Kapitel 46

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"Woran denkst du?", fragte Tom, als wir uns lösten. Um die romantische Stimmung zu wahren, sollte ich vermutlich nicht sowas sagen wie 'daran, dass Sprache unterentwickelt ist'. "Ich bin einfach glücklich", lächelte ich daher nur, was ebenfalls der Wahrheit entsprach. Er musste ebenfalls lächeln und wandte seinen Blick dann wieder nach vorne, während wir den Weg zurückgingen, den wir gekommen waren. "Wie sieht der Plan jetzt aus?", fragte ich schnell, um auf ein anderes Thema zu kommen. "Ich weiß auch nicht genau. Hast du irgendwas, was du noch machen willst?", antwortete er mit einer Gegenfrage, auf die ich nur unwissend den Kopf schüttelte. "Es ist auch schon recht spät, ich weiß nicht ob man überhaupt so viel noch machen kann." Die Laternen erleuchteten unsere Gesichter und warfen groteske Schatten.

"Wir müssen auch noch nach Hause kommen", merkte ich an und kassierte dafür ein Lachen. Er stimmte mir mit einem "Ja, das wäre ganz gut" zu und fuhr sich dann durch die nassen Haare. "Wir sollten vielleicht irgendwo hingehen, wo wir uns nicht erkälten", schlug ich vor und deutete auf ein Schild vor uns. 'Haltestelle' stand dort mit einem Pfeil nach rechts. "Das ist wohl der einzige Weg, den wir nehmen können, wenn wir nicht noch über die Brooklyn Bridge gehen wollen", nickte er. Ich verdrehte ironisch die Augen: "Doch, bitte lass uns noch den Kilometer durch den Regen laufen, ich möchte meine Dusche gerne vollständig abschließen."-"Also gut." Er drehte sich zur Seite und machte Anstalten, die Richtung zu wechseln. In diesem Moment zuckte ein Blitz über den Himmel und erleuchtete die Straße, auf der wir standen, mit grellem weißen Licht. Der Donner ließ nicht auf sich warten, schon Sekunden später hörte man es grollen und weitere Blitze zuckten von der Wolkendecke hinunter auf die Erde. Wären die Menschheit nicht so intelligent, sich dieses Phänomen mit Ladungen erklären zu können, wäre ich sehr sicher eine der Personen gewesen, die geglaubt hätten, dass dort nordische Götter durch die Wolken ritten.

Beim nächsten Blitzen machte mein Herz einen Satz, er schlug vielleicht hundert Meter in einen hohen Baum ein. "Tom", rief ich gegen der heranziehenden Donner an, sowohl verängstigt als auch dringlich, nicht unter den Bäumen stehen zu bleiben. "Schnell", kam von ihm nur, während er meine Hand packte und wir nebeneinander zur U-Bahn Haltestelle rannten, die, wie der Name es erahnen ließ, unterirdisch war. Als wir die Treppen hinunterrannten und am Fuße keuchend stehenblieben, tropften mir kleine Wassertropfen in die Augen und ich musste blinzeln. Die ganze Situation war so absurd, dass ich mir gar nicht ausmalen konnte, wie ich mich morgen fühlen würde. Ich fühlte mich berauscht vor Glück und wollte in meinen durchnässten Klamotten eigentlich nur noch die ganze Welt umarmen. Nachdem ich das heftige Blinzeln, was wohl sehr lächerlich aussehen musste, einstellte, sah ich, dass Tom bereits einige Meter weiter einen Plan studierte und jetzt nachdenklich auf die Anzeigetafel an der Wand blickte. Es gab nur eine einzige Bahn und die kam erst in fünf Minuten. "Die fährt nach Queens", erklärte Tom mir, während ich neben ihn trat und mir den Metro-Plan ebenfalls ansah. "Von da aus kommen wir aber nicht besonders gut wieder in die Bronx", murmelte ich in Gedanken. Wir hatten jetzt fast 12 Uhr nachts und würden in einer dreiviertel Stunde in Queens sein. Von dort fuhren vielleicht einmal die Stunde Bahnen in die Bronx, wenn überhaupt. Daher wäre ich, wenn alles gut läuft, wohl gegen zwei zuhause. Dann konnte ich immerhin noch drei Stunden schlafen, nachdem ich alle Sachen für die Schule und mich fertig gemacht hatte. Schon bei dem Gedanken an mein weiches Bett musste ich gähnen.

"Ich habe eine Idee", ertönte es plötzlich von dem Braunhaarigen neben mir, "Lass mich einfach kurz telefonieren." Was genau hatte er jetzt vor? Wen rief er bitte gegen null Uhr nachts an, der dann auch noch abnahm? Müde rieb ich mir durch die Augen und versuchte mich auf den Busplan zu konzentrieren, der jedoch augenblicklich vor meinen Augen verschwamm. "Die Wohnung meiner Tante ist hier ganz in der Nähe, dort können wir sonst übernachten und dann morgen früh rüber in die Bronx fahren. Dann ist die Verbindung besser", schlug Tom vor, während er sein Handy ausschaltete. Das Display hatte einige Kerben und Risse, bei denen ich mir die Frage stellte, was er damit gemacht hatte, dass das Handy so aussah. Eigentlich war das eine gute Idee... Jedoch hatte ich keine Ahnung wer diese Frau war und auch Mom wusste nicht Bescheid, wo ich war. "Ist das für sie ok?", fragte ich, während sich mein Mund nachdenklich verzog. "Ja, ich habe gerade angerufen." Wenn, dann würde ich morgen etwas früher aufstehen und einen Bus in die Bronx zur Schule nehmen- mein Rucksack und die Materialien lagen so oder so noch in meinem Spind in der High School. Und..Mein Handy lag dort ebenfalls, ebenso wie mein Schlüssel, daher würde ich Mom nicht anrufen oder ins Haus gelangen können. "Ist ok. Könnte ich von da oder von deinem Handy denn kurz auf den Anrufbeantworter bei meiner Mutter sprechen und ihr Bescheid sagen?" Nickend reichte er mir sein entsperrtes Handy und drückte dabei auf das 'Telefon'-Icon, was sich öffnete. '+718' begann ich und tippte dann die restlichen Nummern ein, die zur Telefonnummer gehörten. "Wir sind gerade nicht erreichbar, bitte sprechen Sie eine Nachricht auf den Anrufbeantworter", meldete sich eine Stimme, die ich gerne nie wieder gehört hatte. Richard hatte sich also doch noch verewigt. Nachdem ein leisen Piepen ertönt war, sagte ich: "Hey Mom, ich bins. Ich wollte nur kurz sagen, dass ich mit Tom bei seiner Tante übernachte und mein Handy vergessen habe. Ich erzähle dir alles morgen nach der Schule." Gerade als ich den roten Knopf zum Auflegen drückte, fuhr die Bahn ein und hielt wenige Sekunden später unmittelbar vor uns. Die letzte gewählte Nummer auf dem Telefon war nicht ein weiblicher Name, wie ich es bei einer Tante angedacht hatte, sondern der Name 'Mike Fantasia/LocM'. Verwirrend. "Wie heißt deine Tante?", fragte ich, während ich ihm das Handy zurückgab und wir in die Bahn einstiegen. "M-May. Sie wohnt nur manchmal in der Wohnung und war gerade nicht erreichbar, deswegen habe ich Onkel.. Mike angerufen, der meinte, dass sie nicht da sei." Deswegen Mike. "Ok", machte ich nur und hielt mich an einer der Haltestangen fest, um nicht umzufallen, während die Bahn anfuhrt.


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undercover; tom hollandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt