Kapitel 77

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Einige Tage später hatte Tom ein Interview bei der Graham Norton Show in London. Wir waren bereits am nächsten Tag nach der Premiere zurück nach London und New York geflogen. Auch hatten wir beschlossen, dass er in einer Woche nach New York kommen würde, um mich zu besuchen und um endlich Mom kennenzulernen.

Ich erwartete seinen Anruf nicht, daher starrte ich erst einige Sekunden verwirrt auf das Display, wischte dann aber zum Annehmen und meldete mich mit einem verwirrten "Hi?" Tom schien gerade im Auto zu sitzen, denn ich hörte lautes Rauschen und Geräusche, die verdächtig wie eine Straße klangen. "Hey", erwiderte er jetzt und atmete einmal merklich aus, "Ich sitze gerade im Auto, aber ich habe eine Frage, die ich dir schon letztens stellen wollte." Erwartungsvoll antwortete ich: "Und die wäre?", wobei ich keine Ahnung hatte, was er jetzt fragen würde. "Ich weiß nicht, ob das zu diesem Zeitpunkt überhaupt machbar ist, aber wie würdest du es finden, wenn wir eventuell mal darüber nachdenken, zusammenzuziehen? Ich würde dich einfach lieber sehen als alle zwei Monate maximal und wenn das mit deinem Job gehen würde.."

Nervös trippelte ich mit meinem Finger auf meinem Schreibtisch herum. War das eine gute Idee? Eigentlich sprach ja nichts dagegen, sofern ich meine Ausbildung verlegen könnte- außer, dass ich meine Freunde und Mom nicht mehr so oft sehen würde. War es eine gute Idee, Mom alleine zu lassen? Eine weitere Person in ihrem Leben, die sie verlässt? "Ich..finde die Idee toll", gab ich zu und fügte dann schnell ein "aber ich muss erst gucken, ob das möglich ist, ok? Gib mir zwei Tage und ich habe meine feststehende Antwort."

Auf der anderen Seite des Telefons ertönte ein leises Lachen und ich konnte mir Tom bildlich perfekt vorstellen wie er im Auto saß, das Handy in der Hand und grinsend aus dem Fenster schaute. "Super", meinte er dann schließlich und nach einem kurzen Wortwechsel legte er auf, da er jetzt das Interview in der Show hatte, die ich mir noch angucken würde.

Vorher ging ich jedoch nach unten, um die Sache mit Mom besprochen zu haben. Auch wenn ich sicher länger darüber hätte nachdenken können, ich wollte sie einfach erledigt haben. "Mooom?", rief ich und sie antwortete sofort mit einem "Ja?". "Ich habe was wichtiges zu besprechen", sagte ich erneut in genau dem gleichen Tonfall. "Bin im Wohnzimmer", antwortete sich und ich ging in genannten Raum. Sie saß auf dem Sofa, eine Lesebrille auf der Nase und hatte ein Magazin in der Hand, das sie laß. Irgendetwas mit Business. Seit Richards Tod hatte sie ihre Stelle als Putzfrau aufgegeben und sich der Vermarktung der Bar gewidmet, was besser lief als je zuvor. Sie hatte neben Bert einen weiteren Kellner gesucht, der für wenig Geld genau das machte, was ich zuvor getan hatte. Dadurch, dass sie in Social Media eine Präsenz aufgebaut hatte, waren auch mehr jüngere in die Bar gekommen, was ich niemals erwartet hatte.

"Ich habe auch etwas", sagte sie dann und legte die Zeitschrift weg. Mit einer Geste bedeutete ich ihr, dass sie anfangen sollte zu sprechen. "Ich...war jetzt schon auf drei Dates mit Connor und..ich habe das Gefühl, dass es mir mittlerweile wieder ganz gut geht. Seit fünfzehn Jahren war ich schon auf keinem Date mehr und irgendwie hat das was", beichtete sie und ich sah sie fasziniert an. "Ok Mom, wer ist Connor? Ich will alles wissen." Sie kicherte und wirkte dabei fast wie ein zwölfjähriges Mädchen, das zum ersten Mal verliebt war. Ich konnte nur hoffen, dass es dieses Mal jemand war, der kein Feigling wie mein leiblicher Vater oder ein Alkoholiker wie mein Stiefvater war.

"Dr. Connor Murphy, sagt dir das was?", erklärte sie mir, wobei ihre Augen ein wenig leuchteten. Er schien es ihr wirklich angetan zu haben. Dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Dr. Connor Murphy, Dr. Murphy war der Arzt im Krankenhaus gewesen, bei dem wir wegen Richard gewesen waren. Er schien auf den ersten Blick wirklich sympatisch zu sein und ich war froh, dass er Mom anscheinend so gut tat. Auch wenn dies sicher nicht der größte Anreiz war, war ich sicher, dass er gut verdiente und ein wenig mehr Reichtum war genau das, was Mom verdient, nachdem sie so viel in ihrem Leben getan und so wenig zurückbekommen hatte.

"Das finde ich unglaublich toll", sagte ich ehrlich und ballte dann meine Hand zur Faust, um ein wenig Stress abzubauen. "Meine Sache ist für dich vermutlich nicht so schön, aber..Tom und ich hatten überlegt zusammenzuziehen. Klar, du kennst ihn noch gar nicht, aber er kommt in zwei Wochen auf jeden Fall mich nochmal besuchen und dann lernst du ihn kennen. Wenn das nicht in Ordnung geht, dass bleibe ich, aber-"-"Ja", meinte Mom nur und lächelte mich an, "Ich habe dich so erzogen, dass du unabhängig bist und deine eigenen Entscheidungen triffst. Ich weiß, dass er offensichtlich gut für dich ist und als Mutter muss man sich einfach klar machen, dass es eines Tages so weit ist, dass man seine Kinder gehen lassen muss. Das ist mir bewusst und ich unterstütze dich dabei, klar? Nur, bitte lasst euch noch ein paar Jahre mit kleinen Toms und Arylias Zeit, ich bin noch nicht bereit, Großmutter zu werden." Ich lachte befreit auf, glücklich darüber wie erwachsen und unterstützend sie das Ganze aufnahm. "Danke Mom. Für alles." Sie lächelte und breitete ihre Arme aus, um mich zu umarmen.

"Und jetzt gucken wir dieses Interview, ich will endlich mal nicht nur Bilder von Tom sehen", meinte Mom schließlich motiviert. Es wunderte mich ein wenig, dass sie nicht herumgestalkt hatte und jedes Video und Interview auf YouTube kannte. Wobei- Da Mom keine Ahnung hatte wie YouTube funktionierte und immer noch dachte, dass ich im Darknet surfte, weil der Nachtmodus an war, konnte ich mir gut vorstellen, dass sie wirklich nur Bilder gesehen hatte.

"Ok", grinste ich, schaltete den Fernseher an und drückte einen Knopf, um den Sender 'BBC one' zu starten. Dieser öffnete sich und sofort sah ich Toms vertrautes Gesicht, das des Moderators Graham Norton und zwei weitere Promis, die Tom mir vorher als Siena Miller und Mark Wahlberg vorgestellt hatte, von denen ich jedoch nur letzteren gekannt hatte. Da wir nicht pünktlich eingeschaltet hatten, redeten sie bereits über irgendein Thema, das ich nicht verstand, Mom anscheinend jedoch schon, denn sie lachte laut mit.

Ich schaute wie paralysiert auf den Bildschirm, während der Ton an meinen Ohren vorbeidriftete und meine Augen langsam zu fielen. Komischerweise war ich sehr müde, was vielleicht damit zusammenhing, dass ich gestern wieder mit Naomi eine Filmnacht gemacht hatte.

"Arylia, hör zu, da geht es um dich", sagte Mom plötzlich und stieß mich an. Ich blinzelte verwirrt und hörte zu. "Also Tom, erzähl. Du warst auf der Civil War Premiere mit deiner Freudin. Erstmal: Wie heißt sie und stimmt das Gerücht, dass ihr..Cousins seid?" Die Menge lachte, ebenso Tom.

"Also ihr Name ist Arylia und nein, wir sind keine Cousins, das wäre ein wenig krank. Das war nur ein Gerücht, weil wir es Fans erzählt haben, um das ganze Beziehungsding ein wenig zu verheimlichen." Graham lachte laut auf und fuhr dann fort: "Ihr seid wie lange jetzt zusammen?" Tom kniff die Augen zusammen und lehnte sich zurück. "Kommt drauf an. Entweder eineinhalb Jahre oder um die elf Monate, je nachdem."-"Wie das?", mischte sich Siena ein, die neben Tom saß.

"Also, es fing alles damit an, dass ich einen Witz gemacht habe und Marvel meinen britischen Humor nicht verstanden hat. Ich meinte, dass ich doch auf eine amerikanische High School gehen könnte, um zu sehen wie das Leben dort wirklich ist. Marvel meinte darauf nur 'das ist super, wir organisieren es'. Ein paar Wochen später war ich auf dem Weg in die Bronx School of Science, eine Schule für wirklich schlaue Schüler, mit einem Rucksack, Schulranzen und einer Fake I.D. Mein Name war Ben Perkins und ich sollte mit einem Jungen namens Arun Geschwister sein. Arun war übrigens Inder, daher war es ein wenig seltsam. "

Die Menge begann zu lachen, genau wie Mom. "Jedenfalls saß ich neben diesem wirklich hübschen Mädchen in meiner Klasse und sie meinte zu mir etwas wie 'Was genau ist hier los', woraufhin das einzige was ich gesagt habe war: 'Lass mich dir mein Geheimnis verraten. Ich bin in Wirklichkeit Spiderman."

An dieser Stelle lehnte ich mich ebenfalls lächelnd zurück und dachte an genau diese Zeit zurück. Ich brauchte gar nicht weiter zu hören, denn ich kannte diese Geschichte.

Es war unsere Geschichte, Toms und meine.

undercover; tom hollandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt