete ich ihr. "Nein, noch nie." Und unbegründetes Bedauern durchzuckte mich.

Und plötzlich standen wir da, in einem orange gestrichenen Wohnungsflur. Das plötzliche Schweigen hatten wir wohl den Eindrücken, die uns überfluteten zu verdanken. Holly war als erstes wieder so weit, sich zu sammeln und zog die Tür geräuschvoll hinter uns zu. Beinahe andächtig ging sie einige Schritte und strich dabei mit den Fingern über die Kommode, auf der sich dutzende von Bilderrahmen sammelten. Ich stand noch immer an der Tür und wagte es kaum einen weiteren Schritt zu machen.

Überall wo es möglich war, waren Bilder. Ich kam mir vor wie ein Eindringling. Die einzigen anderen Mödel neben der Kommode, ein Schuhregal und ein Kleiderhaken, erinnerten mich daran wo ich war. In einem Flur. Allen in allem war es schon etwas seltsam.

Doch während ich zwischen Staunen und Verwunderung schwankte, machte sich bei Holly eine andere Stimmung breit. Holly hatte leichte Tränen in den Augen als sie sich zu mir umdrehte. "Alles in Ordnung?" Fragte ich, als sie mich einfach anschwieg. Und so blieb es auch eine Weile, in der sie die anderen Bilder an der Wand musterte. Ich folgt ihrem Blick.

Sah die Bilder von süßen Mädchen, jungen Schülerinnen, glücklichen Frauen und war verwirrt. Angestrengt starrte ich ein Bild an, auf dem zwei Mädchen die beinahe identisch aussahen auf einer Wiese lagen. So wie es aussah hatte meine Kollegin eine Zwillingsschwester. Holly stand indessen vor einem etwas größeren Bild, und ihr liefen haltlos die Tränen herunter. Warum verstand ich ehrlich gesagt nicht so ganz.

Holly verwirrte mich. Man konnte sie nicht richtig einschätzen. Eigentlich hätte ich sie nicht als weinerlich eingeschätzt. Ich trat hinter sie und wollte sie beruhigen. Doch stattdessen starrte ich nun ebenfalls das Bild an. Liebe sprach aus den Augen der beiden, die sich dort anschauten. Ein Liebespaar. Beide sahen verdammt glücklich aus. "Ist das ihr Freund." Blaffte ich Holly etwas unfreundlich an. Und hätte die Worte als, sie ausgesprochen waren am liebsten rückgängig gemacht. Ich klang ja beinahe eifersüchtig. Holly zuckte bei meinen Worten direkt an ihrem Ohr zusammen.

"Ich hätte nicht gedacht, dass sie so viele Fotos von uns allen behalten würde." Antwortete sie mir und wich damit meiner Frage aus. Sie starrte immer noch stur auf dass Bild direkt vor uns. Nach einer Weile sagte sie beinahe nachdenklich. "Ich dachte sie würde Markus hassen."

Ich warf ihr einen fragenden Blick zu. Wer zur Hölle war Markus? Ich räusperte mich kurz, weil sie weiterhin das Bild anstarrte. Holly reagierte indem sie anfing zu erzählen. Aber es klang als wollte sie sich selbst dass Geschehene erklären.

Vielleicht lag es an der Atmosphäre, dass sie nun doch gesprächiger wurde. "Prudence ist vor etwa 6 Jahren von Zuhause abgehauen. Wobei abgehauen übertrieben ist, sie war volljährig. Doch plötzlich war sie weg, nicht mehr auffindbar. Direkt nach der Beerdigung ihrer Schwester. Hat zu keinem auch nur mit einem Wort erwähnt, dass sie gehen wollte."

Sie holte kurz Luft und seufzte. "Ihre Schwester starb zusammen mit ihrem Seelenspiegel." Holly's Stimme klang bedauerlich, und dass Wort Seelenspiegel ließ mich innerlich zusammenzucken. Prudence war wie ich ein Savant, auch wenn ich dass noch nicht so richtig verarbeitet hatte.

"Prudence hasste Markus, dass war offensichtlich. Ihre Schwester, Valour, und Markus waren ständig zusammen. Vielleicht hat Prudence sich vernachlässigt gefühlt. Vielleicht war sie neidisch. Oder vielleicht konnte sie ihn einfach nicht ausstehen. Wer weiß dass schon."

Beinahe abrupt wand sich Holly nun ab, weg von der Wand mit den Bilder. Einen kurzen Moment dachte ich Tränen in ihren Augen schimmern zu sehen. War mir aber nicht sicher, weil sie so schnell verschwunden war. Tränen wollten irgendwie nicht zu ihr passen.
Ich schaute wieder die Wand an, war fasziniert von den Bildern. Es war als würde ich Prudence's Leben in wenigen Momentaufnahmen anschauen. Ihr Familie durch die wenigen Bilder kennen lernen. Soviel Glück auf den Bildern. Und soviel unterschwelliger Verlust.

Ich weiß nicht wie lange ich nun da stand. Letztlich war es eine Mappe die mir unsanft auf den Kopf geknallt wurde, die mich wieder ins Hier versetzte.

"Hey, aufwachen Träumer. Du stehst seit sicher 15 Minuten nur rum, mit so einem dümmlichen Blick, während ich die Wohnung durchsucht habe. Ich will Pru wieder. Ich hab nicht soviel Mühe und Aufwand all die Jahre betrieben, nur damit sie mir nach dem ich sie vor nicht mal 48 Stunden gefunden habe, einfach vor der Nase entführt wird." Holly war bissig, und mochte mich nun offensichtlich noch weniger als zuvor. Irgendwas hatte sie wütend gemacht.

Als ich mich nun zu ihr umdrehte, wurde mir klar dass irgendetwas passiert war. Ihre Augen schauten mich ärgerlich an. Mein Blick wanderte von ihren grauen Augen zu ihren Händen. Eine war zu einer Faust geballt und in der anderen hielt sie, eine Mappe. (Mit der mein Hinterkopf schon Bekanntschaft gemacht hatte.)

Als ich ihr einen fragenden Blick zuwarf, löste sich die zur Faust geballte Hand etwas.

"Wenn ihre Entführung mit den Info's in dieser Mappe zusammenhängt, haben wir ein Problem. Und du bist ein vollkommener Idiot. Ein vollkommen ahnungsloser Idiot."

Als ich weiterhin verwirrt schaute, knallte sie mir die Mappe nochmal auf den Kopf. Dieses Mal etwas aggressiver.

"Es frustriert mich dass du offensichtlich wirklich nicht verstehst. Alle Opfer sind verflucht nochmal Savants. Tote Savants." Sie machte eine kurze Pause, zeigte auf die Mappe, und schaute mich dann eindringlich an. Ihr grauen Augen durchbohrten mich und sie senkte ihre Stimme zu einem gefährlichem Flüstern. "Prudence ist ein Savant."

Und mit einmal lief mir ein eiskalter Schauer den Rücken hinunter. Ich verstand. Es war so offensichtlich Prudence war nicht von irgendwem entführt worden. Es musste ein Savant gewesen sein. Und das war milde ausgedrückt absoluter Mist.

Das Rascheln von Blättern in der Mappe, ließ mich zu Holly blicken.

"Zeig die Mappe her." Verlangte ich von Holly nun ganz geschäftsmäßig um meine aufsteigende Panik zu unterdrücken. Ihr Verschwinden durfte nicht mit dem Fall zutun haben. Doch je mehr ich mir die Blätter ansah, desto überzeugter war ich dass es so sein musste. Pru hat hier zuhause weiter alles zusammengetragen. Wir jagten den Killing Artist nun schon so lange hinterher mit so beschiedenem Erfolg dass es aussichtslos schien.

Mir wurde ein bisschen schlecht bei dem Gedanken, dass Prudence direkt vor meiner Nase entführt wurde. Und als ob dass nicht reichen würde, höchstwahrscheinlich von dem Serienkiller den wir seit Monaten jagten. Ob er es tat um dem FBI eins auszuwischen oder uns Ermittlern persönlich ließ sich nur mutmaßen und eigentlich war es egal. Sie war in der Gewalt von irgendeinem Psycho.

Doch eins stand fest. Wenn wir Prudence nicht bald finden würden, würde sie uns tot auf dem Silbertablett serviert werden. Nicht gerade eine schöne Aussicht. Wir hatten nicht den geringsten Anhaltspunkt.

Lediglich das Profil des Täters das Prudence heimlich bei sich angefertigt hatte war eine kleine Hoffnung. Sie hatte gewusst, sehr früh gewusst, dass der Mörder in die Savantwelt hineingehörte. Und irgendwie hatte sie herausgefunden dass alle Opfer Savants waren. Prudence heimliche Arbeit war wirklich hervorragend, und ich bereute es ein bisschen sie zuvor immer deswegen zurecht gewiesen zu haben. Die kleinen Details, die sie entdeckt hatte waren bemerkenswert. Warum sie sich uns aber nicht anvertraut hatte, machte mich trotz der offensichtlichen Gründe aber traurig. Sie wusste sie war nicht der einzige Savant beim FBI, wenn dass was Holly sagte stimmte. Dennoch hatte sie sich mir nicht anvertraut.

Persuading PrudenceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt