Kapitel 7

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*ich habe gleich ein wichtiges Telefonat und bin bisschen aufgeregt* textete er zurück. Was gab es in unserem Alter denn an wichtigen Telefonaten, die man führen könnte? *wirst du zum Firmenchef von Apple?* fragte ich also sarkastisch zurück und bekam sofort einen stumpfes *So ähnlich* zurück.  *du schaffst das schon* versuchte ich es nun auf einem anderen Weg. Wenn nicht mit Witzen, dann mit Nettigkeiten. *hoffentlich*

Da ich nicht wusste, was ich großartig antworten sollte, legte ich das Handy neben mir aufs Bett und schaltete die Vibration aus. Ich erinnerte mich daran, dass ich zwei Bücher aus der Bücherei mit genommen hatte und zog daher das Buch des Autors John Green hervor und begann, die ersten Zeilen zu lesen.

Gegen sechs Uhr abends schlug unten jemand gegen einen Schrank. Das mag seltsam klingen, aber ich wusste sofort, was von mir verlangt wurde. Langsam schlug ich also das Buch zu, steckte mir das Handy in den Hosenbund, sodass man es nicht sah und ging dann leise nach unten. Eine kleine Tür in der Hauswand führte in den Pub, in dem ich notgedrungen und nicht ganz freiwillig als Barkeeperin arbeitete. Einige der Nachbarn versammelten sich hier abends oft und ließen sich volllaufen. Trotzalledem lief das Geschäft total mies. Ein Plus gab es zwar immer, aber das war durch die Ausgaben für Strom schon fast nicht existent. Taschengeld bekam ich von meiner Mom nicht einmal, ich lebte quasi von dem Trinkgeld, das mir die Menschen in der Bibliothek und hier gaben.Auch war das 'Radgees' dafür bekannt, jedem etwas zu verkaufen, egal ob er bereits 21 war und legal Alkohol trinken durfte.

Der andere Barkeeper, Bert, war Brite und um die 25. Er passte perfekt in das Klischee 'Kneipengänger, Knauser rund Knappheit der Intelligenz', was ich an meinem ersten Arbeitstag entwickelt hatte. “ 'ello Ary“, nickte er mir zu. Immerhin war er mal nicht betrunken, was auch schonmal ein Fortschritt war. Dafür umso betrunkener waren die Menschen am Tresen, denen wahllos irgendwas in die Gläser gekippt wurde. Bei denen, die am Ende sturzbesoffen waren, verlangte Bert gerne mal utopisch hohe Preise, von denen er einen Großteil dann als Trinkgeld behielt.

Eine solche Situation hatte ich bisher noch nie ausgenutzt, aus dem einfachen Grund, dass die Leute schon generell die komplette Kontrolle über ihr Leben verloren hatten. Und, wenn man es mal langfristiger betrachtet, gehört das Geld sowieso der Bar, da sie jeden Abend erneut viel Geld dalassen.

Während ich einem offensichtlich nicht 21-Jährigen einen Scotch fertig machte und diesem über den Tresen schob, dachte ich über den Tag nach. Es war ein seltsamer Tag gewesen, nicht so langweilig wie alle anderen. Aber man sollte nicht den Tag vor dem Abend loben, daher werde ich ersteinmal abwarten, bevor ich den Tag als gut bezeichne.

“Ey, Schnecke, bekomme ich deine Nummer?“ Genervt drehte ich mich bei dem Kommentar um und sah den Fragensteller, einen bärtigen Mann Mitte 40, an. “Man möge sich fragen, weswegen sie hier in einem heruntergekommenen Pub sitzen und Minderjährige anbaggern“, gab ich mit einem freundlichen Lächeln zurück und schloss dann mit einem “Nein“ das Thema ab. Auf solche Fragen antwortete ich immer das gleiche, da etwas verlegenes nur als schwach dastehen lässt und mehr Angriffsfläche bietet. Schnell drehte ich mich wieder zur Seite und fuhr damit fort, die gespülten Gläser abzutrocknen und in eine Vitrinen oberhalb zu stellen.

Immerhin hatte ich die Größe meines Vaters abbekommen und war mit 1.72  durchschnittlich groß. Ab acht Uhr stellte Bert immer Musik an und einige der Betrunkenen am Tresen verschwanden, um ihre Moves zu zeigen. Einmal hatte ich es mir angeguckt und es war einzig und alleine ein Trauerfest. Bert warf ein Handtuch nach mir. “Ich bin drüber und achte mal drauf, dass es keine Prügelei gibt.“ Schon war er verschwunden und ich alleine am Tresen.

Die letzten zwei Stunden, in denen ich arbeitete, vergingen relativ schnell. Gegen 22 Uhr abends warf mich Bert mit den Worten “kleine Kinder müssen jetzt schlafen“ aus der Bar. Sie hatte noch bestimmt bis zwei Uhr nachts offen, aber immerhin durfte ich so lange gar nicht arbeiten.
Durch die Durchgangstür, die immer abgeschlossen war, gelangte ich schließlich ins Haus, durch das man die vielen grölenden Stimmen der Betrunken immer noch hörte. Synchron zu meinem Schließen der Durchgangstür wurde auch die Haustür zu geworfen. Mit einem genervten Blick nach rechts sah ich genau das, was ich auch erwartete. Richard, mein Stiefvater, mit zwei Wodkaflaschen und sichtlich betrunken. Seine grauen Haare, die er bereits hatte, obwohl er erst Mitte 40 war, hingen ihm nass und strähnig im Gesicht. Er lallte ein “Aulelia is ja 'uch wied'er da die klene Schlan'e.“ Von der Tatsache abgesehen, dass Aurelia nicht mein Name war, sondern der seiner Ex-Frau, war eigentlich alles normal. Ob er mich jetzt als Schlange oder Schlampe bezeichnet hatte, wusste ich nicht. In seiner Gegenwart tat ich einfach immer so, als würde mich das nicht interessieren, auch wenn es mich insgeheim wirklich traf. Schnell huschte ich die Treppen hoch, die er vermutlich heute nicht mehr hochkommen würde und stürmte ins Bad, wo ich mir erst einmal mit einem Waschlappen und eiskaltem Wasser übers Gesicht rubbelte.
Nachdem ich aussah und mich fühlte wie eine Tomate, trottete ich barfuß über die Holzdielen in mein Zimmer und ließ wie immer meine Tür ein wenig offen stehen. Das hatte ich auch früher schon immer getan, damals auf Hawaii und es gab mir ein gewisses Gefühl der Vertrautheit. Dann legte ich mich in mein Bett und band meine Haare noch zu einem Dutt, bevor ich mein Handy hervor zog, mich umzog und währenddessen guckte, ob mir jemand geschrieben hatte.

*lief alles glatt, danke nochmal* schrieb Ben mir und ich verz pog den Mund zu einem leichen Lächeln. *Das freut mich für dich & immer gerne*. Das Handy legte ich dann auf den Nachttisch und drehte mich auf die Seite. Unten hörte ich die leise Stimme meiner Mutter, die sich vermutlich mit Richard unterhielt. Es folgte ein kehliges Lachen seinerseits und ein “Nein“ meiner Mutter. Es ertönte unten ein lautes Klirren und ein Klatschen. Danach war es unten still. Richard musste in seinem Rausch und der Wut wohl erst eine Vitrinen und dann Mom geschlagen haben. Eines Tages würde er dafür büßen, was er Momma angetan hatte, so viel war klar. Das schlimmste an ihm war eigentlich aber, dass Mom ihn liebte und lieben würde, egal was er tat.
Und genau das war auch der Grund, weswegen ich mich nicht verlieben wollte.

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und sorry, dass """Ben""" noch nicht so oft vorkam, das kommt noch, versprochen. Und bald ist es auch nicht mehr Ben, sondern Tom, ebenfalls versprochen😂

undercover; tom hollandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt