Kapitel 11

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Sammle Informationen, fange die Atmosphäre ein, verknüpfe die Fakten zu einem Bild. Aber niemals, ich wiederhole, niemals, stellst du Vermutungen an.

Yoongi hatte immer nach diesem einfachen Grundsatz gelebt, dem ihm sein Ausbilder einige hundert Male eingetrichtert hatte. Umso merkwürdiger war es jetzt, dass er bereit war, dieses Wissen über Bord zu werfen.
Namjoon's Idee eines Serienmörders und Jimin's Überzeugung, es mit Ritualmorden zu tun zu haben, jagte ihm einen eiskalten Schauer über den Rücken. Er wollte nicht darüber nachdenken, aber genau das war sein Job. Es lag in seiner Pflicht, diesen Fall zu lösen und dafür zu sorgen, dass die Menschen in Seoul wieder ruhig schlafen konnten.

Aber wie stellt man das an, wenn man plötzlich das ungute Gefühl in seinem Magen nicht mehr unterdrücken konnte?

"Yoongi-ssi?"

Er schreckte zurück in die Realität. Er stand regungslos vor Namjoon und Jimin, die ihn besorgt ansahen. Yoongi räusperte sich schnell.

"Ich hab nur nachgedacht...", murmelte er dann und blickte dann in Namjoon's Augen. "Ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache."

Sein Chef nickte. "Ich auch nicht."

"Wovon sprecht ihr?", fragte Jimin verwirrt und blickte sie abwechselnd fragend an.

"Wenn du recht hast, und das hier eine Art Hetzjagt auf nicht traditionell lebende Omegas wird, befürchte ich das wir bald den Notstand ausrufen müssen.", meinte Namjoon und blickte düster drein. "Das würde bedeuten, das wir die Omegas dieser Stadt evakuieren müssten...und dich auch."

Jimin's Gesucht wurde von einer Sekunde auf die andere völlig bleich. Ein angespannter und leicht ängstlicher Geruch schlich sich dabei in Yoongi's Nase.

"Aber...ich arbeite an dem Fall! Ich kann doch nicht einfach den Schwanz einziehen und euch damit allein lassen?"

Jimin sah leicht panisch aus. Er blickte Namjoon beinahe flehend an.

"Jimin...das...ich weiß, du willst den Fall lösen. Aber wir können auch nicht zulassen, das dir nochmal etwas passiert.", sprach Namjoon ruhig und wollte wohl Jimin's Schulter zur Beruhigung berühren, aber Jimin sprang einen Schritt zurück.

"Nein! Nur weil ich mal von einer Gang ins Visir genommen wurde, werde ich mich nicht zurückziehen! Ich werde hier bleiben und diesen Fall mit Yoongi-ssi beenden!", zischte Jimin angespannt.

Namjoon sah ihn erstaunt an, fasste sich aber schnell wieder.
"Gut, okay. Ich werde den Notstand auch nicht sofort ausrufen. Aber wenn wir nicht bald Anhaltspunkte finden, haben wir ein mächtiges Problem."

Yoongi nickte abwesend und sah zum Park hinüber. Die Bäume rauschten im Wind und normalerweise hätte er das als idyllisch empfunden, aber unter diesen Umständen wirkte es eher bedrohlich. Irgendwo da lag schließlich eine Leiche.

"Wir werden uns die größte Mühe geben, richtig, Yoongi-ssi?"

Plötzlich lächelte Jimin wieder und sah ihn herausfordernd an.
"Ich gebe mir immer Mühe.", brummte er.

Jimin grinste, aber er wurde schnell wieder ernst. "Wollen wir?"

Namjoon nickte nur und hob das Absperrband an, damit Jimin und er hindurch schlüpfen konnten.

Sie folgten einem kleinen Weg, weiter weg von der Straße und kamen schließlich an einer kleinen Lichtung an. Die Spurensicherung war noch dabei, alle Hinweise zu fotografieren, einzutüten und die Umgebung nach weiteren Spuren zu durchsuchen.

"Wer hat die Leiche gefunden?", fragte Yoongi, der die Arme verschränkt hatte.

"Ein Jogger. Der geht hier jeden Tag abends seine Runden laufen und...stolperte förmlich über sie. Er hat einen furchtbaren Schreck bekommen."

Jimin, der neben ihm stand, schluckte hörbar.

"Der ersten Begutachtung zufolge sind es die selben Wunden wie bei den anderen beiden Leichen."

Yoongi nahm seinen Mut zusammen und ging näher heran. Jimin folgte ihm mit wenig Abstand.

Als er unmittelbar vor der Leiche stand, sah er auf sie herab - und hätte sich fast übergeben.

Der Junge, nicht älter als 20, hatte einen aufgeschlitzten Unterbauch und blaue Blutergüsse an den Handgelenken. Seine leeren Augen schienen in anzustarren und Yoongi fuhr ein weiterer Schauer über den Rücken.

Jimin schien es nicht anders zu gehen, denn er wendete den Blick kurz ab, um tief Luft zu holen.

Yoongi kniete sich nun herab und ignorierte den bestialischen Verwesungsgestank, um sich seine Hände genauer anzusehen. Er war offensichtlich schon länger tot. Er zog sich einen Handschuh über und begutachtete die filigranen Hände. Am rechten Handgelenk baumelte ein silbernes Armband - offensichtlich recht teuer - mit einem seltsamen Symbol darauf. Ein Vogel, mit ausgebreiteten Flügeln, umgeben von etwas, dass aussah wie Flammen.
Er runzelte die Stirn.

"Das kenne ich."

Yoongi hätte sich fast zu Tode erschreckt. Jimin hatte sich nah neben ihn gekniet und sah ebenfalls das Armband an.

"Achja?", fragte er, nachdem sich sein Herz beruhigt hatte.

"Ja. Das ist von einer Organisation, die sich für die Rechte von Omegas einsetzt. Diese Armbänder dürfen nur registrierte Mitglieder tragen.", meinte Jimin.

"Ich glaube, deine Theorie ergibt soeben wieder etwas mehr Sinn.", grummelte Yoongi.

Er nahm das Armband ab und steckte es in eine Plastiktüte. Anschließend stand er auf und klopfte sich den Staub von der Hose. Jimin tat es ihm gleich.

Er drehte sich wieder zu Namjoon, der erwartungsvoll die Augenbrauen hochzog.

"Und?", fragte er. "Etwas entdeckt?"

"Wer immer diese Mörder sind...sie haben offensichtlich keinen Reichtum im Sinn. Dieses Armband ist reines Silber, das erkenne ich auf den ersten Blick. Und mit dieser Verarbeitung einiges Wert, jeder Idiot hätte es ihm angenommen und zu Geld gemacht. Aber es ist noch hier.", meinte Yoongi und hielt die Plastiktüte hoch.

"Es ist fast so, als wollten die Mörder  uns genau mitteilen, was sie im Sinn haben.", sprach Jimin leise.

Yoongi und Namjoon nickten gleichzeitig.

"Namjoon, finde für mich bitte die Adresse dieser Organisation heraus. Wir müssen dahin. Jimin und ich gehen dem dann sofort nach, wenn wir bei der Familie waren."

"Er hat keine Familie."

Yoongi stutzte. "Was?"

"Ich sagte, er hat keine Familie. Das ist Kim Jeonwhan, 19 Jahre alt, Waisenkind. Hat sich mit Nebenjobs über Wasser gehalten und war offensichtlich ein Mitglied dieser Organisation, von der du sprachst."

Yoongi fuhr sich über die Augen.
"Dann befragen wir halt Freunde, Bekannte...irgendwen."

Namjoon nickte.
"Ich halte hier die Stellung, ihr geht bitte Nachhause. Ihr habt schon viel zu viele Überstunden gemacht."

Namjoon's Ton klang entgültig und ließ keine Widerrede zu.
Gemeinsam trotteten sie zurück zur Straße. Während Jimin schon in den Wagen stieg und sich anschnallte, hielt Namjoon Yoongi noch kurz an der Schulter zurück.

"Yoongi, tu mir diesen einen Gefallen.", meinte er leise und warf einen Seitenblick zu Jimin, der im Auto saß.
"Wenn du irgendetwas bemerkst, egal was es ist, dann musst du mir das sagen. Wenn Jimin beginnt sich anders zu verhalten, oder... du weißt, was ich meine? Wenn das hier wirklich eine Hetzjagt auf Omegas wird, die einen nicht traditionellen Lebensweg wählen, dann ist er genauso in Gefahr. Falls er irgendetwas verlauten lässt, dass er bedroht wird, oder ähnliches, dann muss ich das wissen."

Yoongi nickte perplex.

"Danke."

Namjoon lächelte ihn an, ließ ihn los und lief zurück zu den anderen Polizisten, ohne sich umzusehen.

Yoongi stand noch für einige Sekunden wie angewurzelt da, bevor er sich zusammenriss und ebenfalls ins Auto stieg, die Motor anließ und in die Nacht davon fuhr.

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