NEUNZEHN

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Ich zog Samuel sein Shirt über. Doch sobald ich losließ, zog er es wieder aus.
„Samuel, bitte lass endlich dein Shirt an!",ich war am verzweifeln. Es ging schon eine Weile hin und her. Er wollte einfach nicht das Shirt anziehen und ich bekam die Krise. Die Zeit rannte, unser Flug ging bald und ich wollte so schnell wie möglich dieses Land verlassen. Wenn möglich sogar ein Flug früher erwischen. Aber Samuel machte einfach nicht mit. Motzig warf er das Shirt durch das Zimmer.
„Ich will das nicht anziehen."
„Was willst du dann anziehen?", fragte ich ihn und wischte mir müde übers Gesicht. Samuel zeigte sofort auf ein rotes Shirt im Koffer.
„Das kannst du nicht anziehen. Das hattest du schon die letzten drei Tage an. Es ist völlig dreckig und voller Sand." Samuel verschränkte die Arme vor der Brust und zog seine Unterlippe nach vorne. Er sah mich beleidigt an. „Ich will aber das anziehen!"
„Samuel, bitte. Zieh es einfach an. Wir müssen bald gehen."
„Nein."
„Samuel, du ziehst das jetzt an.", mahnte ich ihn und versuchte das Shirt über seinen Kopf zu stülpen. Doch er währte sich mit aller Kraft. Es war hoffnungslos.
„Ich will nicht gehen.", motzte er auf einmal, ich hielt in meiner Bewegung inne. Langsam zog ich das Shirt zurück und hielt es fest in meiner Hand.
„Ich will bei Simón bleiben. Warum kommt er nicht mit?" Er verlor seinen beleidigten Ausdruck für ein Moment. Seine Schultern sackten runter und er sah mich traurig an.
Deshalb verhielt er sich so... Ich seufzte, dann setzte ich mich neben ihn aufs Bett und strick ihm kurz über die Wange.

„Simón lebt hier. Er arbeitet hier- sein Leben spielt sich hier ab."
„Aber er kann doch bei uns leben.", argumentierte Samuel. „Und ich kann für ihn arbeiten." Ich kicherte sanft.
„So läuft das leider nicht. Außerdem freust du dich nicht deine Freunde wieder zu sehen und Papá?" Samuel schwieg für ein Augenblick. Er sah weg und spielte mit seinen Händen. „Du und Papá liebt euch doch eh nicht mehr. Simón baut mit mir Sandburgen. Papá ist immer nur am telefonieren." Ich strich Samuel sanft durch seine Haare und zog ihn näher. Ich strich gleichmäßig seinem Arm entlang. Mir war klar gewesen, dass er sich an Simón schnell gewöhnen würde. Und jetzt hatte ich die Rechnung...

Aber jetzt konnte ich es nicht mehr ändern und nach der Anhörung, würde er wissen, dass Benicio nicht sein Vater war. Ich musste es ihm sagen. Ich wollte nicht, dass er die Worte von einem Richter mitbekommt. Nein, wenn er das hört, dann nur von mir. Egal, ob Simón in seinem Leben sein wollte oder nicht- Samuel verdiente es zu wissen, wer sein richtiger Vater war. Wenn er dann älter wird, hat er wenigsten die Möglichkeit selbst zu entscheiden, was er mit dieser Information machen wollte- wer sein Vater sein sollte. Es sollte nicht in meiner Macht stehen, diese Entscheidung für ihn zu treffen. Er würde eh nur weiter nach Simón fragen. Mir schwebten Bilder von der Zukunft vor, wie er sich mit dem Gedanken quälte, warum sein Vater nichts mit ihm zu tun haben wollte- Sollte ich ihn nicht davor schützen? Es war nicht seine Schuld, dass sein Vater ein verdammter Feigling war. Doch Samuel würde es früher oder später erfahren- warum dann nicht früher.

„Samuel, ich muss dir was sagen und du musst mir gut zuhören, okay?", sagte ich endlich, nach einem tiefen Atemzug. Samuel sah mich mit seinen kleinen braunen Augen an. Mein Herz stach in meiner Brust. Wie sollte ich es ihm nur erzählen- wo sollte ich bloß anfangen?"
„Du weißt ja, dass dein Papá Benicio ist.", fing ich a. Samuel nickte, „Nun, das stimmt nicht. Simón ist dein richtiger Papá." Samuels Mund fiel nach unten, als er mich verständnislos ansah.
Ich nahm einen weiteren tiefen Atemzug und blinzelte die Feuchtigkeit in meinen Augen zurück. Ich warf ihm ein schiefes, aufgesetztes Lächeln zu.

„Vor fünf Jahre, bevor du geboren wurdest, da...da war ich mit Benicio zusammen. Aber wir waren nicht glücklich. Und in einer Nacht habe ich Simón getroffen. Ich war in meinem Leben vorher noch nie so glücklich, wie an diesem Abend mit Simón. Und da wusste ich noch gar nicht, wie gut er Sandburgen bauen kann", versuchte ich es aufzulockern. Samuel entlockte es ein kleines Lächeln, aber er verstand es sichtlich noch immer nicht. Natürlich, wie sollte es in den Kopf eines fünf Jährigen, dass sein Papá ein anderer war? Aber er verdiente die Wahrheit.
„Es war die letzte Nacht von Simón in Buenos Aires. Am nächsten Morgen musste er nach Mexiko zurück und wir haben uns gesagt, dass es besser ist, kein Kontakt zu halten. Wir beide waren ziemlich beschäftigte Leute in komplizierten Situationen. Doch er hat mich nie ganz verlassen. Ein paar Wochen später, bemerkte ich, dass er mir das wundervollste Geschenk hinterlassen hatte, dass ich nur bekommen konnte: Dich." Ich blinzelte angestrengt die Tränen zurück. Samuel sah mich ausdruckslos an. Eine lange, ewig andauernde Stille folgte. Es war kaum auszuhalten. Mein Hals schnürte sich mit jeder Sekunde immer weiter zu.

Can You Keep A Promise? #2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt