Kapitel 56

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Innerhalb von zwei Sekunden kamen mal so einfach alle Gedanken zurück, die ich so mühsam zurückgehalten hatte. Was sollte ich jetzt tun?
Wenn ich antwortete zeigte das nur, was für ein schwacher Mensch ich doch in Wirklichkeit war. Aber sollte es nicht selbstverständlich sein, dass man Personen hilft und sollte es dies nicht für mich sein, wo ich doch gerade eine Ausbildung machte, deren Kern die Hilfe von verletzten Menschen war.

War ich denn bereits 100% über Tom hinweg, sodass ich  ohne ein gebrochenes Herz zurückkommen konnte?
Eigentlich nicht, wenn ich mir ansah wie schwer mir die Kontrolle meiner Gedanken viel. Es war ein großes Dilemma, ob ich antworten sollte, oder nicht.

Mein Handy vibrierte erneut und ich sah langsam auf das Display, ein wenig ängstlich, was jetzt kommen würde.

Sei, wenn es dir wichtig ist, da. Tom sagt hin und wieder mal, dass er noch einen Gefallen von dir übrig hat, vielleicht verstehst du die Aussage ja.

Es war klar, dass Harrison versuchte, mich mit allen Mitteln dazu zu bringen, mit Tom zu reden. Über die zweite Aussage dachte ich ein wenig nach, verstand den Sinn aber erst nach einigen Sekunden des Nachdenkens.
Damals, als wir auf unserem ersten Date gewesen waren, hatte Tom bezahlt und mir gesagt, dass er jetzt noch einen Gefallen bei mir offen hatte.

Jedoch war dieser Gefallen, den Harrison jetzt für ihn verlangte, deutlich größer als ein kleines Abendessen. Jetzt lud noch ein Foto, dass ich sofort öffnete, als es meine mobilen Daten zu ließen.

Ach du-. Harrison hatte mir ein Flugticket geschickt, für morgen Mittag. Bis dahin musste ich mich entschieden haben. Dann ging der Flug nach London. Wie genau sollte ich dies eigentlich schaffen? Immerhin hatte ich kein Visum und Koffer waren auch nicht gepackt. Arbeit war ebenfalls wichtig.

"Alles gut?", fragte Shane, der sich neben mich setzte. Ich fuhr mir durch die Haare und vergrub mein Gesicht in meinen Händen. "Nein", antwortete ich dann ehrlich und blickte zu meiner linken in sein Gesicht.

"Ich habe ein ziemliches Problem. Mein früherer Freund und ich hatten nie ein wirklich klärendes Gespräch und jetzt geht es ihm deshalb schlecht und sein bester Freund meinte, dass ich ihn besuchen kommen sollte, um all das zu besprechen, nur habe ich Angst, dass ich noch nicht ganz über ihn hinweg bin, was gut sein kann."

Shane nickte bei meinen Worten nur und zuckte dann die Achseln. "Dann fahr zu ihm und klär das. Danach geht es dir bestimmt auch besser." Dass er all das nicht an die große Glocke hängte, war schon einmal sehr gut.

Ich bewunderte Shanes erwachsene Einstellung bereits seit ich ihn kannte.
Würde ich das, was ich jetzt tat, gleich bereuen?
"Und Shane ich..Vielleicht wäre es besser, wenn wir, bis all das geklärt ist, erstmal Freunde bleiben?", fragte ich leise. "Ok", nickte er nur und stand dann auf.

"Wir sehen uns, Arylia." Die zweite Person, die ich bereits nur mit Worten so sehr verletzt hatte, dass sie sich sofort von mir abwandte. "Ja", murmelte ich nur und schloss die Augen.

Was sollte ich machen? Inwiefern sollte ein Gespräch Tom helfen und warum ging es ihm so schlecht und mir nicht mehr? Eigentlich wusste ich gar nichts mehr, außer, dass ich mich aus irgendeinem Grund schuldig für seinen Zustand fühlte.

Bei dem Gedanken an Tom, während er nicht positiv wie immer war, sondern traurig, brach mein Herz, das ohnehin nur notdürftig zusammengeflickt war, in noch mehr kleine Teilchen. Ich musste zu ihm. Ich könnte es mir nicht verzeihen, ihn alleine gelassen zu haben, wo er doch bei meinen Problemen immer für mich dagewesen war.

Ok, tippte ich einfach nur zurück und fragte mich augenblicklich, ob es ein Fehler gewesen war.

Bloß keinen Rückzieher machen, ermahnte ich mich und legte mein Handy schnell zurück in die Tasche.
Abends, als ich die Tür zum Haus öffnete, wehte mir bereits der Geruch von Chili entgegen. "Ich bin zurück", rief ich so laut, dass Mom es gehört haben musste und ging dann sofort in die Küche, um ihr zu erzählen, dass ich jetzt Koffer packen würde. Warum genau ich es ihr sofort erzählte, war mir nicht ganz klar, vermutlich aber einfach um mir selbst zu beweisen, dass ich es wirklich tun würde.

"Morgen Mittag schon?", fragte mich Mom nur und rührte das Chili weiter. Ich bestätigte dies. Mom lächelte: "Dann pack mal besser schnell den Koffer. Ich weiß, dass das genau das ist, was du brauchst."

Wieder ein Fall von 'Mom kennt mich besser als ich selbst mich'.

Nachdem ich den Koffer nach oben geschleppt hatte und einige Teile hineingeworfen hatte, rief ich bei Shane an. Ich hätte von ihm nichts mehr gehört, seit ich ihn gefragt hatte, ob wir nicht vorerst nur Freunde bleiben könnten.
Er meldete sich nach zwei Sekunden Piepen mit den Worten: "Ja, Shane hier."-"Ich bin's, Ary", sagte ich, während einige Paare Socken in meinen Koffer flogen. "Hi. Alles gut?", fragte er mit einem warmen Unterton in der Stimme. Vielleicht hatte er ja realisiert, dass wir nicht mehr als Freunde sein sollten und war damit einverstanden.

"Nochmal wegen heute Mittag. Tut mir leid, aber ich brauche einfach ein bisschen Zeit für mich selbst."-"ist schon ok, ich sehe uns irgendwie auch mehr als gute Freunde", unterbrach er mich, woraufhin ich erleichtert aufseufzte.

Vielleicht war ich einfach keine Person, die eine Beziehung führen sollte. Vielleicht war das vom Schicksal so auferlegt worden, dass alle meine Beziehungen scheiterten, oder es nicht mal zu welchen führen sollte.

"Kannst du auf der Arbeit gucken, dass ich die Tage Urlaub nehme? Ich erreiche da niemanden mehr", bat ich ihn nun noch schnell, was er bejahte und legte dann auf. Dann packte ich schnell alles wichtige in den Koffer, ging ins Bad um dort wichtige Dinge einzusammeln und mich fertig zu machen. Immer wieder fragte ich mich, ob es nicht ein Fehler war, dort hinzufliegen.

Ich würde alles wieder neu aufrollen und das war doch das gewesen, was ich Monatelang unterdrückt hatte. Vielleicht war aber auch ein klärendes Gespräch das, was ich brauchte, um diese Schlusslinie zu ziehen.

undercover; tom hollandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt