Abendkleid

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Point of View Prudence

Als es kurz nach der ausgemachten Zeit an der Tür klingelte, war ich nicht wirklich überrascht. Schon als ich den Türgriff betätigte fragte ich mich wie Holly sich wohl verändert hatte. Es war so lange her dass ich sie zum letzten Mal gesehen hatte.

Mit einem zwiespaltigem Gefühl öffnete ich die Tür, und dort stand sie. Älter und reifer als ich sie in Erinnerung hatte. Ihr Puppengesicht, dass eigentlich keine Schmicke benötigte, dezent geschmickt. Den Blick erwartungsvoll auf mich gerichtet, während ihre grauen Augen fröhlich glitzerten. Ein überbreitetes Lächeln bildete sich auf meinen Lippen, dass sich in Hollys Gesicht widerspiegelte.

Keine von uns sagte ein Wort, doch irgendwann nahm mich Holly in eine herzliche Umarmung. Ihre Lippen legte sich nah an mein Ohr und sie flüsterte. "Alles Gute Prudence."

Ein freudiges Kribbeln lief durch meinen Körper hindurch. Endlich hatte ich wieder einen Teil meiner Familie um mich und war nicht mehr so alleine. Das Alleinsein war auf die Dauer ermüdend gewesen. Hin und wieder hatte ich mir, so musste ich mir eingestehen, schon Gedanken gemacht, wie es meiner Familie so erging. Das Gefühl meine Lieblingscousine nun in den Armen zu halten war überwältigend. Dennoch Holly und ich redeten nicht viel. Die Anwesenheit der jeweils anderen genügte.

Wenig später saßen wir in einem schicken schwarzen BMW, und für einen kurzen Moment fragte ich mich wie sie sich den wohl leisten konnte. Allerdings wusste ich, dass das nur Holly etwas anging. Ich warf einen kurzen Blick auf den Fahrersitz zu ihr rüber, schaute wie sie den Schlüssel umdrehte.

Schon während sie den Motor startete, fing sie an sanft auf mich einzureden. Ihre grauen Augen nach vorne gerichtet.

"Ich hab dich wirklich vermisst Pru. Du und Vale waren meine einzigem richtigen Freunde. Auch ich habe Vale geliebt und verloren. Es hat unglaublich geschmerzt dass du einfach abgehauen bist, auch einfach aus meinem Leben verschwunden bist."

Die Traurigkeit in ihrer Stimme hallte innerlich in mir, und machte mich beschämt über mein Verhalten. Doch wäre ich geblieben, wäre ich vermutlich verrückt geworden. Ich hätte nicht bleiben können. Sachlich versuchte ich ihre unausgesprochenen 'Warum' Fragen zu beantworten. Warum bist du gegangen? Warum hast du nichts gesagt? Warum wolltest du nicht gefunden werden?

"Es tut mir leid Holly. Ich konnte nicht bleiben. Valour war überall in meinen Gedanken. Jedesmal wenn ich einen von euch sah, wie ihr mich mitleidig anschautet, wurde mir ihr Verlust noch bewusster. Und dein Anwesenheit erinnerte mich jedesmal daran, wie schön es war mit ihr zu lachen, zu streiten und zu diskutieren. Außerdem was blieb mir noch?"

Ich stockte, dass war keine Begründung die Holly genügte. "Außerdem wollte ich nicht weiter allein sein, und nicht weiter mit jemanden zusammen leben, der mir etwas bedeutete. Ich wollte niemals mehr jemand verlieren wie Valour, dass hätte ich nicht verkraftet." Meine Stimme wurde gegen Ende immer leiser.

Holly schaute stur auf die Straße, und nach ein oder zwei Minuten fragte sie kühl. "Also versteckst du dich einfach?" Ich blieb still und drückte mich tiefer in den weichen Sitz. "Es grenzt ein wenig an Ironie, dass ausgerechnet du verschwindest, die mit der Fähigkeit sich versteckt zu halten." Sie klang sehr verärgert, aber ein amüsierter Unterton schlich sich in ihre Stimme. "Ich hatte nicht einmal den Hauch einer Chance, dich aufzuspüren. Du warst wie dafür gemacht spurlos zu verschwinden."

Ich wagte es zu ihr zu schauen, sie schaute immer noch gerade aus. Auf ihre Stirn hatten sich eine Falten gelegt. Ihre Lippen waren geöffnet, sie wollte noch etwas sagen. Allerdings kam ich ihr zuvor.

"Es tut mir Leid. Erst als ich weg war, wurde mir bewusst, wie einfach es war weg zu bleiben. Ich wusste nicht einmal, dass ich nicht gefunden werden wollte, da hatte sich mein Inneres schon auf Abschirmung ausgerichtet."

Holly lachte bitter auf. Eine Reaktion mit der ich nicht unbedingt gerechnet hatte.
"Ich denke du machst es dir zu einfach. Du machst es dir immer zu einfach. Wenn du vor Herrausforderungen stehst, wählst du den Weg, der für dich den geringern Widerstand bedeutet. Der, der dein Selbst nicht, wie ein Kartenhaus zusammen fallen lässt." Stumm lauschte ich ihren Worten.

Sie klang auch sehr bitter und schnaufte plötzlich frustriert aus. "Scheiße, was mach ich hier überhaupt. Ich wollte dir keine Vorwurfe machen. Verdammter Mist, wir wollten feiern."

Ich saß stumm auf meinem Sitz. Holly war enttäuscht von mir und sie war sauer. Eine bedrückende Stille legte sich über uns.

Nach einiger Zeit sprach Holly beschwichtigend zu mir. "Ich könnte dich alles vergessen lassen Pru." Und wieder legte sich Stille über uns. Es dauerte einen Augenblick doch dann, wurde mir die Tragweite ihrer Worte wirklich bewusst.

Sie wollte mich vergessen lassen. Valour vergessen lassen. Mein Schmerz und meine Kummer wären so nicht mehr vorhanden, allerdings wären die Erinnerungen an Valour nicht mehr die selben, wenn mir Holly sie überhaupt noch ließ.

"Alles?" Fragte ich unsicher und schaute auf meine Hände. "Alles was du vergessen willst." Sagte sie mir zuversichtlich. Als ich zu ihr blickte, schaute sie immer noch mit starrer Miene auf die Straße. "Wie stellst du dir das vor Holly?"

Ich vermutet darüber hatte sie sich schon viele Gedanken gemacht. Holly plante vermutlich schon lange wie sie mich zurückbringen konnte. Ob sie mich wirklich so sehr vermisst hatte, und wie lange sie wohl schon nach mir suchte.

"Weißt du, wenn man Passagen aus einem Buch streicht, kann dass vieles ändern und die Geschichte ist am Ende eine andere. Aber denk dran ich bin nicht in der Lage die Passagen wieder sichtbar zu machen oder neue hinzuzufügen." Es war verlockend und doch gleichzeitig abschreckend, doch wollte ich wirklich vergessen?

Bilder meiner Schwester schwirrten mir im Kopf. Ich war den Tränen nahe. Ihre Schwüre, die als Kinder und als junge Erwachsene, summten mir im Kopf.
Ihre Worte, wir zwei werden durch alles gehen und immer zusammen bleiben, schmerzten. Die feuchten Spuren die sich von meinen Wangen schlängelten, nahm ich nur am Rande wahr. Ich hatte ihr nie zu ihrem Glück gratuliert. Nie entschuldigt dass ich pampig zu Markus war und nie dafür dass ich so unglaublich eifersüchtig war. Ich war keine faire Schwester gewesen. Ich weinte um ihre unerfüllten Träume und Pläne, und selbst um ihr verflucht kurzes Seelenspiegelglück.

Irgendwann hielt Holly an. Ich wusste nicht wo wir waren. Tränen hatten mir meine Sicht verschleiert. "Wir sind da." Erklärte Holly und ich spürte wie sie mir ein Taschentuch in die Hand drückte.

Persuading PrudenceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt