Kapitel 32

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Es war bestimmt ein Uhr, als die letzte Rakete gezündet wurde und sich alle in den Armen lagen, betrunken vor Glück. Naomi, die jetzt wohl mit ihren Freunden weiterziehen wollte, tat so als würde sie mich umarmen und flüsterte mir dabei ein "klär ihn dir" ins Ohr, was mich zu einem peinlich berührten Husten brachte. Hoffentlich hatte Tom dies nicht gehört. Es schien aber nicht so, denn er stand am Rand des Steges mit den angewinkelten Armen auf dem Geländer. Sein Blick ging weit in die Ferne.

Nach und nach verließen immer mehr den Steg, bis wir schließlich mit die einzigen noch Verbliebenen waren. "Alles ok?", fragte ich schließlich und stand von der Bank auf. Langsam stellte ich mich neben ihn und blickte ihn an, während er immer noch einen Punkt am Horizont fixierte und von diesem auch nicht absah. "Denke nur nach", murmelte er, stützte dann den Kopf in seine Hände und wuschelte sich durch die Haare.

Ich meinte ein leises "Verdammt" hören zu können, aber es war auch möglich, dass ich mir dies eingebildet hatte. "Wollen wir auch langsam los?", schlug ich leise vor und endlich riss er seinen Blick los und nickte. "Ist gut."

Als wir aus dem Club traten, liefen wir exakt den selben Weg zurück, den wir auch gekommen waren. Einmal rechts und durch den Park und dann zweimal links, dann waren wir wieder bei dem Restaurant, bei dem wir schon zu Abend gegessen hatten.

Die vollen zehn Minuten redete niemand von uns, aber es war ein angenehmes Schweigen. Jeder von uns war in Gedanken versunken. Ich ließ zu, mich in diesen Gedanken zu verlieren und stellte mir, während unter meinen Füßen ein Ast knackte, die Frage, ob das was zwischen Tom und mir war, vielleicht doch gar nicht so schlimm war.
Diese Gefühle die tief in mir brodelten, vielleicht waren sie nicht so toxisch, wie ich es immer angenommen hatte. Es war auch bisher eher ein leichtes Köcheln als ein Brodeln, aber auf Art und Weise, die ich mir selbst nicht erklären konnte, mochte ich dieses Gefühl.
Ich mochte es wie er mich ansah und ich mochte es, wie in meinem Magen dieses leichte Kribbeln entstand.
Nach und nach begriff ich, dass dieses Wort "Verliebtheit" oder "Liebe" nicht immer etwas schlechtes ausdrücken musste. Jedenfalls glaubte ich das, basierend auf dem, was ich mit Tom erfahren hatte. Es konnte immer noch passieren, dass er mir in Wirklichkeit alles nur vorschwindelte und mir eigentlich nur wehtun wollte, aber würde man sich dann so verhalten? Würde man so viel Zeit vergeuden, Dinge über die andere Person zu erfahren und sich um deren Probleme zu kümmern, nur um sie dann fallen zu lassen? Nein, das ergab eigentlich nicht so viel Sinn. Aber selbst wenn er eine solche Person wäre, was ich tief in meinem Inneren nicht glaubte, könnte ich jetzt zu diesem Zeitpunkt nichts dagegen ausrichten, dass es diese Gefühle in mir gab. Sie würden nicht einfach verschwinden, selbst wenn es ihm nicht so ginge wie mir, oder wenn ich mich dagegen wehren würde, das wusste ich. Es hatte lange gedauert, dass ich realisiert hatte, dass die Liebe nicht immer etwas Schlechtes war. Sie konnte auch süß, schön oder berauschend sein- aber eben auch zerreißend, schmerzhaft und gefährlich. Und diese Schattenseiten waren wie immer das, was mich so beunruhigte. Von der Arylia, die ohne Sorgen in einem Club war und dem Feuerwerk zugesehen hatte, war gerade nicht ein Hauch mehr übrig. Zurück war die andere Arylia, die die sich um alles Sorgen machte und die, die sich von allen Menschen abkapseln wollte, um sich selbst zu schützen.

Wir waren mittlerweile am Restaurant angekommen. Tom verlangsamte seine Schritte und drehte sich dann zu mir um. "Wie kommst du nach Hause?", fragte er schließlich und klang etwas heiser. "Metro", meinte ich kurz und als ich sprach fühlte es sich an, als hätte ich tagelang nicht gesprochen. "Dann..sollen wir zu der Station gehen? Ich glaube, ich muss eine andere nehmen, aber die müssten ja vom selben Gleis abfahren." Ich nickte bei seinen Worten nur und hätte am liebsten die Augen geschlossen und erstmal nicht mehr geöffnet. Es war vermutlich eine Welle von Müdigkeit, die mich überrollte, oder aber die Überforderung mit der gesamten Situation. Die Metro, die in der Bronx oberhalb der Straßen fuhr, hatte eine Station ganz in der Nähe, die wir jetzt auch anpeilten. Ein weiteres Mal herrschte Stille, die ich jetzt aber unterbrach.

"Es war wirklich schön." Und dies meinte ich auch ehrlich. "Finde ich auch", pflichtete er mir bei und nebeneinander stiegen wir jetzt die Treppen empor, die zum Bahngleis führten. Eine Leuchttafel zeigte an, dass meine Bahn in einer Minute da sein würde, daher würde ich mich jetzt wohl verabschieden müssen. "Vielleicht können wir das ja mal wiederholen", schlug Tom zeitgleich vor, als ich genau das gleiche sagen wollte. "Wollte ich auch gerade sagen und ja, das finde ich auch." Vor mir sah ich bereits die zwei großen Scheinwerfer der einrollenden Bahn, als ich auf ihn zuging, um ihn zu umarmen. Auch wenn ich eigentlich nicht der Typ dafür war, bei ihm fühlte es sich irgendwie richtig an. Seine Arme legten sich um meine Taille, als ich meine Arme um seinen Hals schlung. "Bis dann, Arylia", flüsterte er in meine Haare und ließ mich dann los.

Er hatte noch nie meinen Spitznamen benutzt, viel mir in dem Moment auf und ich wunderte mich, warum mir so etwas auffiel und es mich überhaupt interessierte. Als die Bahn einfuhr, wirbelte die Luft einige heruntergefallene Blätter auf und blieb dann quietschend vor meinen Füßen stehen. Tom biss sich kurz auf die Unterlippe und ich tat etwas, von dem ich wusste, dass ich es wohl bereuen würde. Schnell stellte ich mich auf die Zehenspitzen, küsste ihn auf die Wange und flüsterte ebenso leise wie er es gerade getan hatte ein "Tschüüss" zurück. Dann rannte ich schnell zur Bahntür und stieg in den Zug ein. Hinter mir schloss sich die Tür und ich blickte durch das Sichtfenster nach draußen zu Tom, dessen Zeigefinger gedankenverloren über die Stelle an seiner Wange fuhr. Mit der anderen Hand winkte er mir einmal kurz. Ich erwiderte das Winken und hielt mich dann, als der Zug anfuhr, an einer der Stangen in der Bahn fest, um nicht umzufallen.

undercover; tom hollandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt