Kapitel 62

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"Du darfst dich nur nicht in deinen Gedanken weiter verlieren, denn aus diesen Spiralen kommst du nur schwer wieder heraus, glaub mir", fügte ich hinzu und erwiderte seinen Blick, "Das einzige, was du nur auf keinen Fall machen darfst, ist, dass du in dieser Situation stecken bleibst. Du musst dich ablenken und irgendwann sind diese Gedanken weg. Such dir ein neues Hobby oder mach etwas mit Freunden, aber sitz nicht alleine hier Zuhause und versinke in Selbstmitleid."

Tom wandte seinen Blick nach links zum Wohnzimmertisch und die Achseln. "Ich weiß, aber ich bekomme es einfach nicht hin."

Ich wusste nicht, warum ich das Folgende sagte, aber es entwich mir einfach instinktiv: "Zeig mir London. Dann..hast du etwas zu tun."

Langsam begann er zu nicken und fuhr fort: "Das ist aber nicht alles, was mich beschäftigt, das ist wohl noch die kleinste Sache. Mein zweites Problem hängt mit dem Schauspielern zusammen und ich erschaffe mir das wohl indirekt selbst. Du musst wissen, dass ich früher schon ein riesiger Spiderman Fan gewesen bin und es auch vor mir bereits zwei andere Darsteller gegeben hat, deren Filme große Erfolge waren. Ich mache mir einfach diesen immensen Druck, dass ich genauso gut sein muss und wenn ich das nicht schaffe, ich versagt habe. Diese Gedanken bekomme ich einfach nicht aus meinem Kopf raus, weil sie mir schon als ich jung war von Mitschülern immer wieder gesagt wurden. Damals war es, weil ich getanzt habe und in einem Musical war, heute sage ich es mir selbst, weil ich einfach abliefern muss."

Ich wusste, dass er keinen Mitleid wollte, aber genau dieses Gefühl erfüllte mich gerade. Nie hätte ich gedacht, dass jemand wie Tom, eine so liebenswürdige und gute Seele, so etwas passieren würde.

"Aber du bist doch die perfekte Besetzung, so wie du bist", begann ich und suchte nach den richtigen Worten, "Immerhin wurdest du aus einer riesigen Anzahl von Schauspielern ausgewählt und das heißt ja, dass du es kannst."

Tom nickte. "Das habe ich mir auch schon versucht klar zu machen, aber dann sage ich mir immer wieder, dass ich gerade deswegen nicht enttäuschen darf. Dieser Druck macht mich fertig und ich weiß nicht wie ich damit umgehen soll."

In Gedanken rekapitulierte ich, ob in einem meiner Bücher aus der Schule etwas zu Verhaltenspsychologie gestanden hatte. Ich erinnerte mich nur an einen kleines Abschnitt, den ich jetzt in etwa wiedergab. "Es ist nicht schlimm, nicht perfekt zu sein, das musst du dir erstmal bewusst machen. Schritt zwei ist dann, dass du dir deine Erfolge klar machst und weißt, was du alles erreicht hast dadurch, dass du dich in eine Sache reingekniet hast. Das dritte wichtige ist, dass du dich selbst nicht stresst und dir auch mal frei nimmst und Pausen machst."

Als ich diese Zeilen aus meinem Lehrbuch fast schon aufsagte, begann Tom schief zu grinsen. "Hast du das auswendig gelernt oder wie?" Verlegen lächelte ich ebenfalls und nickte dann. "Teil der Ausbildung."-"Hast du es in die medizinische Ausbildung geschafft, in die du wolltest?", fragte er.

Mein Lächeln verharrte, während ich mich darüber freute, dass er scheinbar nicht vergessen hatte, in welchem Feld ich später einmal arbeiten wollte. Das war zwar trivial, aber trotzdem machte es mich irgendwie glücklich zu wissen, dass er mich nicht ganz aus seinen Gedanken gestrichen hatte.

"Ja, zwar studiere ich nicht, aber die Ausbildung ist auch ein Anfang. Mal sehen wie es dann weiter geht", antwortete ich. "Dann also danke schonmal, Frau Doktor", entgegnete er nur und bezog sich wieder zurück auf die Tipps die ich ihm gegeben hatte, "Immerhin sind so oder so bald die Dreharbeiten zuende, sodass ich dann immerhin Freizeit habe."-"Das ist doch ein Anfang", meinte ich, immernoch mit einem Lächeln auf dem Gesicht.

Jetzt kannte er meine und ich seine kaputte Seite. Hatte nicht jeder Mensch irgendeinen Teil seiner Seele, der beschädigt war? Gab es nicht immer ein kleines Geheimnis, das den perfekten Menschen unperfekt machte? War nicht genau das der Grund, weswegen wir menschlich waren? Die Unperfektheit und die Fehler, die ein jeder immer wieder macht. Niemand handelte immer richtig und hatte das perfekte Leben.

Auch die großen Stars hatten ihre kaputten Seite, egal ob psychisch oder physisch. Nicht alles ist immer so wie es scheint und kein Leben, das perfekt scheint, ist es auch wirklich.

"Also, wie kommt es, dass du hier bist?", unterbrach Tom die Stille und griff nach den Keksen zwischen uns. "Harrison hat mich angerufen und gesagt, dass er nicht mehr klar kommt und ich doch bitte vorbeikommen soll." Klang das seltsam? Vermutlich ja.

"Er hat mir die Wahl gelassen und naja, hier bin ich, schätze ich", fügte ich hinzu. Der Braunhaarige mir gegenüber biss in seinen Keks hinein. "Ich wollte die ganze Situation geklärt haben."

"Das haben wir ja jetzt", lächelte Tom müde und machte Anstalten aufzustehen, "Dann bis bald, oder so." Verwirrt starrte ich ihn an. "Was?"

Tom sah mich ebenso verwirrt an: "Du wolltest das zwischen uns geklärt haben. Wir haben es geklärt. Das war es doch, oder?" Es blieb für einige Sekunden still, in denen ich die richtigen Worte suchte. Schließlich stieß ich Luft aus und schüttelte den Kopf.

"Ich lasse dich so nicht alleine."
Meine Stimme erklang in dem totenstillen Raum wie ein Paukenschlag.

Verwundert sah Tom mich an und ein minimales Lächeln erhellte sein Gesicht. "Woher weißt du, dass ich nicht wieder alleine sein will?"-"Willst du es?", entgegnete ich und er sah verlegen auf den Boden. "Eigentlich freue ich mich, dass du hier bist", murmelte er dann resigniert und ließ sich zurück auf die Couch fallen.

"Dann bleibe ich", lächelte ich und hob einen Keks vom Sofa, der durch das Hinsetzen von Tom vom Teller gesprungen war. "Wann ist denn Drehschluss?", wechselte ich das Thema zurück zu seinem Job.

"In ein paar Wochen. Ich muss noch einmal nach Deutschland fliegen und dann ist dort am 22. August in Leipzig am Flughafen alles abgedreht. Dann habe ich erstmal ein bisschen frei, bis es auf Pressetour durch die ganze Welt geht. Im April nächsten Jahres ist dann die Premiere für Civil War", erklärte er, "und im Juni nächsten Jahres beginnen dann, das darf ich zwar noch nicht sagen, aber erzähl es einfach niemandem, die Dreharbeiten zu meinem ersten MCU-Solofilm, also Spiderman."

undercover; tom hollandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt